Crossover in Nahost

Die Hisbollah-Offensive im Südlibanon gefährdet Israel und die US-Hegemonie in Nahost. Europa kann sich die Hände reiben.

Seit rund zwei Wochen sprechen wieder die Waffen zwischen der islamischen Hisbollah und Israel. Und eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Am Freitag verließ die israelische Delegation ein eilends von den USA einberufenes Treffen der Libanon-Beobachtergruppe schon nach zwei Stunden. Der Grund nach israelischen Angaben: Die Hisbollah tötete sieben israelische Soldaten innerhalb von zwei Wochen, zwei weitere wurden verletzt.

Zuvor hatte Israel als Vergeltung für die Ende Januar eingeleitete Offensive der Hisbollah drei Kraftwerke im Libanon zerbombt, worauf in einigen Vierteln Beiruts der Strom ausfiel. Die Hisbollah hatte ankündigt, mit Katjuscha-Raketen und Bomben den Kampf gegen Israel fortzusetzen. Im Norden Israels war darauf der Notstand ausgerufen worden, und Zehntausende Bewohner Nordisraels hatten sich in Luftschutzkellern in Sicherheit gebracht.

Die neuerliche Eskalation spielt sich vor dem Hintergrund des wachsenden europäischen Einflusses in der Region ab. Sprachlos musste man im US-Außenministerium in den vergangenen Monaten zusehen, wie die USA ausgerechnet in einer ihrer wichtigsten Interessenssphären, dem Nahen Osten, eine Niederlage nach der anderen einstecken musste. Schon bevor deutlich wurde, dass der angekündigte Durchbruch in den stillstehenden israelisch-palästinensischen Rückzugsverhandlungen am Rande des WEF-Treffens in Davos wieder nicht zu Stande kommen würde, konstatierten Kommentatoren von New York Times und Washington Post eine weitestgehende Lähmung der US-Außenpolitik, die längerfristig auch das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft gefährden könnte.

Denn längst schon meldet die europäische Konkurrenz, allen voran Frankreich, eigene Ansprüche im Nahen Osten an. Deren Einfluss auf die Region wächst mit jedem Misserfolg der Clinton-Administration und macht auch vor dem traditionell US-amerikanischen Prestigeprojekt, einer Einigung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, nicht Halt.

Bereits Ende Dezember boten die Wirtschaftsseiten der israelischen Tageszeitung Ha'aretz einen Einblick in das verbissene Gerangel, das zwischen Europäern und Amerikanern ausgebrochen ist. Die Ankündigung der israelischen Fluggesellschaft El Al, ihre Luftflotte zu erneuern, wurde von Europa statt mit einem günstigen Angebot mit einer diplomatischen Offerte beantwortet. Jacques Chirac, Gerhard Schröder, Tony Blair und der spanische Ministerpräsident José Maria Aznar ermahnten die israelische Regierung, im Hinblick auf den Beitrittswunsch zur EU europäische Airbusse und nicht die Maschinen des US-Konkurrenten Boeing einkaufen.

Dem europäischen Angebot folgte prompt die unverhohlene Drohung Madeleine Albrights, sie sehe ernste Probleme darin, den Kongress erneut von der Notwendigkeit einer Unterstützung Israels mit jährlich mehreren Milliarden US-Dollar zu überzeugen, wenn nicht selbstverständlich bei derartigen Großaufträgen das US-Unternehmen bevorzugt werde. Bevor auch nur ein ernstes Preisangebot auf dem Tisch lag, war aus dem avisierten Flugzeugkauf ein diplomatischer Konflikt geworden, der symptomatisch für die europäisch-amerikanischen Beziehungen ist.

Absurd und doch kennzeichnend ist, dass ausgerechnet das US State Department zuvor - wie auch im Falle der Türkei - mit aller Vehemenz das EU-Beitrittsgesuch Israels unterstützt hatte, um über die Mitgliedschaft eines traditionell pro-amerikanischen Landes eine Angleichung der europäisch-amerikanischen Nah-Ost-Politik zu erreichen. Die EU wiederum fühlte sich eingeladen, selbst in die US-amerikanisch initiierten Friedensverhandlungen einzugreifen.

