Schaulaufen ohne Publikum

Die Produktivität steigt, die Inflationsrate steigt - und die Gewerkschaften setzen auf niedrige Tarifabschlüsse.

Es geht also doch: Der erste Tarifvertrag nach den Vorgaben des Bündnisses für Arbeit ist in trockenen Tüchern. Zwar nur in der Kautschukindustrie und für etwa 30 000 Beschäftigte - aber immerhin, der Anfang ist gemacht. Die IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) vereinbarte mit den Unternehmern eine Tariferhöhung von 2,5 Prozent. Ein weiterer Prozentpunkt wird in einen Tariffonds für das Ausscheiden älterer Arbeitnehmer eingezahlt, den die Unternehmer nach eigenen Angaben mit einem »Grundsockel« von 13 Millionen Mark ausstatten.

Nun darf man gespannt sein, wie dieser Tarifabschluss den anderen Gewerkschaften um die Ohren gehauen wird. Deren Forderungsvolumen zwischen vier und 5,5 Prozent ist mehr als bescheiden. Jede Gewerkschaft zieht für sich alleine in die Tarifrunde. Der DGB übernimmt keine koordinierende Funktion, und außerhalb der IG Metall sieht man das vom Chef Klaus Zwickel in Szene gesetzte Thema »Rente mit 60« eher skeptisch.

Über Arbeitszeitverkürzung redet niemand mehr. »Ich glaube nicht, dass es noch einmal gelingen wird, die Menschen wie in den achtziger Jahren hinter einer aufgehenden Sonne zu versammeln, auf der statt der 35- die 28-Stunden-Woche steht«, sagte unlängst DGB-Chef Dieter Schulte. Bleibt nur die so genannte beschäftigungssichernde Tarifpolitik, wie sie im Bündnis für Arbeit vereinbart wurde. Ob mit diesem inhaltsleeren Schlagwort viele zu mobilisieren sind, darf allerdings bezweifelt werden.

Mittlerweile befinden sich die Kontrahenten der Tarifrunde 2000 in der Aufwärmphase. IG Metall und Gesamtmetall betreiben das Spiel »erste Verhandlungsrunde«, bei der gemeinhin nichts herauskommt. Die Gewerkschaft verteidigt ihre 5,5-Prozent-Forderung und fordert die »Tarifrente mit 60«, während die Arbeitgeber dagegen maulen. Dieses Ritual wird demnächst in allen 13 Tarifbezirken der IG Metall zu beobachten sein. Irgendwann - zwischen der dritten und fünften Runde ungefähr - werden sich Gewerkschaftschef Klaus Zwickel und Gesamtmetall-Präsident Werner Stumpfe treffen und einen Deal besiegeln. »Pilotabschluss« nennt man das. Ein solcher Abschluss wird dann von beiden Seiten schöngerechnet.

Das entsprechende Szenario für dieses Jahr lässt sich schnell darstellen: Die Arbeitgeber behaupten, mit 2,9 Prozent sei man bis »an den Rand des Erträglichen« gegangen, und die IG Metall wird sagen, mehr als 3,1 Prozent war »angesichts der sturen Arbeitgeberhaltung« nicht drin. Im Gefolge des Metallabschlusses werden auch die anderen Gewerkschaften kaum mehr rausholen.

Zumal man außerhalb von Metall bescheidener ist. Die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) fordert 4,8 Prozent, die ÖTV ist für den öffentlichen Dienst noch in der Findungsphase; für andere Bereiche gibt es Forderungen zwischen vier und 4,5 Prozent. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) hat einen »Forderungskorridor« von vier bis 5,5 Prozent.

Die BCE geht nicht mit einer Zahl in die Tarifrunde, sondern will in den Verhandlungen ein »Gesamtpaket« schnüren. Dabei dürfte der Kautschukabschluss als Vorbild dienen. Für das Bankgewerbe schloss die DAG gerade 2,6 Prozent ab, was die HBV erzürnte, weil sie 5,5 Prozent möchte und angesichts goldener Bilanzen im Gewerbe einen größeren Verteilungsspielraum sah. Die Crux: Banker sind nicht gerade streikerprobt.

