Einer wie Haider

Die CDU sucht nach dem Nachfolger des Nachfolgers. Doch wer Helmut Kohl beerben soll, weiß in der Partei derzeit niemand. Vielleicht Joseph Fischer?

Warum ist das überhaupt herausgekommen? Wer hatte daran Interesse?« fragte Johannes Agnoli in der letzten Jungle World angesichts der Enthüllungen über den CDU-Spendenskandal. Doch wer auch immer die Affäre ins Rollen gebracht hat: Inzwischen scheint sie derart außer Kontrolle zu geraten, dass es schwer fällt, innerhalb der Partei noch einen Profiteur ausfindig zu machen. Mittlerweile ist die CDU längst dabei, sich selbst zu zerfleischen. Der totale Zusammenbruch, wie ihn einst die Democrazia Christiana in Italien erlebte, scheint in greifbare Nähe zu rücken.

Die Enthüllungen der vergangenen Woche machten eines erneut deutlich: Die CDU hat keinen Spendensumpf, sie selbst ist der Sumpf. Oder, um eine andere Metapher zu bemühen: Der Fisch CDU stinkt nicht mehr nur vom Kopfe her, der Mief hat sich längst bis zur Schwanzflosse ausgebreitet. So folgten dem Eingeständnis des Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble, höchstpersönlich 100 000 Mark aus den Händen des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber erhalten zu haben, nur kurze Zeit später Enthüllungen über illegale Geldtransfers in einzelne Landesverbände. Dass Wolfgang Schäuble nach seinem Bekenntnis eine Zukunft an der CDU-Spitze hat, glaubt kaum noch jemand.

Doch auch die Hoffnungsträger aus der zweiten Reihe sind durch die jüngsten Veröffentlichungen diskreditiert: So wurde am vergangenen Donnerstag bekannt, dass sowohl nach Mecklenburg-Vorpommern, dem Landesverband von Generalsekretärin Angela Merkel, als auch nach Schleswig-Holstein, wo der lange Zeit als neuer Parteichef und Kanzlerkandidat gehandelte Volker Rühe sich am 27. Februar zur Wahl stellen wird, Sonderzahlungen aus schwarzen Kassen der Partei geflossen sind. Der CDU-Generalsekretär in Schwerin, Hubert Gehring, bekam 100 000 Mark zur Aufbesserung seines Gehaltes. Ebenso hoch war der Betrag, den 1997 der Kieler CDU-Landesvorsitzende Ottfried Hennig erhielt - um ihm seinen Rücktritt zu versüßen.

Am tiefsten im Schlamassel steckt indes die hessische CDU. Die 12,7 Millionen Mark, die der Partei seit 1989 aus Liechtenstein zugeflossen sind, stammen nun doch nicht aus Erbschaften. Schon gar nicht aus dem Vermögen jüdischer Emigranten, wie der Parteivorstand noch am vergangenen Donnerstag verbreiten ließ - und so einmal mehr das antisemitische Klischee der dunklen jüdischen Hintermänner bediente. Wie der einstige hessische Landesvorsitzende und CDU-Rechtsaußen, Manfred Kanther, am Freitag zugab, wurde das Geld vielmehr von der Partei selbst Anfang der achtziger Jahre außer Landes geschafft, um das geänderte Parteiengesetz zu umgehen. Sieben bis acht Millionen Mark will die CDU damals über die Grenze geschleust haben.

Dank guter Anlagemöglichkeiten und hoher Zinsen - bekanntlich verstehen es Christdemokraten, mit Geld umzugehen - soll sich das Geld derart vermehrt haben, dass sich auf dem Auslandskonto derzeit immer noch rund 17 Millionen befinden. Mit dieser Enthüllung ist nun nicht nur die Zukunft von Roland Koch als Ministerpräsident und Hoffnungsträger der Partei arg gefährdet. Die zu erwartenden Rückzahlungsforderungen könnten für die CDU zudem den finanziellen Ruin bedeuten.

Um auf Agnoli zurückzukommen: Wer also hat ein Interesse an den Enthüllungen? Edmund Stoiber vielleicht, der sich angesichts der Schwäche der CDU nun reelle Chancen auf die nächste Kanzlerkandidatur der Union ausrechnen kann? Dagegen spricht, dass es Stoiber und seiner CSU gar nicht daran gelegen sein kann, im Spendensumpf zu rühren. Schließlich steckt sie selbst bis zum Hals drin. Waffenhändler Karlheinz Schreiber ist Parteigänger der CSU und ein persönlicher Freund von CSU-Generalsekretär Thomas Goppel. Sollte Schreiber tatsächlich auspacken, wie er es seit Monaten ankündigt, dann werden auch die Christsozialen nicht ungeschoren davon kommen.

