Friday,Bloody Friday

Ein schwarzer Tag für den nordirischen Friedensprozess: Erstmals bewegte sich die IRA. Gleichzeitig suspendierte London die Selbstverwaltung.

Wenn Sie daran denken, irgendwann einmal ein politisches Tagebuch zu veröffentlichen, dann sollten Sie sich für den 11. Februar 2000 ein paar kluge Worte einfallen lassen. Denn das ist ein Datum, über das sich die Historiker, besonders diejenigen in Großbritannien und Irland, wohl noch lange Zeit Gedanken machen werden.

Was genau an diesem kalten Regentag zu beiden Seiten der Irischen See passierte, das wird allerdings wohl für alle Zukunft eine Glaubenssache bleiben. Klar ist nur so viel: Am Nachmittag um zehn vor sechs trat der britische Nordirland-Minister Peter Mandelson vor die Mikrofone der Presse und verkündete, er habe soeben die seit 72 Tagen amtierende Selbstverwaltung Nordirlands suspendiert. Das Gesetz, auf dessen Grundlage die Regionalregierung ihr vorzeitiges Ende fand, war in den fünf vorausgegangenen Tagen mit atemberaubendem Tempo durch die parlamentarischen Institutionen in London gepeitscht worden.

Klar ist auch das: Eine knappe halbe Stunde, bevor Mandelson seine schicksalhaften Worte sprach, war Gerry Adams, der Chef der IRA-nahen Partei Sinn Féin, in Belfast ebenfalls vor die Mikrofone getreten und hatte eine »neue und bedeutsame Erklärung zur Lösung der Waffen-Frage« angekündigt. Damit verband Adams die Erwartung, dass Mandelson die Suspendierung der Regionalregierung nun zumindest zurückstellen werde.

Wie neu und bedeutsam der angekündigte IRA-Vorschlag tatsächlich war, das war auch zwei Tage später noch nicht bekannt. Am späten Abend des Freitag wurde aus einem Bericht der Abrüstungskommission des kanadischen Generals John de Chastelain immerhin so viel bekannt: Die republikanische Guerilla sei nun bereit, »die Umstände zu diskutieren, unter denen eine Entwaffnung stattfinden könnte«.

Damit stelle sich die Situation deutlich anders dar, betonte de Chastelain, als noch zum Zeitpunkt seines ersten Berichts, in dem er am 31. Januar festgestellt hatte, die IRA habe bisher keinerlei Bereitschaft zur Entwaffnung erkennen lassen. Auch die britische Regierung freute sich über »eine Entwicklung von wirklicher Bedeutung«. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mandelson die Urkunde aber bereits unterzeichnet, die die Selbstverwaltung außer Kraft setzte - in Unkenntnis der eine halbe Stunde vorher live übertragenen Adams-Erklärung, wie er betonte.

Sinn Féin und IRA schäumten: Hatte die IRA-Führung doch zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Abrücken von dem Dogma erkennen lassen, keine Waffen aufzugeben - und damit eine Spaltung der Bewegung oder eine massenhafte Abwanderung von gunmen zu Splittergruppen riskiert wie jener Continuity IRA, die am Abend des 6. Januar in der Kleinstadt Irvinestown den Versuch unternahm, den Friedensprozess mit Hilfe einer Ladung Semtex aus der Welt zu schaffen.

Die vage Andeutung, man könne darüber reden, unter welchen Umständen eine Entwaffnung stattfinden könnte, muss für die IRA eine gewaltige Entscheidung gewesen sein: Damit, dass die Organisation, die sich als Armee versteht, sämtliche politischen Auftritte stets an Sinn Féin delegiert hat, hat sie sich selbst ins politische Aus manövriert. Eine IRA ohne Waffen, das wäre einfach keine IRA mehr. Man wird der IRA-Erklärung nur gerecht, wenn man sie so versteht, dass die IRA angeboten hat, über ihre Selbstauflösung zu sprechen.

Verständlich also, dass es sämtlichen Anhängern der republikanischen Sache bis hin zum nordirischen Vize-Regierungschef Seamus Mallon von der sozialdemokratischen SDLP und dem irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern an Verständnis fehlte, warum Mandelson die Veränderung der IRA-Position schlicht »ignoriert« hatte, wie Adams sich erzürnte. Hatte er gar nicht, beteuerte Mandelson: Er habe die Erklärung tatsächlich noch nicht gekannt, und warum schließlich hätten IRA und Sinn Féin den Zeitpunkt der Veröffentlichung so unglücklich gewählt, dass er sich mit der Suspendierung der Institutionen überschnitt? Im Übrigen, so sehr man sich freuen müsse, dass die IRA sich bewegt hat: Ihre Erklärung hätte nicht ausgereicht, um den Rücktritt des nordirischen Regierungschefs David Trimble zu verhindern.

Damit hatte der Nordirland-Minister ausgesprochen, was ihn eigentlich dazu gebracht hatte, zehn nordirische Ministerinnen und Minister samt ihren nachgeordneten Behörden außer Dienst zu stellen: Vor allem wollte Mandelson dem Rücktritt des »First Minister« Trimble zuvorkommen. Tatsächlich ist Trimble nicht nur ein Garant dafür, dass London die Kontrolle über Nordirland nicht gänzlich verliert; seine Person ist auch von zentraler Bedeutung für den Friedensprozess, weil es außer dem Friedensnobelpreisträger kaum jemandem zuzutrauen ist, dessen von loyalistischen Extremisten durchsetzte Ulster Unionist Party (UUP) auf den 1998 im so genannten Karfreitagsabkommen beschlossenen Versöhnungskurs einzuschwören. Auch Trimble war dies nur gelungen, indem er dem UUP-Parteitag im November seinen Rücktritt versprach für den Fall, dass die IRA nicht binnen drei Monaten mit der Entwaffnung begonnen habe.

Dieser Termin war der vergangene Samstag. Selbst wenn Trimble der Meinung gewesen wäre, dass seine Partei in der Regierung bleiben sollte, obwohl die IRA bisher noch keine einzige Patrone aufgegeben hat: Auf dem UUP-Sonderparteitag in Belfast hätte er dafür bestimmt keine Mehrheit gefunden. Schon im November hatten lediglich 58 Prozent der 860 Delegierten für den Friedensprozess gestimmt, nach dem wochenlangen Poker um die IRA-Abrüstung war die Stimmung nun deutlich gegen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Sinn Féin.

Doch die UUP-Delegierten können ebenso wenig wie Sinn Féin ignorieren, dass nach beinahe drei Jahren des Waffenstillstandes kaum jemand in Nordirland mehr die Zeit der »Troubles« zurückwünscht. Deswegen sollen die Verhandlungen über eine Entwaffnung nun weitergehen. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst ein Vorschlag der Regierung der Republik Irland, ein Junktim zwischen der IRA-Entwaffnung und der Auflösung britischer Militärbasen in Nordirland herzustellen. In vielen Landesteilen, vor allem in South Armagh, die unter einem wahren Belagerungszustand steht, bringen die massive Präsenz des britischen Militärs, dessen Patrouillen, Beobachtungstürme und Hubschrauberflüge, die Bevölkerung auf.

Trotzdem werden dem neuen Verhandlungsvorschlag wenig Erfolgsaussichten eingeräumt. »Die Briten brauchen zwei Stunden, um ein neues Armeelager zu bauen«, sagte ein IRA-Aktivist dem Guardian. »Was glauben Sie, wie lange wir brauchen, um 1 000 Gewehre wiederzubeschaffen?«