Der sanfte Tod

Die Fusion von Mannesmann und Vodafone verdeutlicht mehr als andere Vorgänge den Strategiewechsel im deutschen Kapitalismus.

Das Aufatmen auf den internationalen Finanzmärkten ist unüberhörbar. Die feindliche Übernahme des bundesdeutschen Technologiekonzerns durch die britisch-amerikanische Vodafone ist kurz vor dem finalen Show-Down abgebrochen worden. Vodafone-Chef Chris Gent kann sich seines Sieges sicher sein - die Mannesmann-Aktionäre bleiben mit einem Prozentanteil von 49,5 Prozent untergeordnet. Dafür aber hat Vodafone tief in die Kasse greifen müssen: Vor drei Monaten hatte der den Unternehmenspoker mit einem Wert von 100 Milliarden Euro eröffnet, jetzt wird der Wert der Transaktion mit 185 Milliarden Euro beziffert.

Das Übernahmeangebot von Vodafone an die Aktionäre von Mannesmann ist die bislang teuerste Fusion in Deutschland. Der Kampf um die Entscheidung der Aktionäre wurde vor einem breiten Publikum ausgetragen: Rund 250 Millionen Euro sollen Käufer (Vodafone) und das Objekt der Begierde (Mannesmann) in die Öffentlichkeitsarbeit gesteckt haben. Also ein gutes Geschäft für die Werbe-Branche, aber am Ende viel Lärm um nichts?

Das Fusionskarussell dreht sich so schnell wie nie zuvor. Trotzdem sind so kostenaufwendige Kämpfe zum Umbau der Unternehmensnetze die Ausnahme. Für 1999 wird der Unternehmensmarkt (Mergers & Acquisitions) weltweit auf 1 350 bis 1 500 Milliarden Euro geschätzt (1998: 1 000 Milliarden Euro). In den USA waren die Hälfte aller Arbeitsplätze von Fusionen und Unternehmenskäufen betroffen. Die Bundesrepublik nimmt sich mit einem Wert von rund 250 Milliarden Euro bei den Fusionen und Kapitalbeteiligungen eher bescheiden aus. Umso aufmerksamer wurde die Übernahmeschlacht um den deutschen Telekommunikations-Konzern beachtet.

Mannesmann-Chef Esser hatte Ende September vergangenen Jahres die Gefahr einer Übernahme klar verneint: »Vor Übernahmen schützt am besten eine gute Performance. Wir haben mehr als 550 Prozent Kurssteigerung in den vergangenen fünf Jahren geschafft.« Das »Wir« bezieht sich auf das Management, denn die Beschäftigten dieses Unternehmens sind weder über die Entwicklungsperspektiven konsultiert worden, noch haben sie an der Wertsteigerung des Aktienkapitals partizipiert. Die Perle der deutschen Industrie wurde zum Objekt der Begierde des Finanzkapitals - nicht wegen schlechter, sondern ausgezeichneter Performance.

Der Kampf um Mannesmann, einen Industriekonzern mit rund 130 000 Beschäftigten an mehr als 330 Produktionsstandorten, verdeutlicht mehr als andere Vorgänge die gesellschaftspolitische Konstellation des Kapitalismus in Deutschland. Mannesmann - der Konzern wurde Ende des vergangenen Jahrhunderts gegründet - verweist auf den Uradel der Montanindustrie aus dem Ruhrgebiet. Bereits Ende der sechziger Jahre wurde der Montankonzern zum Konglomerat umgebaut: Die Zechen gingen in der Ruhrkohle AG auf, die Stahlproduktion wurde weitgehend an Thyssen verkauft, die Konzentration auf das Röhrengeschäft wurde durch Aufbau der Maschinenproduktion ergänzt. 1980 steuerte der Maschinenbau bereits über 40 Prozent zum Geschäftsvolumen bei.

Mitte der neunziger Jahre wurden unter dem Etikett »Portfolio-Optimierung« Geschäftsbereiche und Tausende Beschäftigte weiterverkauft. Konzentration auf das Kerngeschäft hieß künftig: Engineering und Telekommunikation. »Der Steuerung unseres Geschäftsportfolios liegt der Gedanke des dynamischen Portfolios zu Grunde: Die Starken stärker zu machen und die Schwachen aussortieren«, fasste Klaus Esser, der erst 1999 die Konzernführung übernommen hatte, die neuen Perspektiven zusammen.

Dieser Umbruch ist nicht mehr der übliche »Strukturwandel« von Unternehmen (vom Stahl zur Telekommunikation) und Beschäftigten (vom Kumpel zum High-Tech-Angestellten), sondern ein Strategiewandel im Kapitalismus. Früher versuchte das Top-Management, Unternehmensrisiken und Geschäftszyklus durch Diversifikation aufzufangen, d.h. durch die Einrichtung unterschiedlicher Geschäftsbereiche. Heute betreiben die Eigentümer (Aktionäre, Shareholder) die Risikostreuung selbst.