Nur wenige Tage, nachdem der syrische Präsident Hafiz Al-Assad dem US-Außenministerium mitteilen ließ, er sei zu einer Wiederaufnahme der Friedensgespräche bereit, wurde in Jerusalem der portugiesische Botschafter bei Israels Ministerpräsident Ehud Barak vorstellig, um im Auftrag der EU-Ratspräsidentschaft eine europäische Unterstützung und Vermittlung bei syrisch-israelischen Gesprächen anzubieten. Die israelische Regierung lehnte dankend ab. Denn während der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana in der Herald Tribune schon die Einsatzbefehle eines möglichen europäischen Militärkontingentes auf dem Golan erläuterte, bestanden weder in Damaskus noch in Jerusalem jemals Zweifel daran, dass die seit 1992 geführten Gespräche weiterhin unter der Vermittlung Washingtons stattzufinden hätten.

Dennoch hat sich das israelische Verhältnis zu Europa unter Barak geändert, wofür derzeit vor allem symbolische Akte sprechen, wie die landesweit belächelte Umrüstung der Egged-Busse nach EU-Schadstoffnorm. Andere Gesten, wie der ostentative Staatsbesuch Baraks in Berlin, aber zeigen, dass man sich in Jerusalem durchaus die Option einer engeren Anbindung an Europa offen hält - wenn auch nur als Regulativ gegenüber der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von den USA.

Seit dem Ende des Blockkonfliktes gibt es wenig Gründe für die europäischen Staaten, die gegen die Sowjetunion errichtete Pax Americana am Golf länger zu unterstützen. Dort, wo die USA noch unangefochten die Rolle der führenden Ordnungsmacht spielen, vor allem also im israelisch-arabischen Konflikt, besteht europäische Politik noch weitgehend darin, im Fahrwasser der Verhandlungen wirtschaftliche Interessen zu sichern.

An den Rändern der US-Einfluss-Sphäre aber mobilisieren die europäischen Staaten offen die Gegner einer US-dominierten nahöstlichen Ordnung. Diese deutliche europäische Dominanz gegenüber den traditionell anti-amerikanischen arabischen Staaten bedroht nun das gesamte Projekt, denn ohne sie ist eine dauerhafte Friedensordnung mit Israel nicht denkbar.

Das US State Department hat also alle Gründe, der lange geförderten »Europäisierung« des Nahen Ostens sorgenvoll entgegenzusehen. Bei den Verhandlungen um einen Abzug aus den palästinensischen Gebieten zeigt sich, dass eine effektive Einflussnahme auf die Region über ein pro-amerikanisch orientiertes Land wie Israel nur solange funktioniert, wie dessen Interessen sorgsam gepflegt werden. Ein Unterfangen, das sich gegenüber einem Staat wie Syrien allemal schwieriger gestaltet. Dessen ideologischer Anti-Amerikanismus hat, ebenso wie die durch jahrzehntelangen Isolationismus geprägte Wirtschaft, eine politische und wirtschaftliche Einflussnahme der USA nahezu unmöglich gemacht.

Die vollständige Ausblendung des Libanon aus den Gesprächen in Shepherdstown (Jungle World, 3/00) zeigte, zu welchen Konzessionen die US-Verhandlungsführung bereit ist, um einen Frieden zu vermitteln. Gemeint ist nicht die Sicherheitszone im Südlibanon, die von Israel lieber heute als morgen geräumt würde, sondern die Quasi-Besetzung des Libanon durch Syrien.

Spätestens seit 1990 steht der Levantestaat offen unter der Kuratel der Damaszener Führung, deren Militärs eine Art Schattenregierung bilden. So profitierte Syrien nicht nur an dem nach Ende des Bürgerkrieges einsetzenden Wirtschaftsboom Beiruts, sondern bediente sich auch der islamistischen Milizen im Lande, um den so oft erklärten Krieg gegen Israel außerhalb der eigenen Grenzen fortzuführen. Die schlichte Nichterwähnung der syrischen De-facto-Annexion des nominell eigenständigen Libanon kam einem - wenn auch völkerrechtlich irrelevanten - Anerkenntnis durch die USA nahe.

