Stimme der NS-Soldaten

Dem »Juden raus»-Titel der Neonazi-Zeitschrift Zentralorgan folgten nun Razzien in der Hamburger Szene.

Die Website steht noch. Nur zu lesen gibt es unter der Internetadresse des Nationalen Widerstands vom Zentralorgan (Zorg) nichts mehr. Denn am Montag vergangener Woche haben Staatsanwaltschaft und Staatsschutz Wohnungen und Postfächer der Herausgeber des Hamburger Organs der Freien Nationalisten durchsucht. Nachdem die Staatsanwaltschaft der Hansestadt Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen die Hamburger Thomas Wulff, Tobias Thiessen, Dirk Sukol und den Ludwigsluster Klaus Bärthel eingeleitet hatte, untersuchten die Beamten in den frühen Morgenstunden neun Objekte in Hamburg, Ludwigslust, Teldau und eine Druckerei in Hildesheim.

Anlass der Ermittlungsverfahren: Die Novemberausgabe von Zentralorgan trägt den Titel »Juden raus« - und etwas kleiner - »aus Österreich«. Sinnentstellt wurde der israelische Staatspräsident Ezer Weizmann zitiert, der nach dem Wahlerfolg von Jörg Haider die Juden in Österreich aufgerufen hatte, nach Israel zu kommen.

Die vier Verdächtigen im Alter von 29 bis 61 Jahre sollen die Novemberausgabe fertig gestellt und vertrieben haben. Bei den Durchsuchungen stellten die Beamten vier Computer, CD-Roms und 930 Exemplare von Zentralorgan sicher. Dass erst zwei Monate nach dem Erscheinen der Novemberausgabe eingegriffen wurde, versucht der ermittelnde Staatsanwalt Rüdiger Backer mit polizeitaktischen Überlegungen zu erklären: »Es mussten erst genügend Verdachtsmomente gesammelt werden«, und »da es eine länderübergreifende Aktion war, musste sie genau abgestimmt werden«.

Außerdem, so betont Backer, »richteten sich die Durchsuchungen nicht generell gegen das Zentralorgan, sondern ausschließlich auf die Novembernummer«. Deshalb sei auch nicht die Wohnung von Thorsten Bärthel, des Zorg-Konto- und Aboverwalters, durchsucht worden. Mit der rechtlich relevanten achten Ausgabe habe er nichts zu tun.

Das Konzept für ein bundesweites Magazin der Zusammenschlüsse aller Freien Nationalisten war bereits 1997 entwickelt worden: von den Hamburger Neonazi-Kadern Thomas Wulff und Christian Worch sowie von den Mitgliedern der Sauerländer Aktionsfront (SAF), Thomas Kubiak und André Zimmermann. Auch der Gründer des Donner-Versands, Harald Theo Mehr, war beteiligt.

Als Absicht wurde dabei formuliert, die »politisch-argumentative Schulung der freien Kräfte zu fördern« und Anregungen für den »nationalen Widerstand« zu geben. Der Name Zentralorgan ist Programm. Man will Ideologieblatt und Politmagazin sein: Mit politischen Hintergrundartikeln, tagespolitischen Kommentaren und Demoberichten. Um dem Niveau der Nazi-Skinszene gerecht zu werden, erschien in den ersten Ausgaben als Einleger das Skinzine Moonstomp, das bis dahin von der SAF herausgegeben worden war.

Die Initiatoren aus dem Sauerland erlebten die erste Beilage ihres Zines im Zentralorgan nicht mehr. Auf dem Rückweg von einem Redaktionstreffen in Hamburg fuhren Zimmermann, Kubiak und Mehr in einen Lkw. Seither werden sie in Zorg als Märtyrer gefeiert, die »mit sturmzerfetzter Fahne voranmarschierten«. Seit 1997 sind acht Ausgaben in unregelmäßigen Abständen und in einer geschätzten Auflage von 1 500 Exemplaren beim Wolf-Verlag Norddeutschland erschienen. Presserechtlich verantwortlich zeichnet ein niederländischer Name - ein Pseudonym des holländischen ANS-Kaders und Worch-Freundes Eite Homann.

»Juden raus« war zwar die bisher deutlichste antisemitische Formulierung, aber nicht die erste. »Hey Bubis, liest Du uns?« hatte die Redaktion schon in Nummer fünf den jüngst verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis gefragt, und ihn als »eine überstaatliche Instanz der politisch-moralischen Kontrolle« diskreditiert. Das antisemitische Sereotyp der ZOG (Zionist Occupied Government) wurde ebenso bemüht wie die »Assoziationskette Israel-Juden-Giftgas« als »wirksames Propagandamittel« der »One-world-Polizei USA« und Israels gegen Kritiker. Die Macher des beigehefteten Skinzines Blitzkrieg gratulierten Bubis zu der »Ehre«, dass »sein Konterfei das Titelcover des Tonträgers« »Rock gegen oben« der neonazistischen Band Landser ziere, die mittlerweile auf dem Index steht.

Neben Antisemitismus und Antiamerikanismus setzen die Redakteure auf Geschichtsrevisionismus. Beklagt wird, dass das »Gedenken an die Toten unseres Volkes in Vergessenheit geraten« sei. Immer wieder geht es um die Forderung, den »aufopferungsvollen Kampf jener Soldaten, die damals im Osten verzweifelt gegen die Weltversklavung durch den Bolschewismus« gekämpft hätten, zu ehren. Revisionismus kommt auch zum Ausdruck, wenn die »Neuordnung Deutschlands« auf »Kosten des Volkes« durch die Sieger beschrieben wird: »Sie exekutierten an den Wehrlosen ihre Vorstellung von 'umfassender Umerziehung und Demokratisierung' mit Holzhammer und Brecheisen«.

Die Freien Nationalisten sehen sich in der Nachfolge der nationalsozialistischen Soldaten, dies spiegelt sich in allen Ausgaben des Zorg wider: Stets geht es um die Heroisierung des »ewigen Kampfes der Deutschen gegen die jüdisch-bolschewistische Weltherrschaft« und die Idealiserung des »echten Kämpfers für die weiße Rasse«.

Zwar betont der Hamburger Verfassungsschutz, das Zentralorgan sei eines der »erfolgreichsten neonazistischen Zeitungsprojekte«, doch erst der »Juden raus»-Titel veranlasste zum Handeln. »Wir gehen davon aus, dass wir ausreichend Material gefunden haben, um die Ermittlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen«, sagt Backer und hofft nun, dass der Vertrieb der Nummer acht unterbleibt und die Macher der Ausgabe strafrechtlich belangt werden.