Das Management soll sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, die Wertschöpfung verschlanken, die Eigenkapitalrendite steigern. Ein erfolgreicher Umbau der Unternehmensnetze schlägt sich in der Bewertung an der Börse nieder. Der Aktienwert stieg in fünf Jahren um 550 Prozent an. Die Aussortierung von Beschäftigten und die Steigerung der Arbeitsintensität sind kein Widerspruch zur Shareholder-Value-Orientierung, sondern deren notwendige Konsequenz.

Auch bei Mannesmann regiert der Shareholder Value. Dem Management von Mannesmann - auch wenn es sich gern als Vertreter der Interessen der Belegschaft oder gar der ganzen Nation darstellte - ging es weder um Arbeitsplätze noch um die soziale Marktwirtschaft, sondern um die Interessen der Vermögensbesitzer. Erst nachdem Konzern-Chef Esser diese Strategie der Öffentlichkeit mitgeteilt hatte, wuchs bei anderen Konkurrenten der Appetit auf eine Fusion oder eine Kapitalbeteiligung.

Üblicherweise wäre der Umbau der Unternehmensnetze auch weniger spektakulär von den Wertpapiermärkten aufgenommen worden. Zunächst waren die britischen Konkurrenten mit ihrem tiefgestapelten Einstandsangebot auf ein »Schnäppchen« aus. Das Mannesmann-Management setzte darauf, die Aktionäre für einen eigenständigen Entwicklungskurs zu gewinnen. Aber die »Shareholder« von Mannesmann sind nicht gleichermaßen organisiert wie die der Konkurrenten. Seit der Übernahme des britischen Telekom-Unternehmens Orange sind rund 60 Prozent der Aktien von Mannesmann in ausländischem Besitz, die 40 000 Belegschaftsaktien fallen nicht ins Gewicht und ein Großaktionär existiert offenkundig nicht.

Ziel der geplanten Fusion ist es nun, den Umbau des Unternehmens zu vervollständigen. Zur Zeit macht der Röhrenbereich weniger als zehn Prozent des Umsatzes aus und dieses verlustbringende Geschäftsfeld wird in absehbarer Zeit abgestoßen werden. Die Bereiche Automotive (29 Prozent vom Umsatz) und Engineering (35 Prozent) werden als selbstständige Unternehmen an die Börse gebracht, also auch verkauft.

Der Kern ist die Telekommunikation mit 27 000 Beschäftigten; hier werden zwei Drittel des gesamten Unternehmensgewinns erwirtschaftet. Die Medienkampagne richtete sich an die wichtigen Shareholder, von denen 79 Prozent durch professionelle Vermögensverwalter (Fonds, Banken) vertreten werden und nur 14 Prozent Privatanleger oder Kleinaktionäre sind.

Dass die Shareholder sich für eine Beendigung des Konfliktes stark machten, ist nicht überraschend. Durch die Auseinandersetzung musste Vodafone sein Angebot nachbessern. Bei Fortführung der feindlichen Übernahme wäre die Gefahr gewachsen, dass die Verschmelzung der Unternehmensnetze schließlich scheitert, was wiederum nicht im Sinne der Aktionäre sein kann.

Unternehmensboss Esser hat sich mit seinem Kurs bei den eigenen Shareholdern im wahrsten Sinne des Wortes »verdient« gemacht und wird weich fallen. Dies gilt für die Belegschaften der Mannesmann-Konzernsparten mit Sicherheit nicht. Nachdem der Pulverdampf der Übernahmeschlacht verflogen ist, wird der Konzern in Bausteine zerlegt und verkauft. Diesen neuen Spielregeln des Shareholder-Value-Kapitalismus ist mit dem bisherigen Instrumentarium von »Mitbestimmung« nicht beizukommen.

Handelt es sich wie im Falle von Mannesmann um den »Angriff« auf deutsches Eigentum und Wertarbeit, wird schnell auch auf der Klaviatur nationalistischer Stimmungen gespielt: Ein deutscher Koloss, höchst erfolgreich noch dazu, würde zum Spielball der Finanzjongleure. Die vaterlandslosen Kapitalisten würden sich um Traditionen und Gepflogenheiten der Deutschland AG nicht scheren. Ihnen ginge es um Profit, was nicht zwangsläufig schlecht sein müsse für die Beschäftigten. Das ist der bekannte Quatsch.

Schon im absterbenden Manager-Kapitalismus stand der Profit im Zentrum. Den Shareholdern aber ist selbst die Qualität der Regulierung des Kapitalismus gleichgültig, soweit es den Spielraum des Vermögensbesitzers nicht tangiert. Die politisch entscheidende Frage ist nicht, welchen Reisepass Aktionäre und Management haben, sondern wie lange sich Belegschaften und die gesamte Gesellschaft die Verteilungsstrukturen des Shareholder-Kapitalismus gefallen lassen.