Wem also nützt das alles? Vielleicht muss man die Frage anders formulieren: Wem ist eigentlich die CDU noch von Nutzen? Haben sich christdemokratische Parteien nicht längst geschichtlich überholt? Zeigen nicht die Beispiele Großbritannien, Frankreich und Italien, dass einstmals sozialistische bzw. sozialdemokratische Parteien die Politik des Kapitals viel effektiver, moderner und »innovativer« umsetzen können als die konservativen Klüngel, die immer noch an Familie, Region und Nation festhalten - an Werten also, die dem absoluten Expansionsdrang der weltumspannenden Konzerne eher im Wege stehen?

Die CDU vereinte nach 1945 in der Bundesrepublik das zersplitterte konservative Bürgertum. In ihr fanden sich nationalkonservative und klerikale Elemente ebenso wieder wie Teile der christlichen Arbeiterbewegung. Sozialistischen Vorstellungen, wie sie noch im Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm der CDU anklangen, spielten in der Partei bald keine Rolle mehr. Stattdessen baute Konrad Adenauer die CDU mit tatkräftiger Hilfe der Alliierten zum Bestandteil der antisozialistischen Front, zum Bollwerk gegen den Bolschewismus aus.

Kaum an der Regierung, war es eines der Hauptanliegen der Partei, die noch einsitzenden Nazi-Kriegsverbrecher - darunter zahlreiche Kriegsgewinnler aus der Industrie - aus den Gefängnissen zu entlassen. Unzählige ehemalige NSDAP-Funktionäre stiegen unter der CDU-Regierung in führende Positionen auf. Das Kapital dankte es der Adenauer-Regierung mit großzügiger Unterstützung. Als 1969 die sozialliberale Koalition die Regierung übernahm, wollte sich der Großteil der Industrie keinesfalls damit abfinden. Mit allen Mitteln sollte die SPD wieder aus der Regierung gedrängt werden - schon damals halfen der CDU von der Industrie gefüllte schwarze Kassen bei den Kampagnen gegen den Vaterlandsverräter Willy Brandt und seine Partei. Doch erst 1982 glückte die geistig-moralische Wende. Wie der Flick-Skandal enthüllte, trugen großzügige Zuwendungen an einzelne Abgeordnete ihren Teil zum Gelingen des Machtwechsels bei.

Inzwischen sind die alten Nazis in Parteien und Industrie fast alle weggestorben und auch sonst haben sich die Zeiten geändert: Moderne multinationale Konzerne brauchen keine Patriarchen mehr, sondern smarte Manager. Mit den alten deutschen Tugenden Disziplin, Pflichterfüllung und Ordnung macht man heute keine Karriere mehr. Gebraucht werden anpassungsfähige Leute, die die Nase immer in den Wind halten, um rechtzeitig auf den neuen Trend aufspringen, dem neuen Zeitgeist genehm sein zu können. Was für die Wirtschaft gilt, gilt natürlich auch für die Politik: Und dieser Typus wird von einem Gerhard Schröder oder einem Joseph Fischer sicherlich besser verkörpert als von einem Helmut Kohl oder einem Wolfgang Schäuble. Mit ihren jüngsten Vorschlägen zur Steuer- und Rentenreform hat die Regierungskoalition zudem einmal mehr bewiesen, dass die Industrie der alten CDU/ FDP-Regierung nicht nachzutrauern braucht. Die CDU - ebenso wie die Splitterpartei FDP - scheint überflüssiger denn je.

Eine gewisse Schadenfreude über das hilflose Gebaren der CDU angesichts der über sie hereinbrechenden Spenden-Enthüllungen sei jedem vergönnt; ebenso wie die klammheimliche Vorfreude darauf, dass die deutschen Christdemokraten es den italienischen demnächst nachmachen könnten und sich ebenfalls auflösen. Doch die Schwäche der Christdemokraten birgt freilich auch die Gefahr, dass rechts von ihr der Weg frei wird für einen, der im Verbund mit den reichlich vorhandenen rechten Medien und Konzernen die enttäuschten Nichtwähler bei ihren urdeutschen Ressentiments packt und die nationalkonservativen Überbleibsel der Christdemokratie einsammelt. Einen, der es versteht, dem Nationalismus einen modernen Anstrich zu geben, kurz: einen deutschen Haider.