Ausgepresste Zitronen

Mehr Speed durch Lean Production: Der neue rot-grüne Shareholder-Kapitalismus beschleunigt den Verfall der Gewerkschaften und des deutschen Mitbestimmungsmodells.

Der harte Übernahmekampf zwischen dem Mannesmann-Konzern und dem britischen Mobilfunk-Anbieter Vodafone-Airtouch hat in Deutschland eine Aufmerksamkeit gefunden wie kaum ein anderes ökonomisches Thema. Der klare Sieg des britischen Herausforderers, die bemerkenswerte Abfindung für Mannesmann-Chef Klaus Esser von rund 30 Millionen Euro und das leise Murren der Gewerkschaften über ihre offenkundige Ohnmacht hat Bundeskanzler Schröder auf die Bühne gerufen: Er hat die Regulierung von Firmen-Übernahmen zur Chefsache erklärt.

Bis Ende des Jahres will nun eine Experten-Kommission unter Vorsitz von Schröder einen Gesetzentwurf vorlegen, der im Zeitalter der internationalen Mega-Fusionen einen neuen Ordnungsrahmen schaffen soll. Damit möchte die Bundesregierung jedoch nicht die Kapitalmobilität behindern. Im Gegenteil: Eine größere Attraktivität des bundesdeutschen Kapitalmarktes ist erklärtes Ziel dieser politischen Operation.

Nicht nur die Zusammensetzung der »Übernahme»-Kommission, auch die Aufhebung der Besteuerung beim Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und die geplante »Reform« des Betriebsverfassungsgesetzes belegen die kapitalfreundliche Haltung der rot-grünen Bundesregierung.

Im Wahlkampf hatte sich Bundeskanzler Schröder noch dafür stark gemacht, den »Rheinischen Kapitalismus, jenen Dreiklang von Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaat, unter den Bedingungen des Globalismus, ohne Aufgabe des Sozialen« zu restrukturieren. Und der grüne Chefideologe Joseph Fischer hatte ergänzt: »Wir halten den amerikanischen, den angelsächsischen Weg in Deutschland, in Kontinental-Europa nicht für machbar, weil das unsere Gesellschaften auseinander treiben würde. Die Folge wäre wahrscheinlich ein neuer massenhafter Zulauf zu extremistischen Demagogen.«

Die Koalition beabsichtigt jedoch nicht, Übernahmen auf irgendeine Weise zu behindern. Beim so genannten Arbeitnehmerschutz sehen die Regierungsparteien überhaupt keinen Regelungsbedarf, weil die Informationspflicht der Belegschaften längst durch eine EU-Richtlinie geregelt sei.

Auch in der EU nimmt der Einfluss der Shareholder-Value-Philosophie zu und verändert das Kräfteverhältnis von Lohnarbeit und Kapital. Unter dem Druck der Aktionäre werden die Unternehmens-Netze radikal umgebaut. Die Firmen konzentrieren sich auf die Kerngeschäfte, während sie gleichzeitig den Wertschöpfungsprozess verschlanken und die unprofitablen Beteiligungen an anderen Unternehmen abstoßen. Diese Kapitalkonzentration und der Umbau der Unternehmens-Netze ist die Voraussetzung für die massiven Wertsteigerungen auf den Vermögensmärkten: Der Dow-Jones-Index hat sich seit 1989 vervierfacht und auch der bundesdeutsche Aktienindex (Dax) überschritt vergangene Woche erstmals die 8 000-Punkte-Marke.

Die Belegschaften sind gegenüber dieser Strategie des Out-Sourcing, der Verschlankung und der Intensivierung der Arbeit fast wehrlos. Durch die Shareholder-Value-Orientierung gerät die bundesdeutsche Mitbestimmungskonzeption in die Krise. Die mitbestimmungsfreie Zone im privatkapitalistischen Sektor - also der Anteil der Lohnabhängigen in Betrieben ohne Betriebs- und Aufsichträte - hat sich von rund 50 Prozent in den achtziger Jahren auf über 60 Prozent Mitte der neunziger Jahre ausgeweitet. Und nur in zehn Prozent aller betriebsratsfähigen Unternehmen ist die gesetzlich geregelte Gegenmacht der Lohnabhängigen überhaupt noch installiert. Diese Machtverschiebung setzt sich auch in der Erosion der Flächentarifverträge fort.

