Mani tedesche

Die Skandalisierung der Parteispendenaffäre erhält die gesellschaftliche Ordnung der neunziger Jahre, indem sie sie von ihren inneren Widersprüchen befreit.

Als in Italien Anfang der neunziger Jahre die Ermittler der »mani pulite«-Affäre die Arbeit aufnahmen, ging ein Heulen und ein Zähneklappern durchs Land. Ganze Provinzregierungen wurden festgenommen, der Ex-Regierungschef Bettino Craxi zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Am Ende war das Konglomerat von Staatsbetrieben, die im Zentrum der Korruptionsaffäre gestanden hatten, zerschlagen. Keine der beteiligten Parteien überlebte die Affäre. Rechtspopulisten und Neofaschisten beerbten die Christdemokraten, verschiedene Fraktionen der Postkommunisten den PSI. In der Italienischen Republik begann eine neue Zeitrechnung.

Dergleichen wird in Deutschland nicht passieren. Und das liegt nicht daran, dass der Fall hier wesentlich anders gelagert wäre als in Italien. Auch hier hat man es mit einem Komplex von staatsnahen und Staatskonzernen zu tun, mit Gestalten aus mafiösen Zusammenhängen, die bei korrupten Politikern ein- und ausgingen, mit milliardenschweren Privatisierungen, mit Waffenhandel, Bestechung, Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug.

Dabei ist es egal, ob die hessische CDU jetzt noch die einen oder anderen zig Millionen auf diesem oder jenem Konto entdeckt. Interessanter ist, dass sich die Partei zu einer Zeit, als sie mit rassistischer Rhetorik einen knallharten Law-and-Order-Kurs fuhr, selbst all jener Methoden bediente, die sie den angeblichen ausländischen Banden zuschrieb. Das sollte eigentlich die Legitimität kosten.

Tut es aber nicht. Stattdessen darf Roland Koch - der zunächst an der Seite Manfred Kanthers gegen »Asylbetrüger«, »Russen-Mafia« und »grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität« kämpfte, dann mit Geldern aus grenzüberschreitender Kriminalität seine rassistische Wahlkampagne finanzierte und sich heute bemüht, den Schwarzen Peter einigen ausrangierten Politikern wie seinem früheren Mentor Kanther zuzuschieben - als »Aufklärer« gelten.

Während sich in Italien schnell die Erkenntnis verbreitete, dass die »tangenti« als System konstitutiv für Staat und Gesellschaft waren und deren Beseitigung notwendig auch eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse bedeuten würde (nicht unbedingt zum Besseren übrigens, wie man seitdem erfahren konnte), betreibt man in Deutschland Schadensbegrenzung durchs Führerprinzip: Allein schuldig ist Kohl, denn er stand an der Spitze.

Sein Brutus Schäuble musste zwar zugeben, vom Oberganoven Schreiber einen dicken Umschlag entgegengenommen und darüber auch noch gelogen zu haben. Dennoch konnte auch er sich als »Aufklärer« darstellen - denn nun liege aber wirklich alles auf dem Tisch. Noch naiver ist die öffentliche Meinung in Deutschland, wenn es um die Frage geht, was mit »den Zahlungen« eigentlich bezweckt wurde - »Schmiergeld« sagt man ja nicht.

Einer wie Karlheinz Schreiber, der von sich sagt: »Ich denke in Geld«, der gibt seinen Zaster nicht ohne Gegenleistung her. Und ein Freund der CDU, der der Meinung ist, durch die Nennung seines Namens würde er der Partei mehr schaden, als es Kohl durch sein Schweigen schon getan hat, der wird a) bestimmt keinen guten Namen haben und b) vermutlich Recht. Als kleine Übung sollte man vielleicht einmal an die Kategorie Söldnerführer oder Rotlicht-Boss denken: Von den Italienern lernen, heißt lernen, nichts für unmöglich zu halten.

In Deutschland wird dagegen selbst das Offensichtliche immer erst einmal unter Vorbehalt gesehen: Vielleicht verfolgte ja Schäuble mit seinen 100 000 Mark durchaus noble Ziele? Wenn es nicht so wäre, so fürchten auch gestandene Sozialdemokraten, dann hätte die CDU keinen Vorsitzenden mehr. Dann würde alles ins Rutschen kommen, wer weiß, wo das hinführt. Am besten brachte diesen Impetus der CDU-Wirtschaftsberater Horst Weyrauch zum Ausdruck. Auf die Frage nach Schweizer Schwarzkonten der Bundes-CDU antwortete er: »Wenn Sie die Antwort wissen wollen, dann wackelt die Republik.«

Neunzig Prozent der Deutschen halten trotzdem an Kohls weniger belasteten Parteifreunden fest, weil sie sie als integrativen Bestandteil einer Gesellschaftsordnung erkannt haben, in der sie sich stets recht wohl fühlten. Und zwar genau wegen der Politik, die dem finanziellen Gebaren der Regierungspartei scheinbar so sehr entgegenstand: Ausländer raus, Wohlstand für Deutsche - darin erschöpft sich die Utopie hierzulande. Anderswo, beispielsweise in Italien, ist das nicht so. Und das ist der Grund, warum man dort jede Gelegenheit, eine Regierung loszuwerden, freudig wahrnimmt. Selbst, wenn es bloß eine Korruptionsaffäre ist.