Issue: Reissues

Zu Dutzenden werden Soul- und Funkplatten der frühen Siebziger wieder veröffentlicht, trotzdem ist niemand richtig glücklich.

Der Kalifornier DJ Shadow und der New Yorker DJ Spinna sind Brüder im Geiste. Beide sind als HipHop-Produzenten bekannt für Stilsicherheit und musikalische Offenheit, als DJs für ihre Skills und vielseitigen Sets. Sie gelten als HipHop-Traditionalisten im besten Sinne, versuchen sich aber auch erfolgreich in angrenzenden Genres - kurzum, sie haben nicht den Ruf von Dogmatikern oder Puristen. Trotzdem heißt es auf der Hülle von Spinnas »Heavy Beats Vol. 1»-Album »The beats on this joint were made strictly with original breaks. No bootlegs, compilations or reissued shit - you hear!« Und von DJ Shadow gibt es dasselbe zu hören: Auch ihm kommen keine Wiederveröffentlichungen unter die Nadel.

Mit ihrer Abneigung sind die beiden nicht die einzigen. Sie sprechen vielen Liebhabern alter Soul- und Funkplatten aus der Seele, die seit etwa zwei Jahren missmutig verfolgen, wie die Schätze, denen sie jahrelang hinterher gejagt sind, als Neuauflagen auf den Markt geworfen werden. Als Vinylplatten wohlgemerkt, in den Originalcovern, sogar mit den Originallabels beklebt und größtenteils von guter Qualität - keine minderwertigen Bootlegs mit ausgeblendeten Titeln, wie sie vorher für all diejenigen kursierten, die die richtigen Breaks und Beats haben, aber nicht die Zeit zum Suchen aufbringen wollten.

Wie etwa in den frühen Neunzigern. Damals lief in Clubs, die etwas auf sich hielten, entweder Techno oder Musik, die manchmal tanzbar und funky war, aber fast immer rar. Um die DJs herum standen Jungs und versuchten, die Namen auf den Labels zu entziffern. Das war Rare Groove und jeder wusste ungefähr, was damit gemeint war. In Wohn- und Kinderzimmern spielte man »Erkenne das Sample« und begann, auf Plattenbörsen und Flohmärkten nach Platten von den Ohio Players, Mandrill oder Funk Inc. zu suchen. Selbst ganz reguläre Neuerscheinungen waren nur schwer auf Vinyl zu finden, und die Jungs, die in den Plattenläden zum Inventar gehören, trugen »Save-the-Vinyl»-T-Shirts. Die Menschheit besaß entweder gar keinen Plattenspieler mehr oder gleich einen Technics MK II.

Doch was damals praktisch unauffindbar war und bei den einschlägigen Dealern als der ganz heiße Scheiß gehandelt wurde, verstopft heute bei jedem musikalischen Gemischtwarenhändler die Regale. Die frühen Alben von Kool & the Gang, der kosmische Soul von Undisputed Truth, das Wichtigste der legendären Meters, die gesammelten Werke von James Brown und obskure Funk-Meisterwerke von Gruppen wie Ripple oder African Music Machine - wer will, kann es auf frischen Pressungen erwerben. Große Firmen wie Polydor, Epic und Columbia veröffentlichen quer durch ihre Back-Kataloge, kleinere Labels wie Luv'n'Haight übernehmen die etwas weniger bekannten Werke. Selbst Platten von Stevie Wonder oder Earth, Wind & Fire, die in jeder Flohmarktkiste Staub fangen, werden wieder veröffentlicht.

Eigentlich müssten jetzt alle zufrieden sein. Stapelweise wird großartige Musik wieder zugänglich gemacht, das Vinyl scheint, da 15jährige sich nicht länger Mopeds, sondern DJ-Einstiegssets schenken lassen, vorerst gerettet. Und die Überreste der Wichtigtuerei und des Insiderismus des Rare-Groove-Kults werden endgültig ins Grab getreten. Außerdem muss man für ein Album von Beginning of the End keinen Hunderter mehr ausgeben.

Tatsächlich ist aber keiner so richtig glücklich. Nur den Fundamentalisten unter den Sammlern - sowohl denjenigen, die für eine Rarität ihre Großmutter verkaufen würden, als auch denen, die aus Prinzip für keine Platte mehr als zehn Mark bezahlen - ist das Ganze egal. Doch dass dieselben Leuten, die immer mitleidig gelächelt haben, wenn man sonnige Tage in den dunklen Hinterräumen von Plattenläden verbrachte, und die Funk immer scheiße fanden, nach zwei Tarantino-Filmen Blaxploitation für Kult halten und im Auto Musik von den Delfonics hören, lässt den einen oder anderen Plattensammler die Nase rümpfen.

Bösartig könnte man nun unterstellen, dass die Nerds schlicht Angst haben, die Exklusivität ihrer Insiderwelt zu verlieren; gutwillig gewendet wird durch die Wiederveröffentlichungen ein über Jahre angeeignetes kulturelles Wissen trivialisiert. Wo man eben noch selbst die Maßstäbe gesetzt hat, ist jetzt ein Genre zur Kanonisierung freigegeben. Lieblingsmusik wird auf dem Markt der Differenzen billig angeboten und die Beschäftigung damit vom Mainstream ein- und sogar überholt. Und wenn schließlich die abseitigen Sachen fabrikneu im Regal stehen, bevor man sie »entdecken« kann, macht die Sache einfach keinen Spaß mehr.

Dass das so ist, wie es ist, liegt natürlich auch an den Shadows und Spinnas dieser Welt, die das Abfallprodukt Vinyl am Leben gehalten, für eine neue Nachfrage nach alter Musik gesorgt und Entwürfe für ein glamouröses Lifestyle-Modell geliefert haben. Indem sie Platten sammeln, vollziehen sie nicht einfach eine Geschichte nach, sondern entwerfen eine eigene; indem sie Platten produzieren und auflegen und als Künstler auftreten, repräsentieren sie diese Geschichte und liefern so natürlich auch die Grundlage für ihre Verwertbarkeit.

Denn Shadow und Spinna geht es beim Produzieren von Musik um mehr als nur um das clevere Anzapfen irgendwelcher Quellen. Der Prozess des Samplings wird zu einem bewussten Rückgriff auf eine musikalische Tradition, die die Grundlage ist für die eigene Arbeit und eben auch der Anlass für die Suche nach den vergessenen Perlen - und beide sind nicht zufällig eifrige Plattensammler. Demgegenüber kann die Welle der Wiederveröffentlichungen natürlich nur einem kommerziellen Kalkül entsprechen.

Für beide gibt es einen Zusammenhang zwischen der Quelle der Musik und ihrem Wert. Dabei geht es weniger um Erhältlichkeit als um die Art des Zugriffs: Die Idee eines traditionsbewussten und respektvollen Samplings beruht auf der Einbettung des Zitierten in einen authentischen Zusammenhang, der durch Benutzung der Original-Platte aufgerufen wird. Wer auf eine Nachpressung zurückgreift, trennt demnach den Soundschnipsel von seinem Kontext.

Allerdings hat dieser Moment schon stattgefunden, als der DJ Kool Herc Mitte der Siebziger sein musikalisches Material fragmentierte, neu kontextualisierte und so das Grundmuster für die Vorgehensweise von HipHop entwarf. Tatsächlich kann sich ein Titel schon längst nicht mehr über das - erkannte und eingeordnete - Sample definieren, sondern muss als klangliche Einheit funktionieren. Denn HipHop bringt den Funk nicht zurück, indem er ihn als Fragment zitiert, sondern indem er selbst funky ist.