Dietmar Bartsch

»Prinzipien, keine Dogmen«

Realos gegen Fundis: Einen Monat vor dem PDS-Parteitag in Münster sorgen die AntimilitaristInnen in der Partei für altbekannte Frontlinien. Doch nicht nur in der Haltung zu Uno-Kampfeinsätzen sind Parallelen zu den Grünen unverkennbar. Inzwischen glauben viele in der PDS, dass Systemopposition am effektivsten aus der Regierung geleistet werden kann. Dietmar Bartsch ist Bundesgeschäftsführer der Partei.

Nach den Wahlerfolgen in Ostdeutschland im letzten Jahr ist der Auftakt West für die PDS erst einmal ins Wasser gefallen. Sie haben das Wahlergebnis Ihrer Partei in Schleswig-Holstein dennoch als Erfolg bezeichnet. Warum?

Ich habe die 1,4 Prozent nicht als Erfolg bezeichnet, sondern habe von einem realistischen Ergebnis gesprochen. Man könnte - verglichen mit den 0,2 Prozent, die die PDS bei den Bundestagswahlen 1990 in Schleswig-Holstein erreichte - auch von einer Versiebenfachung der Stimmen sprechen. Gemessen an unseren 25 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, ist natürlich noch einiges zu leisten.

Vor dem Parteitag im nächsten Monat sorgt ein Vorstandsantrag zu Uno-Kampfeinsätzen für Streit. Wird es einen Kompromiss geben?

Wir werden auf dem Parteitag eine Vielfalt von Themen behandeln - darunter im Rahmen der programmatischen Debatte auch die Frage der Friedenspolitik. Es wird sich zeigen, ob der Parteitag für eine Einzelfallprüfung von Uno-Kampfeinsätzen plädiert. Konsens ist auf jeden Fall, dass die Bundeswehr nirgendwo etwas zu suchen hat. Darüber hinaus werden wir um Übereinstimmung mit weiten Teilen der Friedensbewegung bemüht sein.

Aber die, die letztes Jahr gegen den Jugoslawien-Krieg waren, haben sich doch auch von der anderen ehemaligen Antikriegspartei - den Grünen - abgewandt, weil dem Ja zu Uno-Einsätzen kurze Zeit später die Zustimmung zu Nato- und Bundeswehr-Einsätzen folgte. Warum sollte es der PDS besser ergehen?

Das sehe ich ausdrücklich anders. Deutschland hat sich letztes Jahr zum ersten Mal - völkerrechtswidrig - an einem Krieg beteiligt. Die PDS hatte eine ganz klare, ablehnende Position zur Nato-Aggression - so wie wir auch zum Einsatz der Bundeswehr eine ganz klare, ablehnende Position haben. Natürlich sollten wir strengste Maßgaben dafür festlegen, wann wir einem Einsatz zustimmen oder uns im Bundestag enthalten - aber prüfen sollte man das schon können. Ansonsten begeben wir uns in eine Position, die nicht mehr von Prinzipien gekennzeichnet ist, sondern von Dogmen.

Das Oppositionsbündnis gegen den Vorstandsantrag reicht von Ex-DKPlern bis zu Vertretern der Kommunistischen Plattform (KPF). Werden sich die Reformer gegen sie durchsetzen können?

Ich bin vollkommen gelassen, was die Frage anbetrifft, ob die, die Sie als Reformer bezeichnen, sich in den zentralen Fragen durchsetzen werden. Abgesehen davon wünsche ich mir auch weiterhin Sozialdemokraten und Kommunisten in der PDS - schließlich soll sie eine pluralistische Partei bleiben. Doch müssen die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten diejenigen sein, die das Profil der Partei prägen.

Sie haben immer wieder betont, dass es bundesweit um die Schaffung einer Mitte/ Links-Option gehen muss. Das heißt doch, dass sie über Uno-Einsätze künftig nicht mehr als Oppositionspartei entscheiden werden, sondern möglicherweise in einer Bundesregierung.

Das will ich deutlich zurückweisen: Weder die programmatische Debatte noch die um Uno-Einsätze wird geführt, um koalitionsfähig zu werden. Es geht darum, das Profil der PDS als sozialistische Partei der Bundesrepublik zu schärfen. Dass wir passfähig zur SPD werden wollen, wird uns gerne unterstellt, und das hat etwas Denunziatorisches: Wie soll man sich denn dagegen wehren?

Es fängt doch bei Begriffen wie »sozialistisch« an. Was soll das im Rahmen der kapitalistischen Bundesrepublik, in der die PDS ja Politik macht, denn heißen?

