Zwischenfall im Gen-Park

Die moralische Ablehnung der Patentierung transgener embryonaler Stammzellen weist einen ideologischen blinden Fleck auf.

Nur wenige Tage, nachdem Gesundheitsministerin Andrea Fischer den Massenanbau des gentechnisch veränderten Bt-Mais des Schweizer Pharmakonzerns Novartis gestoppt hatte, löste Greenpeace erneut Alarmstufe Rot in Sachen genetic engineering aus. Vorletzten Dienstag mauerten AktivistInnen die Eingänge des Europäischen Patentamts (EPA) in München zu. Mit dieser Performance aus dem Repertoire symbolischer Aktionen richteten sie sich gegen das schon am 8. Dezember letzten Jahres unter der Nummer EP 0 695 351 B1 erteilte Patent auf die gentechnische Veränderung von embryonalen Stammzellen. Ein Großteil der Medien und sogar eine Reihe Ministerien stellten sich hinter die Kritik an der Behörde. Das Patentamt, sonst immer straight industriefreundlich, gab sich erstmals kleinlaut.

Ist damit etwas Neues passiert? Hat das Europäische Patentamt eine Schwelle überschritten? Oder ist es anders, liegt das Neue in der Reaktion, in der Tatsache, dass ausgehend von Greenpeace sowohl Andrea Fischer als auch viele Verbände, der Papst und alle Bundestagsparteien diese Form der Patentierung mit unterschiedlichen Rhetoriken ablehnten? Es ist von beidem etwas. Es geht um die Mischung des gesellschaftlich Neuen mit dem Nicht-Neuen.

Das beginnt bereits bei Greenpeace. Noch bis vor einigen Jahren standen große Aktionen zum Thema Gen-Technologie für Greenpeace nicht auf dem Programm. Ihr Campaigner Christoph Then arbeitet erst seit kurzem für den Öko-NGO-Multi. Bis 1998 hat er die unabhängige Initiative »Kein Patent auf Leben« geleitet und Anti-GenTech-Aktionen organisiert - mit weniger Publicity, aber zu gleichen Themen. Schon 1995, bei dem Einspruch gegen die Onko-Maus vor dem Europäischen Patentamt München ging es darum, die Patentierung von Lebewesen zu verhindern und deutlich zu machen, dass der Mensch als besonderes Säugetier im wissenschaftlich-industriellen Diskurs implizit immer schon mitgemeint ist.

Auch die Anti-Gen-Lobbyarbeit im Europäischen Parlament verlief bisher eher ohne Lobby. Deshalb galt die Entscheidung des Europäischen Parlaments gegen die Richtlinie »Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen« 1995 als Überraschungssieg. Die Richtlinie hätte erstmals in Europa die Patentierung von Lebewesen erlaubt. Bereits acht Monate später wurde sie - nur unwesentlich geändert - erneut eingebracht und 1998 angenommen. Der Druck der Industrie war zu groß, und die Sozialdemokratie wollte der Forschung nicht im Wege stehen. Aber auch die Grünen haben bis heute der Gen-Technologie keine klare Absage erteilt. Als die Partei an der hessischen Landesregierung beteiligt war, verhinderte sie z.B. nicht das gemeinsame biotechnologische Förderprogramm von Land und Hoechst-Konzern, der gerade die Mega-Fusion mit dem französischen Pharma-Multi Rh(tm)ne-Poulenc plante.

Der Einspruch von Gesundheitsministerin Andrea Fischer gegen die Patentierung vom Dezember ist daher nicht selbstverständlich. Vielleicht ist das im Kontext eines neuen Machtgefühls einer zivilgesellschaftlich orientierten Elite zu begreifen, das sich in der Einigkeit von Anti-Haider-Gesten und in der Schwäche des Konservatismus ausdrückt. Die Kennzeichnungspflicht gentechnologisch veränderter Lebensmittel und das Biosafety-Protokoll der WTO bei der Montrealer Gesprächsrunde im Januar dieses Jahres, die das Einfuhrverbot gentechnisch veränderter Lebensmittel erst entscheidbar machen, der Einspruch gegen den Bt-Mais, die von Nestlé zurückgezogene Schokolade mit gentechnisch veränderten Substanzen, sind Zeichen in diese Richtung.

