Tschetschenien-Krieg und russischer Wahlkampf

Krieg und Terrorismus

Der internationale Kampf gegen den so genannten Terrorismus boomt seit langem. Jetzt gibt es einen neuen Kandidaten für die Fahndungsplakate: James Rubin, Sprecher des US-Außenministeriums. Es gibt auch eine neue Form des Terrorismus: Informationsterrorismus.

Dabei hatte Rubin am Donnerstag von der russischen Regierung nur eine gründliche Untersuchung zu »glaubwürdigen Berichten« gefordert, nach denen die russischen Truppen in Tschetschenien gegen Zivilisten Menschenrechtsverletzungen begangen hätten - ein billiger Vorwurf, ist einem doch spätestens mit dem Kosovo-Krieg wieder eindrücklich ins Bewusstsein gerufen worden, dass es keine Kriege ohne Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung gibt. Die russische Organisation Memorial hatte Zeugnisse von Häftlingen über die Zustände in so genannten Filtrationscamps im Norden Tschetscheniens veröffentlicht, nach denen dort gefoltert werde.

Das russische Außenministerium reagierte heftig: Rubins Äußerungen kämen der »Beteiligung an einer Kampagne von Informationsterrorismus« gleich, ließ es verlauten; seine Bemerkungen seien inakzeptabel, sowohl in der Form als auch im Inhalt. Das US-Außenministerium schlug zurück: Die Beschuldigung sei »unverständlich und lächerlich«.

Die Nervosität der russischen Behörden kommt nicht von ungefähr. Denn der Krieg in Tschetschenien wird langsam, aber sicher zum Thema des Präsidentschaftswahlkampfes. Deutlich wurde das am vergangenen Mittwoch, als etwa 30 russische Medien eine gemeinsame Spezialausgabe über das »Verschwinden« von Andrej Babitski, Korrespondent von Radio Svoboda, veröffentlichten. Babitsky war am 16. Januar beim Verlassen Grosnys von russischen Truppen verhaftet worden; nach Angaben der russischen Behörden wurde er später gegen fünf russische Soldaten »ausgetauscht«, aber über seinen Verbleib ist nichts bekannt. »Wir fordern eine transparente Untersuchung«, »die Macht darf nicht ungestraft bleiben«, stand in dieser Sonderausgabe.

»Mitunterzeichnet«, so schrieb Le Monde lakonisch, »war die Ausgabe insbesondere von der privaten TV-Kette NTV (des Oligarchen Wladimir Gussinski) und von den Tageszeitungen Segodnja (liberale Strömung) und Sowjetskaja Rossija (national-kommunistisch). Hingegen haben die großen Tageszeitungen Izwestija (finanziert von der Gruppe Interros des Oligarchen Wladimir Potanin und von der Ölgruppe Lukoil), Nezavissimaja Gazeta (des diabolischen Milliardärs Boris Beresowski) oder Troud (finanziert von dem russischen Gasgiganten Gazprom) dies unterlassen.« Die beiden seltsamen Allianzen entsprechen in etwa der Positionierung gegen bzw. für den Interimspräsidenten Wladimir Putin. Der will am 26. März die Präsidentschaftswahl gewinnen; seine politische Zukunft hängt unmittelbar mit dem Tschetschenien-Krieg zusammen.

Von einer breiten gesellschaftlichen Bewegung gegen den Krieg kann aber bislang keine Rede sein. Am vergangenen Samstag fand eine Demonstration in Moskau gegen den Krieg statt, zu dem ein Komitee für Anti-Kriegs-Aktionen aufgerufen hatte. In einem Mobilisierungsflugblatt hieß es unter anderem: »Wir denken, dass vom Krieg in Tschetschenien nur eine herrschende Elite profitiert, die entschlossen die nationalistische Hysterie anfacht. (...) Die Welt hat schon gelernt, wie man den Protest gegen brutale, von den Autoritäten organisierte Kriege ausdrückt. Hunderttausende amerikanischer Menschen gingen im Protest gegen den Krieg der USA in Vietnam auf die Straße. Die Proteste gegen die Nato-Aktionen in Jugoslawien wurden quer durch Europa organisiert. (...) Lasst die Macht wissen, dass es keine totale Zustimmung in der Bevölkerung zu ihren Aktionen gibt!« Etwa 200 Menschen kamen zu der Aktion.