Helfen, pflegen, schießen

Modernisierung von oben: Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, auch deutsche Frauen an die Waffen zu lassen, wird die Entwicklung der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee weiter beschleunigt.

Auf einmal freuten sich alle: Regierung, Opposition und Lobbyisten. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) begrüßte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das der Elektronikerin Tanja Kreil letzte Woche den Zugang zu den Waffen der deutschen Streitkräfte erlaubte. Die Bundeswehr sollte, so Scharping, in »ihrer ganzen Vielfalt« weiblichen Soldaten offen stehen, »geeignete Laufbahnen« würden noch in diesem Jahr eröffnet. Auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, jubelte: Ein Berufsverbot sei gefallen.

Angelika Beer, Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, betrachtet die möglichen Folgen des Urteils als »immens«. Selbst der Arbeitskreis schwuler Soldaten in der Bundeswehr fand etwas Positives: Wenn Frauen nun auch Soldaten sein könnten, wären Schwule als Vorgesetzte kein Problem mehr. Denn warum sollten Schwule nicht auch Chefs von Männern sein, wenn Heteromänner Chefs von Frauen sein können?

Wenn Männer, noch dazu Wehrexperten, Schritte zur Gleichstellung von Frauen bejubeln, sollten Frauen ins Kleingedruckte schauen. Und da sehen sie schon die ersten Einschränkungen: Scharping erklärt, es gebe gute Gründe, »spezielle Bereiche« auszunehmen - »Kampfschwimmer« müssten Frauen ja nun nicht gleich werden. Auch der Wehrexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, möchte sie lieber nicht als »Einzelkämpfer« sehen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gibt ihnen Recht: Wenngleich die Anstellung von Soldaten in der Armee eines EU-Staates vom EuGH als »öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis« betrachtet wird - für das dann auch die Gleichbehandlungsrichtlinien der EU gelten müssen -, räumt der Gerichtshof Ausnahmen ein: so etwa die Tätigkeit der Polizei bei »schweren inneren Unruhen« oder den Dienst in »speziellen Kampfeinheiten«.

Den Kampfschwimmern zum Beispiel: Was erst einmal nach Leistungssport klingt, bezeichnet Elitesoldaten. Sie müssen hoch motiviert sein und unter allen Bedingungen mit speziellen Waffensystemen umgehen können. Man benötigt sie, wenn weltweit mit hoher Effizienz und geringsten eigenen Verlusten interveniert werden soll - Krieger, die ihrer hoch technisierten Ausrüstung wegen nur noch ein Schritt vom Cyborg trennt. Die physischen Anforderungen an einen solchen Einsatz erfüllen Männer ebenso selten wie Frauen. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der physischen Leistungsfähigkeit schwinden bei trainierten Personen bis zur Bedeutungslosigkeit, besonders dann, wenn es um Ausdauerleistungen geht. Wenn allen »geeigneten« Frauen erlaubt wäre, Krieger in diesem Sinne zu sein, würde das auch das Bild des per definitionem männlichen Kombattanten untergraben.

So erklären sich auch die enormen Widerstände, die weibliche Mitglieder der US-Armee erlebt haben, wenn sie in Eliteeinheiten aufsteigen wollten. Obwohl Bundeswehr-Eliteeinheiten wie das Kommando Spezialkräfte (KSK) nur einen Bruchteil der Streitkräfte ausmachen; obwohl von einem weiblichen Ansturm auf die Bundeswehr bisher keine Rede sein kann, klingt bereits in den ersten Begrüßungen des Urteils die Absage an weibliche Ansprüche auf diesen Hort der Männlichkeit durch. Sekundiert werden die Herren von Frauen wie der Wehrbeauftragten Claire Marienfeld, die in keinem ihrer Interviews versäumte, darauf hinzuweisen, dass Frauen immerhin der Belastung des Gebärens und der Kinderaufzucht ausgesetzt seien.

