Wir sagen Ja zur modernen Zeit

Jörg Burger und The Popular Organization, Rafael Horzon und die modocom-Firmengruppe - keine Machtphantasie ist stärker als die Vorstellung des eigenen Imperiums.

Wenn es in den Neunzigern für Leute zwischen Anfang und Ende zwanzig ein Rollenmodell gab, dann war es das des Praktikanten. Und es sieht nicht so aus, als ob sich daran im Laufe der kommenden Jahre etwas ändern wird. Die Wirtschaft will es so, und wir wollen es auch. Flexibel sein und einüben, was es heißt, sich als Ein-Mann-Firma auf dem Markt zu behaupten, ist die Zuschreibung. Alles mal ausprobieren, hier was machen, da was machen, und sich auf nichts wirklich festlegen, ist der Lebensabschnittsplan. Die Dinge vorantreiben. Alles wollen, zwar nicht haben, aber sein. Für ein paar Monate.

Wo soll das hinführen, wie geht es weiter? Man weiß es nicht. Eins aber ist klar - für alle, denen es so geht, für alle, die sich als One-Man-Company durch die Flure von allen möglichen Agenturen und Büros kämpfen müssen, ist das One-Man-Firmen-Imperium die ultimative Machtphantasie. Die Vorstellung von einem Hochhaus mit dem eigenen Namen in leuchtenden Lettern auf dem Dach, ist für jeden Praktikanten und jede Praktikantin eine stärkere Machtphantasie als jede Art von politischem Umsturz.

Das heißt nicht, dass er oder sie das auch tatsächlich wollte, denn wie viel Arbeit das ist, so ein Haus aufzutürmen, und wie viel uninteressante Dinge man tun muss, um so weit zu kommen, das kann man ja bei seinen Chefs beobachten, mit denen man eigentlich nicht tauschen möchte. Denn die müssen immer früh aufstehen, man selbst aber nur, bis das Praktikum vorbei ist, aber so ist das nun mal mit Phantasien. Man jeanst die Straße herunter, sieht ein leer stehendes Bürohaus oder ein unbebautes Grundstück und denkt sich: Das wäre der Ort für meinen Tower.

Und wo starke Machtphantasien von Twens durch die Gegend geistern, ist Pop nicht fern. Jörg Burger etwa. Seit Jahren macht er elektronische Musik, unter diversen Pseudonymen, und jetzt hat er ein Fake-Firmen-Imperium aus dem Boden gestampft und ins weltweite Netz gehoben, das sich The Popular Organization nennt und sich im Internet unter popular.org findet.

Wenn es einen universal interessierten Dilettanten gibt, dann ist es Jörg Burger - mit dem Unterschied vielleicht, dass fast alles, was er bisher gemacht hat, auch gelang. Er war der Herausgeber eines kleinen, feinen und legendären Musik-Magazins namens House Attack, das über Plattenläden vertrieben wurde und in kleiner Auflage erschien, die dadurch noch kleiner wurde, dass die Plattenhändler die wenigen Exemplare horteten, um sie ihren Freunden geben zu können. Er hat mehr als ein halbes Dutzend Plattenlabels betrieben, außerdem einen Plattenladen, der erst »Delirium« hieß und seit einigen Jahren unter dem Namen »Kompakt« firmiert. Und er hat ein Grafik-Design-Büro gegründet.

Nun gibt es unter den Machern elektronischer Musik in Köln schon seit Jahren die Tendenz, den eigenen Output als Produktreihe herauszubringen. Wolfgang Voigt alias Mike Ink hat es darin zur Meisterschaft gebracht. An die Stelle eines Künstlersubjekts tritt das Corporate Design einer Reihe. Ein bestimmter Klang der Musik, ein bestimmtes Layout der Hülle, eine bestimmte Namensgebung der Titel. Die Veröffentlichung von elektronischer Musik so zu handhaben, hat natürlich auch noch andere Gründe als die, dass das Künstlersubjekt abhanden gekommen ist. Wenn man Platte auf Platte aus seinem Studio wirft, bekommt das Arbeiten an der Musik selbst einen seriellen Charakter, hat etwas von Fließbandarbeit oder zumindest von Manufaktur. So erschien Anfang der Neunziger schon einmal ein Album von Jörg Burger unter dem Pseudonym Burger Industries. Hier taucht es also schon auf, das Konzept des Künstlers als Industriekomplex.

Jetzt geht Burger aber noch weiter. Sein Labelkomplex The Popular Organization kommt als verzweigtes Dienstleistungsunternehmen daher. Da gibt es die drei Plattformen Popular Tools, Popular Music und Popular Sound, die erste für Tanzbares, die zweite für Pop, die dritte für experimentelle Musik, außerdem gibt es aber noch Popular Midi, die Unterabteilung für Midisoftware und Popular Art für Design. All das dargeboten auf einer Homepage, die durchaus der Auftritt eines mittelständischen Unternehmens für Neue Medien sein könnte. Ist es aber nicht. Es sind nur Jörg Burger und ein paar seiner Freunde, die sich einen Spaß erlauben, der desto ernster wird, je mehr man ihn so nimmt.