Ausgerechnet der Libanon aber ist derzeit Syriens stärkste Waffe innerhalb der amerikanisch geleiteten Verhandlungen. Im Gegensatz zum verstorbenen jordanischen König Hussein oder dem damaligen ägyptischen Präsidenten Saddat zielt die Strategie von Hafiz Al-Assad nicht auf einen Friedensschluss auf der Basis bilateraler Verständigung. Keinen Moment des Zweifels hat die syrische Regierung daran aufkommen lassen, dass sie nicht über einen Frieden, sondern die längst überfällige Rückgabe des Golan verhandele. Eine Rückgabe, so die syrische Position, sei weder eine Frage beiderseitigen guten Willens noch der Preis für einen Frieden, sondern lediglich die Voraussetzung für weitere Gespräche.

Es darf daher nicht verwundern, dass die von Damaskus und Teheran gesponserte Hisbollah nach monatelanger Ruhe im Südlibanon das Ende der Verhandlungsrunde in Shepherdstown als Signal zum Angriff verstand. Wenige Monate vor dem geplanten Abzug Israels aus der Sicherheitszone haben die Gotteskrieger zu einer Offensive angesetzt, bei der nicht nur sieben israelische Soldaten ums Leben kamen, sondern erstmals auch Hunderte Israelis aus dem grenznahen Kiryat Shemona vor den Katyusha-Angriffen flohen.

Eingeleitet wurde die Offensive am 30. Januar mit dem tödlichen Attentat auf den stellvertretenden militärischen Anführer der pro-israelischen Miliz SLA, Akl Hachem. Ein schwerer Schlag für die SLA, der zusammen mit der derzeit demonstrierten Stärke der Hisbollah die Befürchtung weckt, dass Verbände der SLA schon vor einem Abzug aus dem Libanon zu den Milizen der Amal oder der Hisbollah überlaufen könnten. Der für Anfang Juli avisierte Truppenabzug droht damit zu einem Desaster zu werden, bei dem eine sich geschlagen gebende israelische Armee nach über zwanzig verlustreichen Jahren den Südlibanon an eine Hisbollah übergeben könnte, deren militärische Ausrüstung so gut ist wie nie zuvor und die keine Anzeichen macht, den Beschuss israelischer Städte und Siedlungen einzustellen.

Die jüngsten Signale aus Damaskus selbst lassen derweil wenig Hoffnung auf einen Erfolg der US-Vermittlungen zwischen Israel und Syrien aufkommen. So deckte die syrische Tageszeitung Tishreen, Al-Wadi, einmal mehr auf, dass der Holocaust eine Erfindung der Israelis sei. Mit den erfundenen Vernichtungslagern würde nur verschleiert, dass Israel selbst in den besetzten Gebieten eine Naziherrschaft errichtet habe. Ein antisemitischer Gemeinplatz, der wohl platziert war und entsprechend ankam.

In Israel reagierten selbst erklärte Befürworter eines Abzugs vom Golan, wie der Redakteur der linksliberalen Ha'aretz, Yoel Marcus, auf das syrische Pamphlet nur noch mit resigniertem Spott: Es sei doch an der Zeit, so sein Rat an Hafiz Al-Assad, endlich aufzudecken, dass der Aufstand der Moslembruderschaft in Hama 1982, bei dessen Niederschlagung die syrische Armee rund 20 000 Menschen, hauptsächlich Zivilisten, ums Leben brachte, auch ein Komplott der jüdischen Weltverschwörung war, und publikumswirksam »einem uralten, tauben damaszener Juden, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann, den Prozess zu machen«.

Hafiz Al-Assad kann sich derartige Anfeindungen erlauben. Weder im Libanon noch an der Golan-Grenze hat sein Staat etwas zu verlieren. Als Alternative zur Pax Americana hofft Syrien auf eine europäisch vermittelte arabisch-islamische Option unter Einbeziehung des Iran und des Irak.

Die Beziehungen beispielsweise zwischen Frankreich und seinem ehemaligen Mandatsgebiet Syrien könnten derzeit kaum besser sein. Der Intervention des französischen Außenministeriums ist u.a. zu verdanken, dass Syrien und Irak sich nach zwanzigjähriger erbitterter Feindschaft 1997 wieder annäherten.

