Geheime Genossen

Die Stasi hatte immer auch ein Ohr für die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR: Im Verschiffen von Konsum-Gütern sah sie eine Gefahr für die Planwirtschaft.

Ich kann nicht verstehen, daß die Freundschaft zwischen unseren Ländern nur aus Politik und Solidarität besteht. Können Sie sich wirklich nicht vorstellen, daß sich die Menschen unserer beiden Länder auch lieben und miteinander leben wollen?!!« Das wollte 1985 eine zwanzigjährige Frau in einem Brief an den Botschafter Vietnams in der DDR wissen. Ihr vietnamesischer Verlobter hatte nach Studien-Ende die DDR verlassen müssen, obwohl die beiden bei den Behörden bereits eine Genehmigung zur Eheschließung durchgesetzt hatten. Doch die vietnamesische Regierung ließ den Mann nicht ausreisen.

Den Brief der Frau gab die Botschaft weiter an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR - »zur Kenntnisnahme und evtl. operativen Auswertung«. Kein Zufall, denn in den achtziger Jahren bestand zwischen den Geheimdiensten der beiden Staaten ein Kooperationsabkommen: Vietnam durfte nicht nur in der Botschaft in Berlin, sondern in sieben weiteren Städten Tschekisten stationieren. Dazu hatte die Stasi die vietnamesischen Partner geradezu gedrängt: Neben der gemeinsamen Ausspionierung von heiratswilligen Bürgern beider Staaten ging es um die Observation vietnamesischer Vertragsarbeiter in der DDR.

Dass die Stasi Ausländer eines sozialistischen Bruderstaates und DDR-Bürger, die zu ihnen Kontakt hatten, ausspionierte, ist kaum bekannt. Eine Dokumentation der sachsen-anhaltinischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen brachte dies jetzt für die vietnamesischen Vertragsarbeiter und Studenten - die größte Gruppe von Ausländern in der DDR - ans Licht. Unter den 190 000 Ausländern, die 1989 in der DDR lebten, waren allein 60 000 vietnamesische Vertragsarbeiter.

Zeiten-Wechsel: Mitte der sechziger Jahre lebten gerade einmal tausend vietnamesische Studenten und Lehrlinge in der DDR - weitgehend unbeachtet vom MfS. Das änderte sich, als sechs Dresdner Studenten Asyl beantragten: Sie waren in Konflikt mit ihrer Landsmannschaft geraten, weil sie die maoistischen Positionen der vietnamesischen Offiziellen ablehnten. Ihre Landsmannschaft in Dresden schikanierte sie daraufhin, etwa indem Briefe abgefangen wurden. Nach Vietnam wollten sie nicht zurück, weil sie damit rechneten, dort erschossen zu werden.

Ihre Asylanträge waren erfolgreich: Die Stasi-Observation der deutschen Bekannten hatte ergeben, dass sie ausnahmslos mit »politisch zuverlässigen« DDR-Bürgern verkehrten oder solchen, die politisch nicht in Erscheinung getreten waren. Zwanzig Jahre später jedoch sollte der Vorgang noch einmal die zwischenstaatlichen Beziehungen belasten. Vietnam hatte dagegen protestiert, dass einer der sechs - ein »Staatsfeind« also - in seinem DDR-Betrieb die Verantwortung für die vietnamesischen Vertragsarbeiter übernommen hatte. Obwohl der Mann längst mit einer DDR-Bürgerin verheiratet war, deren Staatsangehörigkeit angenommen hatte und als tadelloser Werktätiger galt, wollte das MfS ihn »allmählich aus der Betreuerfunktion« herauslösen.

Anders als in den sechziger Jahren war die Stasi in den Achtzigern auf Wohlwollen und Kooperation des vietnamesischen Sicherheitsdienstes angewiesen. Ohne ihre vietnamesischen Partner konnte sie die Vertragsarbeiter nicht observieren. Vietnamesen konnten in der DDR untertauchen, ohne dass über die Kanäle der miteinander verwobenen Geheimdienste ein Hinweis kam. Den Untergetauchten kam zugute, dass die deutschen Wachen in den Wohnheimen Vietnamesen nicht voneinander unterscheiden konnten. Einzelne konnten sich so jahrelang verstecken, andere versuchten, in den Westen zu flüchten oder in der BRD-Vertretung in Ost-Berlin um Asyl zu bitten.

Ein besonderer Dorn im Auge waren der Stasi die »unkontrollierten Abkäufe« von ohnehin knappen Waren der DDR durch Vietnamesen: Fahrräder, Motorräder, Nähmaschinen und Fotozubehör. Ungeliebt waren auch die Einkäufe von Computern bei Verwandten in der Bundesrepublik und Frankreich, die »unter Umgehung der Zollbestimmungen« in An- und Verkaufsgeschäften »spekulativ veräußert« wurden. Oder die lukrativen Nebengeschäfte, die sich Vietnamesinnen mit dem Nähen von Jeans-Hosen erschlossen. Das Ganze passte nicht in das Bild der fleißigen Angehörigen eines sozialistischen Brudervolkes, die offiziell zur Arbeit und beruflichen Ausbildung in der DDR waren, ihren Aufenthalt in den Augen der Stasi nunmehr aber zu »Spekulationsgeschäften« missbrauchten.

Tatsächlich erhielt nur noch ein kleiner Teil der Vietnamesen in der DDR eine Ausbildung, mit der sie später in Vietnam auf einen lukrativen Job hoffen konnten. Die Vertragsarbeiter kamen, um Engpässe in der Produktion zu stopfen. Die Ausbildung aber bestand oft nur aus einem mehrwöchigen Deutschkurs.

Der Sinn ihres Aufenthaltes bestand für die Vertragsarbeiter nicht im Lernen, sondern darin, von ihrem Arbeitseinkommen ihre Familien zu unterstützen. So mussten sie Waren nach Vietnam verschiffen, die sich dort gut verkaufen ließen. Die DDR hatte die Vertragsarbeiter jedoch nur als Arbeitskräfte eingeplant, um die Warenproduktion anzukurbeln - die »Hamsterkäufe« der Vietnamesen nahm sie nur als Sicherheitsproblem wahr. Zudem fehlte den Beamten jedes Verständnis für den Wunsch von Menschen, die aus einem bettelarmen Land kamen, ihre Familien zu unterstützen. Dass man ein Fahrrad an die eigene Familie schicken wollte, konnten die geheimen Genossen noch verstehen. Aber sieben Fahrräder als Handelsware? Das war Spekulation, hier drangen westliche Werte in die DDR ein.

Dabei gab es ab 1988 Spannungen zwischen Sicherheitsdiensten der DDR und Vietnams: Die Tschekisten hatten gegen die Nebenerwerbstätigkeiten und den Handel ihrer Landsleute absolut nichts einzuwenden, brachten die Vertragsarbeiter doch damit dringend benötigte Kaufkraft ins Land. Sie warben sogar bei der Stasi um Verständnis: Immerhin würde das Geldverdienen die Vertragsarbeiter ja von Alkohol und Spielleidenschaft abhalten.

Doch auch von einer anderen Seite wuchs der Druck auf die Stasi, die Abschiebung schwangerer Vietnamesinnen oder vietnamesischer Männer, die mit deutschen Frauen ein gemeinsames Kind hatten, zu stoppen: Das Staatssekreteriat für Arbeit und Löhne sorgte dafür, dass die Stasi ab Ende 1988 dem vietnamesischen Partner nicht mehr jeden Abschiebewunsch erfüllte.