»The Modernist Explosion« heißt das erste Album auf Popular Tools, und damit bedient sich Burger nicht nur des Pseudonyms, mit dem er seinen bisher größten Erfolg hatte, sondern auch des Namens, der am deutlichsten herausstreicht, wo eine ästhetische Strategie, wie die des Firmengründens verortet werden kann: Es geht um das Modern-Sein. Das wird auch durch das Coverdesign unterstützt, das im Stile des russischen Konstruktivismus und des italienischen Futurismus daherkommt.

Und damit hat Jörg Burger auch Gemeinsamkeiten mit Rafael Horzon, dem Begründer der modocom-Firmengruppe, die sich auch vor allem eines auf die Fahnen geschrieben hat: modern sein. Horzon macht zwar keine Musik, aber alles Mögliche andere: Zu modocom gehören ein Möbelhaus, ein Verlag und eine Hochschule. Und so großspurig und verzweigt modocom daherspaziert kommt, im Wesentlichen besteht es auch nur aus Rafael Horzon und seinen Simulationskünsten.

Vor Jahren war er Mitbegründer der Galerie Berlin/Tokio, einem Laden, der für Furore sorgte, als dort eine Ausstellung japanischer Künstler zu sehen war, die von Anfang bis Ende von Berlinern für Berliner gemacht war, aber trotzdem überall für »asiatisch« genommen wurde. Doch als sich herausstellte, dass die anderen Organisatoren auch wirklich Kunst ausstellen wollten, stieg Horzon aus. Denn Kunst ist für Horzon unmodern. Und zwar deshalb, weil alles zur Kunst erklärt werden könne, auch eine Wurstfabrik, und so in diesem Bereich keine Weiterentwicklung mehr möglich sei. Im Unterschied zur Wissenschaft etwa oder zum Marketing. Horzon empfahl, man möge alle Galerien und Museen der Welt »in die Luft sprengen«, und begründete die Wissenschaftsakademie Berlin, die »erste private Hochschule der Stadt«.

Erklärtes Ziel der Wissenschaftsakademie ist es, die »fälligen Studienreformen« in Deutschland vorwegzunehmen und den Studenten mit »modernen Lehrmethoden nach US-amerikanischem Vorbild« wieder Spaß am Lernen zu vermitteln. Keine langen Studienzeiten mehr, nach dem erfolgreichen Besuch von vier Veranstaltungen bekommt man seinen Abschluss, schnelle Erfolgserlebnisse, zum Erlangen eines Scheins reicht es aus, 50 Prozent der Fragen bei einem Multiple-Choice-Test richtig zu beantworten, und radikale Interdisziplinarität. Die Veranstaltungen in der Wissenschaftsakademie reichen von »Rechtsfragen im Internet« und »Der Schabrackentapir« bis zu »Sprengen und Sprengverfahren«. Andere Vorlesungen drehten sich um »Hüftgelenk-Operationen in Indien« und »Supermensch versus Genkartoffel: Wo liegen die Grenzen?« oder »Sind unsere Kids noch zu retten?«. Eine Institution, auf die die staatlichen Hochschulen mit Verwirrung reagierten, zumal Horzon allen Berliner Universitäten Kooperationen mit der Perspektive einer Fusion anbot.

Da auf dieses Anliegen nur abschlägige Antworten kamen, begründete er, um die Akademie zu finanzieren, die modocom-Firmengruppe, zu der Möbel Horzon und der www-Verlag Berlin gehören. www wie Wissenschaft, Wirtschaft und Weiteres, ein Verlag, in dem bisher nur ein Buch erschienen ist, »Modern sein - Fit im Kopf ins 3. Jahrtausend«, ebenfalls von Rafael Horzon: das Buch, in dem er seine Philosophie zu Wissenschaft und Marketing erläutert. Seine eigenen Unternehmungen dienen dabei als die besten Beispiele.

Zum guten Marketing gehört etwa eine »Konsequente Markenpolitik« wie bei »Dr. Oetker, Brügge Haferflocken, Möbel Horzon, Knorr«. Und ein Möbelhaus, das lediglich drei Produkte verkauft, ein Plattenregal (»Modern«), ein CD-Regal (»Interessant«) und ein Videocassettenregal (»Attraktiv«) ist tatsächlich die Definition von konsequenter Markenpolitik.

Und jenseits aller Fakes, aller Simulation, aller Phantasien und aller Ohnmacht gibt es die Regale von Möbel Horzon wirklich. Man kann Platten, Aktenordner, Videocassetten oder CDs hineinstellen. Etwa »The Modernist Explosion«. Es ist luftiger und gerader Vier-Viertel-Techno, und wo immer man es laufen lässt, fangen die Menschen an mit dem Fuß zu wippen oder mit dem Kopf zu nicken.

»The Modernist Explosion«. Popular Tools / Sony