Lurchi ist tot

Früher symbolisierte der Feuersalamander die Geburt des Genies, doch in Jan Peter Bremers Roman liegt er tot am Straßenrand. Und der Künstler hat Schreibhemmungen.

Sie ist groß und bückt sich« oder »Mein Feind, die Flasche« sind nur zwei der unzähligen Titel der täglich unaufgefordert eingesandten Manuskripte, die auf den Tischen von Lektoren landen. Offenbar hat Joseph Beuys vielen Menschen Mut gemacht, als er behauptete: Jeder ist ein Künstler. Und spätestens seit junge deutsche Literatur wieder marktfähig ist, glaubt jeder, sich als Autor selbst verwirklichen zu müssen. Ein beherrschendes Thema dieser Texte ist die eigene Unzulänglichkeit, das tägliche Versagen. Schreiben ist Hilfe und Hoffnung zugleich. Schreiben ist Therapie. Der eine ist gerade von seiner Freundin verlassen worden, der andere hat ein Alkoholproblem. Manche, denen gar nichts einfällt, schreiben darüber, dass ihnen nichts einfällt.

Um einen verhinderten Schöpfer geht es auch in Jan Peter Bremers neuem Roman »Feuersalamander«. Im Gegensatz zu vielen anderen hat der 34jährige Autor bereits vier Bücher veröffentlicht und für seinen Roman »Der Fürst spricht« 1996 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Seine Bücher bekamen das Etikett »Bonsai-Romane« verpasst, und tatsächlich hat Bremer mit seinem neuen, 112 Seiten starken Roman sein bisher umfangreichstes Werk vorgelegt.

Ein Schriftsteller sucht Ruhe und Abgeschiedenheit und landet in einem abgelegenen Städtchen in den Bergen. Dem Lärm der Großstadt und der Familie entkommen, glaubt er, endlich einen paradiesischen Ort gefunden zu haben, an dem er ungestört schreiben kann. Er muss nur noch ein ruhiges Zimmer nehmen und eine tragische Figur erfinden: »Ich hatte nur eine Idee, ein Mensch«, so beginnt »Feuersalamander«.

Die Erschaffung des Menschen ist ein Topos, der sich sowohl in der Mythologie der archaischen als auch der christlichen Kultur findet und bei Bremer in den Schöpfungs- und Erlöserphantasien des Ich-Erzählers zum Ausdruck kommt. Der Schriftsteller empfindet sich selbst als »a second maker«, wie es der britische Philosoph Anthony Shaftesbury Anfang des 17. Jahrhunderts formulierte.

Eigentlich stimmt alles. Der Schriftsteller sitzt in einem ruhigen Café, das Papier liegt ausgebreitet vor ihm auf dem Tisch, den Stift hat er schon in der Hand, es fehlt nur noch der Funke, der seine Idee zum Leben erweckt. Aber schon beim Schreiben der vielen identischen Postkarten an »jemanden, den es nicht gibt, über Sachen, die nie stattgefunden haben«, wird er vom Kellner gestört. Über die Anrede »Mein Freund« wird er den ganzen Tag nicht hinauskommen.

Er redet sich ein, dass das Schreiben hier, in der Idylle, wie von selbst geht. Seine eigene Phantasie entpuppt sich als das größte Hindernis, und jeder Gedanke ist nur eine neue Ausrede dafür, nichts getan zu haben. Über die Figur, die er beschreiben will, ist er sich im Klaren: »Ein Mensch muß es sein, jemand, den man lieben kann.« Und als dann ein Mensch in Gestalt eines betrunkenen Herumtreibers an seinen Tisch kommt, ist er verärgert und fühlt sich gestört, wie zu Hause von Frau und Kind. Um ihn loszuwerden, beschimpft er ihn als »Wiedergänger«, als einen Untoten, und sagt: »Ich weiß, daß Sie die Hinterlassenschaft einer bösen Welt sind.«