Neben die Konjunktur zivilgesellschaftlicher Tapferkeit tritt aber auch eine neue Entschlossenheit auf industrieller Seite. Das gerade erteilte Patent überschreitet tatsächlich erheblich den bisherigen Status quo. Es verletzt offenkundig das Embryonenschutzgesetz, das Manipulationen an der Keimbahn des Menschen verbietet.

Das Patent ist auf ein besonderes, von der Universität Edinburgh entwickeltes Verfahren erteilt worden, aus befruchteten Eizellen eine Zelle zu entnehmen, sie in ihrer genetischen Zusammensetzung zu verändern und von dieser manipulierten Zelle aus einen neuen Embryo herzustellen.

Die australische Firma Stem Cell Sciences, die die Edinburgher Universitätsforschungen unter Exklusivvertrag hat, ist auf die Entwicklung von Stammzellen spezialisiert. Stammzellen sind so genannte totipotente erste Zellen, die sich noch nicht in spezielle Körperzellen differenziert haben. Mit ihnen sollen sich nicht nur Embryos zusammensetzen lassen, sondern vor allem soll versucht werden, diese Zellen so zu manipulieren, dass sie zu Organen oder Hautpartien wachsen.

Das macht sie vor allem für die Transplantationsmedizin interessant, die so Abstoßungsprobleme auszuschalten hofft. Dieses medizinische Problem beschäftigt die ebenfalls im Patentverfahren engagierte Firma BioTransplant. BioTransplant arbeitet mit der ehemaligen französischen Firma Rh(tm)ne-Poulenc zusammen, die mit Hoechst zu Aventis fusioniert ist. Eine weitere industrielle Verbindung des Patents führt nach Aussagen von Greenpeace zu dem Schweizer Pharma-Multi Novartis.

Die derzeitige Diskussion, ob das Patentamt schlampig arbeitet oder absichtlich eine extensive Genehmigungspraxis fährt, ist politisch müßig. Dennoch sei angefügt, dass im Patent-Text unter Punkt 0011 unübersehbar steht: »Im Bereich dieser Erfindung meint der Begriff 'tierische Zellen' alle Zellen von Tieren, insbesondere von Säugetieren, den Menschen eingeschlossen.«

Es ist nichts Neues, dass derartige Verstöße ihre eigentliche Bedeutung durch ihre politischen Folgeeffekte erzielen. Der Verstoß wird eingeräumt. Etwas später wird der Faden an anderer Stelle wieder aufgenommen. Die Bundesärztekammer (BÄK) schloss vergangenen Donnerstag direkt mit der Forderung nach einem Gen-Check für in-vitro gezeugte Embryos im Acht-Zell-Stadium an.

Die BÄK führt ihren Gen-Check unter branchenüblichem Vorbehalt ein: Die Präimplantationsdiagnostik solle nur bei der Gefahr schwerer Erbkrankheiten angewandt werden. So öffnet sich die Bundesärztekammer langsam einer neuen Technik: dem genetischen Screening extra-uterinär gezeugter Embryonen. Die Ängste und moralischen Bedenken, die dem BÄK-Vorstoß folgten, rufen aber ein weiteres Mal ein Phantasma auf, das bisher die gesamte Diskussion durchzogen hat: das Horror-Szenario geklonter Idealbabys.

Diese Dystopie führt aber als unausgesprochenen Subtext das technologische Versprechen mit sich, dass diese horrenden Manipulationen möglich seien. Was dann auf gesellschaftlicher Ebene als gentechnologische Normierung kritisierbar wäre, erscheint auf individueller Ebene kaum ablehnbar: Wer könnte einem prospektiven Kind schon das Recht verweigern, in einer Welt - die durch die dann real gewordene Praxis der Manipulation noch weiter standardisiert wäre - eine »bessere« Ausgangsposition zu erhalten?

Aber genau hier liegt der ideologische blinde Fleck der moralischen Debatte. Er verdeckt, dass die Korrelation zwischen Genom und Krankheit oder eben erwünschter Eigenschaft ein höchst instabiles Verhältnis ist und dass diese industriellen neuen Menschen nicht der größten Gefahr entgegengehen, wenn sie »perfekt geklont« sind, sondern wenn sich herausstellt, dass sie es nicht sind. Oder schlimmer noch: wenn man es nicht wird zur Kenntnis nehmen wollen.