Die Lohnabhängigen profitieren am wenigsten von dieser Entwicklung - die Gewinne der optimierten Wertschöpfung werden von der wirtschaftlichen Elite und den Aktionären eingesackt. Und auch die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Die Arbeit am Band wird wieder aufgewertet, die Vorteile des standardisierten Taylorismus sollen mit denen der Gruppenarbeit gekoppelt werden. Die Abwendung von der innovativen Arbeitspolitik ergibt sich aus den Zwängen des verschärften Wettbewerbs sowie der unter dem Diktat der Aktionäre geforderten Steigerung der Eigenkapitalrendite und Börsenkurse.

Tom Adler, Betriebsrat bei DaimlerChrysler, fasst die Trendwende folgendermaßen zusammen: »Monotone Tätigkeiten im Minutentakt bestimmen wieder den Alltag an den Bändern. Die Fusion von Daimler und Chrysler hat dieses Roll-Back erheblich beschleunigt. (...) Eines der wichtigsten Mittel, um mehr Speed durchzusetzen, ist die Reduktion der so genannten Fertigungstiefe.« In den Fabrik- und Montagehallen gilt das Motto: mehr Speed durch Lean Production.

Frisst also die Shareholder-Value-Ökonomie die Modernisierung der Arbeit? Die Antwort von Michael Schumann, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts in Göttingen, fällt eindeutig aus. »Die neue Rationalisierungspolitik kontrastiert mit dem Geist der innovativen Arbeitspolitik: Eigeninitiative, Partizipation, Verantwortlichkeit und diskursive Zielfindung werden obsolet, Produktivitätsgewinn wird über die Wiedereinführung von Hierarchie, Kontrolle und Exklusion gesucht. Eine Politik der ausgepressten Zitrone wird möglich.«

Der zunehmende Druck zu höheren Renditen verschärft die Verteilungsverhältnisse enorm. Die Belegschaften sollen mit mehr Speed und weniger Beschäftigten die gleiche Qualität produzieren, die Zulieferer sich mit geringeren Margen zufrieden geben. Ziel ist die modulare Fabrik: Hier stellen eigenständige Zulieferer den größten Teil der Produktionsstufen und tragen gleichwohl das Risiko der Kapitalbindung. Die Insolvenzrate vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen ist daher nach wie vor in allen kapitalistischen Hauptländern hoch. Zugleich verschärft sich die Kluft im Entwicklungsniveau zwischen den kapitalistischen Zentren und der Peripherie; aber auch der Graben zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen nimmt zu.

Die Industriegewerkschaften, selbst wenn sie die Herausforderungen erkennen und tarif- wie gesellschaftspolitisch für einen Ausbau der Gegenmacht plädieren - was in der BRD keineswegs der Normalfall ist - sitzen angesichts der steigenden Produktivität bei gleichzeitig schrumpfender Beschäftigung auf einem morschen Ast. Die rückläufige Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern, die sich in permanent schwächer werdenden Machtpositionen umsetzt, ist auch durch die Fusion von verschiedenen Einzelgewerkschaften nicht aufzuhalten.

Denn die hohe Kapitalproduktivität erzeugt eine überschüssige Arbeitsbevölkerung, die nur durch eine Expansion von Niedriglohnsektoren absorbiert werden kann. In den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern entstehen daher mit den High-Tech-Sektoren zunehmend prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Die Gewerkschaften können sich gegenüber der Machtverschiebung zu Gunsten des Aktionärskapitalismus nur wehren, wenn sie ein Bündnis von Beschäftigten in Industriesektoren und so genannten Niedriglohnbereichen zustande bringen. Eine solche Allianz muss außerdem die Interessen der Arbeitslosen und sozial ausgegrenzten Gruppierungen mit vertreten.

Eine gesellschaftspolitische Offensive, mit der die Macht und Bereicherungswut der Aktionäre in die Schranken gewiesen und zumindest die soziale Ausgrenzung beendet werden kann, ist dabei nur gegen Rot-Grün zu haben. Denn auch, wenn im Wahlkampf anderes versprochen wurde, ließen Fischer und Schröder nie einen Zweifel daran, wohin die Reise mit ihnen gehen würde: »Die demokratische Linke unterschätzt bis heute die gesellschaftspolitisch überragende Bedeutung der Kapitalbeteiligung breitester Bevölkerungsschichten«, lautete schon damals Fischers Credo. »Der Aktienkapitalismus wird die dominante Organisationsform in der Ära des Globalismus sein, und darauf wird der neue Gesellschafts- und Generationsvertrag auszurichten sein.«

Joachim Bischoff ist Redakteur der in Hamburg erscheinenden Monatszeitschrift Sozialismus.