Kutter bei die Fische

Zwölf Seeleute starben, als der überladene Frachter »Scantrader« im Atlantik versank. Nun verurteilte das Hamburger Landgericht die Reeder zu milden Bewährungsstrafen.

Statt mit stabilisierendem Ballast ist der Bug mit gewinnbringendem Zement beladen. Kompressor, Seewasserleitung und Rückstauklappen der »Scantrader« sind defekt. Die Seewetterstationen im spanischen Bilbao warnen vor einem Sturm in der Biskaya. Dennoch läuft der Zementfrachter aus - das einzige Schiff, das an diesem Morgen den Hafen verlässt. Die Ware ist pünktlich abzuliefern, Verspätungen zahlt der Reeder. Wenige Stunden später sinkt das Schiff, zwölf Seeleute sterben in den Wogen des Atlantik.

Fast genau zehn Jahre ist es her, dass die »Scantrader«, ein deutsches Schiff unter maltesischer Flagge, unterging. Am Donnerstag vergangener Woche nun zog das Hamburger Landgericht die Reeder für die fehlende Sicherheit des Schiffes zur Verantwortung. Die Richter verurteilten die beiden damaligen Schiffseigner Heinrich und Heiner Beutler sowie deren Geschäftspartner Jerzy Kulakowski wegen »versuchten gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr« zu je acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Sie hätten das Überladen der »Scantrader« angeordnet und damit die Gefährdung der Crew in Kauf genommen.

Angezeigt hatte die Reeder Klaus Meyer von der ÖTV-Abteilung Seeschifffahrt in Hamburg. »Das war kein tragischer Unfall«, sagt Meyer. »Die Reederei hat zwölf Menschen in den Tod getrieben.« Die Staatsanwaltschaft hatte im Januar 1995 Anklage wegen Mordes aus Habgier gegen die Schiffseigner und deren Kompagnon Kulakowski erhoben. Nur Senior Heinrich Beutler als Eigentümer der Reederei SK Schiffahrt wurde damals verurteilt. Wegen »gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr« bekam er im Dezember 1997 eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und eine Geldbuße in Höhe von 20 000 Mark. Gegen den Freispruch für die beiden anderen und die milde Strafe für Heinrich Beutler legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Auch Beutler selbst ging in die höhere Instanz: »Ich fühle mich zu Unrecht verurteilt.«

Es war das erste Mal in der Rechtsgeschichte, dass ein Reeder für die Sicherheit auf seinem Schiff strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Unter den Schiffseignern der reichen Industriestaaten gehört es zum guten Ton, sich durch Trickserei aus der Verantwortung zu ziehen: Das Schiff sticht unter der Flagge eines Billiglohnlandes in See, etwa Maltas, Zyperns oder der Bahamas. Die deutschen Gesetze gelten für sie nicht, folglich können die Reedereien ihre Besatzung zum Billigtarif entlohnen, Steuern sparen und Sicherheitsauflagen umgehen.

Kommt es zu Unfällen, muss grundsätzlich der Flaggenstaat ermitteln. Malta aber, dessen Flagge die »Scantrader« führte, verfügt über keine eigene Flotte - also auch über keine Seegerichtsbarkeit. Deutsche Reeder haben dort keine Strafe zu fürchten. Dass im Fall der »Scantrader« dennoch ermittelt wurde, »liegt nur daran, dass drei der Männer an Bord zufällig Deutsche waren«, sagt ÖTV-Mann Meyer.

Hinzu kommt, dass in der Seeschifffahrt bisher stets der Kapitän zu verantworten hatte, was an Bord geschieht. Allein er sei für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und die Beladung eines Frachters verantwortlich, beharrten auch die Angeklagten im jetzigen Verfahren. »Der Reeder«, so Beutlers Verteidiger Helmut Sempell, »sitzt am Schreibtisch und sieht nicht, was auf dem Schiff passiert.« Nicht umsonst, so hatten die Anwälte das Amtsgericht im ersten Prozess 1997 belehrt, heiße der Kapitän in der Seefahrt auch »master next to God«.

Doch die Bezeichnung, hatte der damalige Richter korrigiert, stamme aus der Zeit der Segelschifffahrt; aus einer Zeit, in der der Kapitän nicht über Telefon Kontakt mit der Reederei aufnehmen konnte und entsprechend mit umfassenden Vollmachten ausgestattet sein musste. »Heute nennt man Kapitäne auch schlicht 'Überseetransportbegleiter'«. Sie könnten Kontakt zur Reederei halten - und deren Anweisungen entgegennehmen. Die Besatzung sei dazu sogar verpflichtet gewesen: Täglich um zehn Uhr musste der Kapitän bei der Lübecker Reederei anrufen.

Heinrich Beutler will dennoch nicht gewusst haben, mit welcher Fracht das Schiff Bilbao in Richtung der britischen Hafenstadt Sharpness verließ. Dabei hatte seine SK Schiffahrt erst wenige Monate vor der Todesfahrt das 26 Jahre alte Schiff gekauft und zum Zementfrachter umgebaut. Auf der möglichen Lademenge baute die Kalkulation auf.

Die Werft hatte Beutler mehrfach darauf hingewiesen, dass der Frachter instabil sei und immer Ballastwasser mit sich führen müsse. Und sie brachte ein entsprechendes Warnschild auf der Brücke an. Das Amtsgericht hatte festgestellt, dass die »Scantrader« dennoch 26 Mal überladen auslief. »Es war reiner Zufall, dass das Schiff nicht schon früher unterging.« Der Vorsitzende des Hamburger Landgerichtes sprach nun sogar von 28 Fahrten mit Überladung. Dass die Reise aber zur Todesfahrt wurde, weil das Schiff zu viel Zement an Bord hatte, habe sich zehn Jahre später nicht mehr beweisen lassen.

Davon ist natürlich trotzdem auszugehen. Ein ehemaliger Kapitän hatte vor der Polizei ausgesagt, ihm sei von der Reederei im Mai 1989 gekündigt worden, weil er sich weigerte, hundert Tonnen mehr Zement als zugelassen zu laden. Der Schiffsingenieur Klaus Taube, vier Jahre lang auf Beutlers Frachtern unterwegs, berichtete, dass ein Kapitän, der selbstständig Entscheidungen treffen wollte, »sofort rausfliegen würde«. Er selbst habe wenige Wochen vor der Todesfahrt den Dienst quittiert, weil die SK Schiffahrt notwendige Reparaturen unterlassen hat. »Die Crew hatte vor dem Schiff Angst.« Das habe er, Taube, der Reederei mitgeteilt. Im Dezember 1989. Zwei Monate später sank die »Scantrader«.

Über das Schicksal der verstorbenen Seeleute verloren die drei Angeklagten vor dem Hamburger Landgericht kein Wort. Das der Hinterbliebenen kam nur am Rande zur Sprache: Als der Vorsitzende Richter nachfragte, wo die 500 000 Mark geblieben seien, welche die Unfallversicherung damals für die Angehörigen der indischen Seeleute an die Reederei auszahlte - und die niemals bei den Familien in Indien angekommen sind. »Heinrich Beutler«, sagt Sohn Heiner über seinen Vater, »hat das Geld nicht bekommen.« Die Frage, ob er es selbst einkassiert hat, wollte er nicht beantworten.