Im gültigen Programm steht, dass wir demokratischen Sozialismus sowohl als ein notwendiges Ziel, als ein Wertesystem und als eine Bewegung begreifen. Das heißt, dass wir gegen die Dominanz des Kapitals, gegen Ausbeutung, Unterdrückung und ökologischen Raubbau sind - und für soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung, Menschenrechte und Frieden. Darüber, welche Schritte gegangen werden müssen, um das kapitalistische System zu überwinden, gehen auch innerhalb der PDS die Meinungen auseinander. Deshalb kommt es darauf an, programmatisch an Substanz zu gewinnen, um eine solide Grundlage für die praktische Politik zu haben ...

... und Bündnispartner zu gewinnen, mit denen sich diese Ziele umsetzen lassen. Dabei kommen Sie doch gar nicht umhin, Abstriche auf dem Weg zum Sozialismus zu machen.

Das sehe ich nicht so. Wir regieren erfolgreich in Mecklenburg-Vorpommern mit, wir tolerieren die SPD in Sachsen-Anhalt - und zwar ohne uns der SPD anzunähern. Im Moment ist es doch eher so, dass die SPD in Berlin neoliberale Politik für die »Neue Mitte« macht und die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und PDS geringer werden. Wenn es jedoch den notwendigen gesellschaftlichen Druck für eine Mitte/Links-Option geben sollte, dann muss die PDS dafür gerüstet sein, diese Option - wie viele sozialistische Parteien in anderen europäischen Ländern auch - anzunehmen.

Aber der PDS-Chef von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, brüstet sich damit, dass die Grundlage der von Ihnen als erfolgreich bezeichneten PDS-SPD-Regierung nicht das Parteiprogramm, sondern der Koalitionsvertrag sei. Wenn das keine Annäherung an die SPD ist ...

Es wäre realitätsfern zu fordern, dass in einer Koalitionsregierung das Parteiprogramm der PDS die Grundlage bildete. Dass die Bäume auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht in den Himmel wachsen, dass in anderthalb Jahren nicht die Basis für den Sozialismus gelegt wird, ist doch vollkommen klar. Aber in der Arbeitsmarkt- oder der Umweltpolitik ist bereits jetzt mehr erreicht worden als in acht Jahren CDU-Regierung.

Eine Tendenz wie bei den Grünen ist trotzdem nicht zu übersehen - sei es bei der Diskussion um Regierungsbeteiligungen oder in der Debatte um Militäreinsätze.

Logischerweise sind auch wir vor Entwicklungen wie bei den Grünen nicht gefeit. Verhindern lassen wird sich das aber nur, wenn die Partei stark bleibt: Mit 25 Prozent ist die PDS in Mecklenburg-Vorpommern doch in einer ganz anderen Position als die Grünen, die sich mit sechs oder sieben Prozent an der Regierung beteiligen. Außerdem sind die Grünen nie mit der Option angetreten, systemüberwindend zu sein: Sie hatten zunächst nur mit einem wichtigen Thema Erfolg, das sie dann um viele Punkte ergänzt haben. Das war historisch wichtig - ist jedoch mit den politischen Grundlagen der PDS nicht zu vergleichen.

Von einer starken Partei zu sprechen, ist angesichts der Bedeutung der PDS-Bundestagsfraktion wohl etwas übertrieben. Nicht nur bei der Frage der Kampfeinsätze sind es doch Gregor Gysi und seine Berliner Genossen, die dem Parteivorstand die Vorlagen lieferten.

Ich will Fraktion und Vorstand nicht gegeneinander in Stellung bringen: Wir alle haben darum gekämpft, dass eine PDS-Fraktion im Europäischen Parlament sitzt, dass wir gestärkt im Bundestag, den Landtagen und Kommunen vertreten sind. Dass die Fraktion in ganz anderer Weise politisch agiert als der Vorstand, ist doch unstrittig. Wichtig ist, dass die Parteitage die Hoheit in den zentralen politischen Fragen behalten. Und das ist bei uns der Fall.

Gute Voraussetzungen also für eine Regierungsbeteiligung 2002.

Wir dürfen nicht nur 2002 im Blick haben, sondern müssen vor allem dafür sorgen, dass wir im Dialog mit Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen und Verbänden außerparlamentarischen Druck befördern, damit endlich eine Achsenverschiebung der Politik in Deutschland nach links möglich wird. Alles andere überlassen wir dann mal der Zeit nach den Wahlterminen.