In der immer für eine Überraschung guten IG Medien wird erst im Laufe des Frühjahrs über eine konkrete Zahl geredet. Aber auch hier weiß man, dass der Metallabschluss nicht überbietbar ist, obwohl man im prosperierenden Mediengewerbe bei Umsatzrenditen von zwölf bis 18 Prozent offensiver agieren könnte.

Bekanntlich wird die diesjährige Tarifrunde an den Absprachen im Bündnis für Arbeit gemessen. Zahlreiche Zeitungskommentatoren und Arbeitgeber behaupten derzeit unisono, im Bündnis für Arbeit habe man sich Anfang Januar des Jahres auf einen »Verteilungsspielraum in Höhe der Produktivitätssteigerung von 2,6 Prozent« verständigt. Diese Aussage ist schlicht falsch. Die Zahl 2,6 wurde von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) in die Welt gesetzt.

In der gemeinsamen Erklärung der Bündnisteilnehmer heißt es zwar, man habe sich darauf verständigt, die »Tarifrunde 2000 für eine beschäftigungsorientierte und längerfristige Tarifpolitik« zu nutzen. Was darunter genau zu verstehen ist, sagen die Konsensionäre nicht. »Damit das ganz klar ist: Es gibt keine Empfehlung über die Dauer und konkrete Höhe von Tarifabschlüssen«, sagte selbst der gemäßigte BCE-Führer Hubertus Schmoldt auf dem Neujahrsempfang seiner Gewerkschaft. Er muss es wissen, gehört er doch zur Bündnisrunde.

Alle Wirtschaftsinstitute rechnen mit einer gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung von bis zu 3,5 Prozent und einer Teuerungsrate von bis zu 1,5 Prozent für das Jahr 2000. Die Bundesregierung geht in ihrem von den Arbeitgebern schon fast euphorisch begrüßten Jahreswirtschaftsbericht von einem Wirtschaftswachstum - der Steigerung des Bruttosozialpruduktes - von 2,5 Prozent aus.

Angesichts vieler magerer Jahre mit unter zwei Prozent Wachstum ist das eine durchaus positive Aussicht für die Deutschland AG. Ohne das Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel wären sogar noch 0,5 bis 0,7 Prozent mehr drin. Auch darin sind sich vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft (IW) über das gemäßigte Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) bis zum gewerkschaftseigenen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) alle einig.

Am Geld für eine satte Tarifrunde mangelt es also kaum. Folglich fordert DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer, die Bundesregierung solle nicht alleine auf einen durch den Export getragenen Aufschwung setzen, sondern ihr Augenmerk auch auf die Entwicklung der Binnennachfrage lenken: »Zurückhaltende Lohnabschlüsse begünstigen nicht die Schaffung neuer Arbeitsplätze.«

Doch von kaufkraftfördernder Tarifpolitik sind die Gewerkschaften meilenweit entfernt. Sie befinden sich in mehrerlei Hinsicht in einer Falle: Die Funktionäre haben sich auf die Konsensveranstaltung Bündnis für Arbeit eingelassen, und da müssen Ergebnisse auf den Tisch. Nur welche? Durch das Bündnis ist die Tarifrunde 2000 defensiv angelegt. Die Basis ist weder für die »Rente mit 60« noch für Überstundenabbau zu gewinnen. Und schlecht ist es auch um die Flächentarifverträge bestellt. Die betriebliche Wirklichkeit mit von diesen Verträgen abweichenden Betriebsvereinbarungen hat die Gewerkschaften eingeholt.

Bleiben die Erwerbslosen. »Saisonbedingt« sind 4,3 Millionen registrierte Menschen ohne Arbeitsplatz, hieß es letzte Woche aus Nürnberg. War also wohl wieder nichts mit der Konjunktur, die den Arbeitsmarkt beleben soll. Aber vielleicht im nächsten Jahr.