Tal der Ahnungslosen

Österreich wird von einer rechts-konservativen Koalition regiert - und steht ab sofort unter internationaler Quarantäne.

Wenn ich diese Regierung angeloben sollte, tue ich dies nicht aus persönlicher Überzeugung, denn ich fürchte, dass Österreich international Schaden zugefügt wird.« Das waren die Worte von Bundespräsident Thomas Klestil, kurz bevor er mit versteinerter Miene die beiden Parteichefs von ÖVP und FPÖ, Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, zu sich in die Hofburg bestellte, um die schwarz-blaue Regierung zu legitimieren. So gern er es verhindert hätte - er konnte nicht. Noch am Tag davor schmetterte er zwei Vorschläge Haiders für FPÖ-Ministerposten schlichtweg ab: Thomas Prinzhorn hätte Finanzminister werden sollen, Hilmar Kabas Justizminister.

Kabas, Chef der Wiener Freiheitlichen, war wegen seines beispiellos hetzerischen und ausländerfeindlichen Wahlkampfes, den sogar Jörg Haider als missglückt bezeichnet hatte, eine für den Bundespräsidenten untragbare Gestalt. Kabas gab erst unlängst zu Protokoll, die Drogenszene in Wien werde deshalb von Schwarzen beherrscht, weil sie für die Abhängigen wegen farblicher Unterschiede leichter erkennbar wären. Dass Haider diesen Mann nun dennoch für einen Ministerposten vorgeschlagen hat, ist ein weiterer Skandal, der eindeutig zeigt, dass der FPÖ-Chef nicht gewillt ist, sich untreu zu werden.

Auch in anderer Hinsicht war der Vorgang bemerkenswert: Was für andere Parteien eine Katastrophe ausgelöst hätte - innerhalb weniger Stunden neue Minister zu finden und sie entsprechend zu legitimieren -, ist für eine »Führerpartei« kein Problem. Ohne Rücksprache und ohne Parteibeschluss präsentierte Haider zwei neue Kandidaten.

Doch zurück zu Klestil. Dieser schöpfte in den letzten Stunden vor dem unausweichlichen Ereignis alle Möglichkeiten aus. Er ließ Schüssel und Haider eine Präambel für Toleranz unterzeichnen. Darin verpflichtet sich die neue schwarz-blaue Regierung unter anderem, »für ein Österreich zu arbeiten, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden«.

Ebenso einmalig in der Geschichte der Alpenrepublik: Der Bundespräsident erteilte keinen Auftrag zur Regierungsbildung, sondern segnete den vorgelegten Koalitionspakt zwischen ÖVP und FPÖ lediglich ab. Dementsprechend frostig war die Stimmung beim Händeschütteln in der Hofburg. Der Ballhausplatz in Wien, Sitz des Bundeskanzleramtes und der Präsidentenkanzlei, scheint in den letzten Tagen das Zentrum der weltweiten Berichterstattung zu sein. Und nicht nur das.

Die seit Tagen anhaltenden Demonstrationen, die auch vor der Parteizentrale der Volkspartei abgehalten werden, haben längst nicht mehr den friedlichen Charakter früherer Kundgebungen, wie etwa die »Anti-Rassismus-Demo« im vergangenen November (Jungle World, 47/99). Die Menge gibt sich schon lange nicht mehr mit dem bloßen Skandieren von Parolen zufrieden. Wie angespannt die Stimmung ist, zeigt auch das Verhalten der Polizei. Sie marschiert - für Österreich ein ungewöhnliches Bild - mit Helmen und Schutzschildern auf und prügelte mehrmals willkürlich auf die Demonstranten ein. Mindestens 56 Personen wurden alleine am vergangenen Samstag verletzt.

In Graz, Klagenfurt, Salzburg, Bregenz und Steyr kam es ebenfalls zu Protesten. Und auch in London, Oslo und Amsterdam und Berlin wurden Kundgebungen gegen Haider organisiert, während in Paris mehrere Hundert Le-Pen-Anhänger ihre Solidarität mit dem FPÖ-Chef bekundeten.

Am Tag vor der Angelobung (Vereidigung) stürmten Demonstranten die Wiener Staatsoper und unterbrachen die laufende Vorstellung. Das Publikum quittierte den unvorhergesehenen Programmpunkt mit stehenden Ovationen, während der FPÖ-Chef die Demonstranten prompt als linke Gewalttäter bezeichnete, die »mit Geldern der braven Steuerzahler subventioniert werden«.

Selbst der konservative österreichische Klerus warnt vor Schwarz-Blau und dem drohenden Verlust der Einheit des Landes. Der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, rief die Österreicher dazu auf, für ihr Land zu beten. Er trat vor einem Gemälde vor die Presse, das die Hitlerjugend beim Sturm auf das Wiener erzbischöfliche Palais im Jahr 1938 zerstört hatte.