Dass diese Annäherung sich vornehmlich über die Handelskammern der beiden Staaten vollzieht, darf nicht verwundern: Als erster westlicher Staat hat Frankreich 1994 wieder eine Dépendance in der rumänischen Botschaft in Bagdad eröffnet, und seitdem haben französische Unternehmen über die irakische Handelskammer, an deren Messen sie spätestens seit 1998 trotz Embargos regelmäßig teilnehmen, fortgesetzt, was ihrer Regierung laut UN-Mandat verboten wurde. Eben diese »Handelsbeziehungen« und die Bereitschaft, mit jedem Regime zu verhandeln, kennzeichnen derzeit den Vorsprung der EU vor den USA.

Die Hartnäckigkeit, mit der Frankreich und auch Russland die gegen den Irak gerichteten Embargo-Bestimmungen unterlaufen, nährt die syrische Hoffnung auf eine Lösung ohne Israel. Erst in der ersten Februarwoche brachte die US-Marine einen russischen Tanker auf, der entgegen dem Verbot irakisches Öl außer Landes schaffte. Europa und Russland drängen schon seit geraumer Zeit auf ein Ende des UN-Embargos und damit eine Rehabilitation des irakischen Regimes. Die zu erwartende Belohnung für dieses Engagement besteht einerseits in der Aussicht auf eine europäisch-russische Hegemonie am Golf und andererseits im künftigen Irak-Geschäft.

Ein Angebot, das auch den syrischen Staatspräsident Hafiz Al-Assad reizen dürfte. Derzeit nämlich kränkeln alle Modernisierungsprogramme der syrischen Wirtschaft nicht nur an fehlenden Investitionen und den Eingriffen eines Staates, dessen Armee nahezu zwei Drittel des Gesamthaushaltes verschlingt, sondern vor allem an einem fehlenden Markt. Infolge des jahrzehntelangen Isolationismus wird in Syrien zwar nahezu alles produziert, um den Binnenhandel zu versorgen, syrische Produkte aber erfüllen weder in Qualität noch im Preis Weltmarktansprüche.

Die Chancen, die ein dauerhafter Frieden mit Israel Syrien bietet, sind daher nicht ganz so verlockend, wie es vorderhand scheinen mag. Denn dass mit einem Friedensschluss tatsächlich ein syrisch-israelischer Markt entstehen könnte, ist mehr als zweifelhaft. Während eine EU-Assoziation für Syrien außer Frage steht, ist das Land dennoch real von europäischen Rohstoffen zur Fertigung eigener Produkte abhängig und bildet andererseits die Brücke zum Irak.

Auch Israel hat gute Gründe, einem solchen europäisch dominierten Wirtschaftsraum Naher Osten ohne US-amerikanischen Einfluss angstvoll entgegenzusehen. Weder der Iran noch der Irak sind an einem Frieden mit Israel interessiert, und mit dem von den Europäern angestrebten Embargo-Ende rückt zumindest die Bedrohung durch die Bagdader Regierung wieder in greifbare Nähe.

Dafür, dass diese Bedrohung real bleibt, hat erst kürzlich das Veto Frankreichs und Russlands im UN-Sicherheitsrat gesorgt. Auf direkte Aufforderung der Bagdader Regierung hin hatten diese die Wiedereinsetzung des schwedischen Botschafters in Washington, Ralf Ekeus, als Leiter einer erneuten Unscom-Waffeninspektion im Januar verhindert. Ekeus gilt als ausgemachter Gegner des Hussein-Regimes, der auf die vollständige Abrüstung der irakischen Massenvernichtungswaffen drängt. Von dieser zentralen Auflage des UN-Sicherheitsrates hängen letztlich alle Sanktionen gegenüber dem Irak ab.

Als Kompromiss-Kandidat wurde jetzt der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergie Behörde Hans Blix die Leitung einer erneuten Inspektion übertragen. Eine wenig ermutigende Entscheidung, merkte die Herald Tribune bitter an, zur Kontrolle des irakischen Rüstungsprogrammes ausgerechnet den Leiter einer Behörde zu ernennen, die vom irakischen Atomprogramm erst erfuhr, als die israelische Luftwaffe schon den ersten Reaktor zerstört hatte.