Die Bundeswehr hat, verglichen mit anderen Armeen von Nato-Staaten, einen sehr geringen Anteil weiblicher Angehöriger - nach eigenen Angaben liegt er bei 1,3 Prozent. Diese Frauen, die überwiegend im Sanitätsdienst und zum kleineren Teil im Musikkorps eingesetzt sind, unterliegen formal dem Waffenverbot des Grundgesetzes: Sie »dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten«. Eine Waffenausbildung haben sie dennoch durchlaufen, und zum so genannten Selbst- und Kameradenschutz dürfen sie die Waffe auch einsetzen. Trotzdem hat sich das Rollenbild dieser Bundeswehr-Angehörigen nicht entscheidend gewandelt. Sie helfen, pflegen und schmücken.

Im Fall der Klägerin vor dem EuGH, Tanja Kreil, ist das nicht mehr so einfach. Zwar wird sie entsprechend ihrer Berufsausbildung immer als Elektronikerin bezeichnet - womit der Gedanke an Kampfeinsätze im Krieg zunächst wegrückt -, aber gelegentlich äußerte sie auch ihre Begeisterung für die moderne Waffentechnik. Andererseits besteht sie darauf, keine feministische Vorreiterin zu sein. Mit dem Image eines ausdrücklich unpolitischen Girlies eignet sie sich hervorragend für eine Kampagne, deren Ziel es ist, einen bestimmten Personalbedarf der Bundeswehr zu decken. Dass der Bundeswehrverband sie mit öffentlichkeitswirksamer Unterstützung begleitet, spricht weniger für seine Frauenfreundlichkeit als vielmehr dafür, dass es an qualifizierter Konkurrenz fehlt - unter anderem deshalb, weil Männer mit höheren Schulabschlüssen immer seltener zur Bundeswehr wollen.

Wie viele solcher jungen Frauen wären nötig, um die Armee - wie gerne behauptet wird -, »menschlicher« und den »Umgangston« besser zu machen? 20, 50, 70 Prozent? Die US-Armee, die den weltweit höchsten Frauenanteil an Freiwilligen hat, hat es seit Abschaffung der Wehrpflicht vor einem Vierteljahrhundert auf 14 Prozent gebracht. An öffentlichen Skandalen wegen Übergriffen und Belästigungen fehlte es nicht, und Beobachterinnen fragten sich bisweilen, ob die Skandale von der Army nicht zusätzlich gepusht wurden - wegen ihrer abschreckenden Wirkung.

Doch nicht Frauen machen das Militär human - das Militär instrumentalisiert Frauen für inhumane Zwecke. In diesem Punkt ist auch die feministische Debatte in der BRD weitgehend oberflächlich geblieben. Dem Gleichstellungsargument kann gar nicht vernünftig widersprochen werden; dementsprechend laut posaunt es seine prominenteste Vertreterin Alice Schwarzer heraus. Auf der Gegenseite werden »weibliche Fähigkeiten« wie Friedfertigkeit und Teamfähigkeit beschworen. Im schlimmsten Fall wird das Argument, dass Frauen Leben schenken und nicht nehmen sollten, aus der Mottenkiste geholt. Wer sich aber dem Gleichstellungsargument anschließt, sollte sich wenigstens klarmachen, dass emanzipatorisch nicht ist, alles das zu tun, was Männer nicht lassen wollen.

Frauen, die danach streben, Befehlsempfängerin zu sein und Befehle zu geben, stellen das System nicht in Frage, sondern stabilisieren es. Wenn Frauen das Recht wollen, in einer Armee Dienst mit der Waffe zu leisten, bekommen sie die Pflicht, über das Töten auf Befehl nachzudenken, mitgeliefert. Selbstverständlich, das ist eine ethische Forderung. Schließlich sind im modernen Krieg 90 Prozent aller Opfer ZivilistInnen - die meisten davon Frauen. Die Männlichkeitsmaschine Militär benutzt Gewalt gegen Frauen explizit als Mittel der Kriegführung und als Argument für militärisches Eingreifen. Frauen, die das Militär und seine Ziele befürworten, können mit dem Wort Gleichheit auf den Lippen fröhlich in die Kaserne ziehen und damit die Modernisierung beschleunigen, an dessen Ende eine kleine, effektive und wahrscheinlich von der Wehrpflicht entkernte Armee stehen wird - weltweit einsetzbar und hierarchisch organisiert wie eh und je.