Als der Schriftsteller endlich erkennt, dass er hier eine tragische Figur vor sich hat, ist der Fremde bereits zu betrunken, um noch von seinem Schicksal berichten zu können und schläft ein. Aber der Kellner kennt den Betrunkenen gut - er sei »ein lieber Kerl« und ein begabter Tänzer. Vor ein paar Tagen, berichtet der Kellner, habe der Betrunkene einen Feuersalamander auf der Straße gesehen und ihn ins Gras gesetzt, damit das Tier nicht überfahren werde. Am nächsten Tag lag der Salamander wieder auf der Straße. Die Gedärme hingen ihm aus dem Maul, und er war schon ganz ausgetrocknet. Aber die Hand des Betrunkenen war durch die Berührung mit dem Tier noch angeschwollen. Der Schriftsteller wird immer neugieriger und lädt seinen neuen Freund zu ein paar Drinks ein. Die meisten trinkt er selbst und merkt zu spät, dass sich der Betrunkene inzwischen davongemacht hat. Da wird ihm bewusst, dass er selbst ein »schwacher, unglücklicher Mensch« ist.

Bremer sagt in einem Interview, dass er sich mit »Feuersalamander«, anders als in seinen anderen Romanen, die in »abgezirkelten Modellräumen« spielten, nun in die Wirklichkeit vorwage und dass seine Figuren zum ersten Mal »vom Leser als real angenommen werden können«. Aber die meisten seiner Figuren übernehmen dennoch symbolische Funktionen.

Für den italienischen Bildhauer Benvenuto Cellini stand der Feuersalamander noch für die Geburt des Genies, bei Bremer liegt der Feuersalamander dagegen tot auf der Straße. Seinem Künstler fehlt die Fähigkeit und Leichtigkeit ursprünglichen Schaffens.

Der Betrunkene ist für den Schriftsteller inspirierend und hemmend zugleich. Anstatt endlich über ihn zu schreiben, rennt er auf der Suche nach ihm quer durch die Stadt und verliert sich in wahnwitzigen Phantasien: Die ganze Welt scheint gegen ihn zu sein und ihn um seinen verdienten Ruhm bringen zu wollen. Aber wenn er es trotz dieser Widerstände geschafft haben wird, ist es für alle anderen zu spät: »Und erst, wenn das Glück auf der ganzen Welt ausgebrochen ist«, da ist er sich sicher, »wird die Angst mit dunklen Tagen auf euch niederstürzen.« Eine Figur, die man sich gut in Monty Pythons »Leben des Brian« vorstellen könnte. Mit dem Unterschied, dass ihr niemand folgt.

Bremers Ich-Erzähler ist allein mit seinen Phantasien und seinen Schwächen, und um diese zu verdrängen, lässt er sich volllaufen und wird damit selbst zum Betrunkenen.

Später ist er so breit, dass der Kellner ihn mit nach Hause nimmt. Dort pinkelt er ins Bett und versucht, der Entdeckung dieser Peinlichkeit zu entkommen. Vergeblich. Alle nehmen ihn für sich ein, die Kinder wollen mit ihm spielen, der Kellner will noch eine Geschichte hören und hat sogar einen alten Geschichtslehrer eingeladen, der ihm noch einiges über die Stadt erzählen kann. In einem ruhigen Moment deutet der Lehrer aus dem Fenster auf den Berg und sagt: »Dagegen sind wir alle winzig.« Das ist zuviel für den armen Schriftsteller. Er dreht sich zur Wand und sagt: »Das ist meine Aussicht.« Noch einmal spürt er seine Grenzen und seine Unvollkommenheit.

Bevor er die Stadt verlässt, verspricht er, nie wieder ein Wort zu schreiben. Am Ende steht die konsequente Verweigerung des Protagonisten. Der Schriftsteller Jan Peter Bremer hat sich nicht verweigert und das witzigste und absurdeste Buch über Schreibhemmungen geschrieben, das je fertig gestellt wurde.

Jan Peter Bremer: Feuersalamander. Berlin Verlag, Berlin 1999, 112 S., DM 28