Für Haider und Schüssel sind dies jedoch keine ernst zu nehmenden Gegner. Die kommen - auf gut österreichisch - aus dem »Ausland« und heißen EU, USA und Israel. Der belgische Außenminister Louis Michel etwa sagte, man könne »Europa auch ohne Österreich« machen. Und genau das droht jetzt der einstigen »Insel der Seligen«. Die 14 Partnerstaaten Österreichs in der EU hatten vergangenen Montag in einer scharfen Erklärung für den Fall einer FPÖ-Beteiligung an der Koalition eine drastische Einschränkung der Zusammenarbeit angedroht. Einige Botschafter wurden bereits aus Österreich abgezogen und Israel verhängte umgehend ein Einreiseverbot für Haider, der seinen geplanten Besuch nun wohl auf unbestimmte Zeit verschieben muss.

Der Schaden, den die schwarz-blaue Regierung bereits vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn im Parlament angerichtet hat, ist nicht nur auf politischer und diplomatischer, sondern vor allem auch auf wirtschaftlicher Ebene enorm. Ein Aussetzen der bilateralen Beziehungen, also die Verweigerung direkter politischer Kontakte auf Ministerebene, käme einer außenpolitischen Isolation ungeahnten Ausmaßes gleich. Erste Auswirkungen sind schon spürbar: Der europäische Rabbiner-Kongress, der Mitte März in Wien stattfinden sollte, ist abgesagt worden.

All diese Ereignisse sorgen innerhalb der österreichischen Grenzen vor allem für eines: Erstaunen. Niemand hätte sich gedacht, dass das »Ausland« tatsächlich ernst macht. Viele beginnen nun endlich zu begreifen. Haider und Schüssel bleiben jedoch weiterhin ihrer Linie treu - frei nach dem Motto: »Des wird scho werdn.« Und Haider geht nun selbst in die Offensive: Er droht umgekehrt der EU mit einem Veto Österreichs bei wichtigen Entscheidungen. Zugleich bezichtigte er Bundespräsident Klestil und den sozialdemokratischen Ex-Bundeskanzler Viktor Klima, »politischen Hochverrat« begangen zu haben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss solle überprüfen, ob die internationalen Proteste gegen die neue Regierung von seinen inländischen Gegnern initiiert worden seien.

Dass man in Europa aber nicht erst darauf warten möchte, bis erste Ergebnisse der schwarz-blauen Regierung auf dem Tisch liegen, zeigen die zum Teil schon in Kraft getretenen Sanktionen mit aller Deutlichkeit. Dem neuen Bundeskanzler, Wolfgang Schüssel, scheint dies herzlich egal zu sein. Er hat es endlich geschafft, Regierungschef zu werden - und zwar der erste »Schwarze« nach 30 Jahren sozialistischer Vorherrschaft. Diese Genugtuung hat ihn offenbar blind gemacht. Dermaßen blind, dass er übersieht, in welcher Position er sich tatsächlich befindet.

Mit »Haiders Gnaden« ist er nun endlich die Nummer eins - der Bärentaler zieht sich, wie angekündigt, nach Kärnten zurück, wo er weiterhin als Landeshauptmann tätig sein wird. Doch damit überlässt er Schüssel keineswegs das Feld - ganz im Gegenteil. Das neue Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ beinhaltet gravierende Sparmaßnahmen - sprich: Herr und Frau Österreicher werden ordentlich zur Kasse gebeten. Schließlich müssen bis 2003 insgesamt 63 Milliarden Schilling (4,5 Milliarden Euro) eingespart werden. Überaus unpopuläre Maßnahmen, die Bundeskanzler Schüssel nun durchsetzen muss.

Wohlgemerkt: Schüssel allein. Haider sitzt ja wieder in Kärnten. Und was er von dort aus tun wird, liegt auf der Hand: Er wird dagegen in altbewährter Manier opponieren. Erhöhung der Tabaksteuer? Drastische Steigerung der Strompreise? Deutliche Anhebung des Frühpensionsalters? Verpflichtung von Langzeitarbeitslosen zu gemeinnütziger Arbeit?

Wolfgang Schüssel wird dafür den Kopf hinhalten müssen - Haider wird seinen hingegen schütteln. Er wird den Neo-Bundeskanzler und dessen sich in Auflösung befindliche Volkspartei so lange vor sich hertreiben, bis die ÖVP unter dem Jubel des enttäuschten Wahlvolkes endgültig zusammenbricht. Schüssel wird der Buhmann sein, Haider erneut der Held.

Die einzige Hoffnung ist und bleibt die Person Haider selbst. Denn unter der akribischen Beobachtung der EU dürfte dem FPÖ-Chef nicht die Winzigkeit eines verbalen Ausrutschers unterlaufen. Die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich dürfte dann keine »ordentliche« mehr sein, die Herrschaften vom SS-Kameradschaftsbund, diese aufrichtigen Menschen mit Charakter, müsste er mit Nasenrümpfen meiden und diversen Staats- und Regierungschefs müsste Haider dermaßen unterwürfig entgegentreten, dass ihm übel dabei wird. Und vor lauter Übelkeit wird er gar nicht anders können, als neuerlich zu entgleisen.