Green Cards und Rassismus

Der Angriff der Außerindischen

Wie Elitenförderung im Zeichen der Globalisierung die völkische durch die biologistische Ideologie ersetzt. Über die Konstruktion des Intelligenz-Migranten in der deutschen Green-Card-Debatte.

Seit Gerhard Schröder zur Eröffnung der diesjährigen Cebit seine Pläne zur marktgesteuerten Einwanderung von High-Tech-Gastarbeitern bekannt gegeben hat, gibt es eine neue Ethnie zu bestaunen: den »Computer-Russen« (taz), besser bekannt als »Computer-Inder« (Harald Schmidt). Harald Schmidts Gagschreiber dürften kaum Überstunden gemacht haben, um mit dem »Inder-Net« das passende Habitat für die fleißigen Codierer aus dem fernen Moskau oder Bangalore zu erfinden. Pointentechnisch war die letzte Februarwoche damit gerettet: »Alles ändert sich: Früher war Bafög die Unterstützung für Studenten, heute ist es vielleicht der Vorname ihres indischen Nachbarn am Computer.«

Der Witz ist gar nicht schlecht, verknüpft er doch Schröders Idee von einer »Green Card« für 30 000 und mehr Computer-Experten aus dem Nicht-EU-Ausland mit jener Mittelkürzung bzw. Verteuerung im bildungspolitischen Sektor, die nicht gerade dazu beitragen wird, den von der Industrie beklagten Mangel an »Fachkräften« zu beheben. Schröder zieht aus dem Bildungsnotstand die Konsequenz (Edmund Stoiber: »Armutszeugnis«), den hiesigen Eliten eine Internationalisierungskur zu verschreiben: »Wir müssen ein Land werden, das offen ist für die Besten der Welt.«

Die im Subtext des Green-Card-Vorschlags gewünschte Annäherung von Neuer Mitte und Neuem Markt produziert dabei exquisite neue Rollenmodelle und Feindbilder. Die Rede von den »Besten der Welt« soll den Druck auf den Arbeitsmarkt steigern, zugleich aber klarmachen, auf wen auch in Zukunft ohne weiteres verzichtet werden kann.

Solche Elitenförderung im Zeichen der Globalisierung löst Abwehrreflexe von der CSU bis zu den Gewerkschaften aus (Jungle World, 11/00). Entschieden völkisch argumentiert auch der frühere CDU-»Zukunftsminister« Jürgen Rüttgers: Er wünscht sich »Kinder statt Inder« an den Computern. Die bereits zu beobachtende Angst vor dem hoch qualifizierten »Computer-Inder« ist dabei besonders heikel, weil sie mit einer narzisstischen Kränkung der Nation der Dichter und Denker einhergeht. Bisher hat man Gastarbeiter bevorzugt dort beschäftigt, wo man selbst keine Hand mehr anlegen wollte. Nicht ohne Grund konnte sich der Deutsche Bauernverband (DBV) im Laufe der Green-Card-Debatte als Avantgarde modernisierter, flexibler Einwanderung hervortun: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt sei es praktisch unmöglich, für die harten körperlichen Arbeiten beim Ernteeinsatz genügend geeignete Kräfte zu finden, meint Gerd Sonnleitner vom DBV, weshalb man schon seit einiger Zeit mit einer saisonalen Green Card für Erntehelfer gut fahren würde.

Über eine derartige Ausnahmeregelung wird nicht länger diskutiert, weil sie die Arbeitskraft der MigrantInnen in alter Manier auf körperliche Leistungsfähigkeit reduziert. Ein Körper, der, mit genügend Differenzmerkmalen ausgestattet, niedere Arbeit verrichtet, stellt die rassistische Ökonomie der Einordnung und Ausbeutung vor keine unbekannten Probleme. Mehr Schwierigkeiten bereiten dagegen Verhältnisse, in denen, wie Antonio Negri über den postindustriellen Typus immaterieller Arbeit schreibt, das Kapital, welches »über die Differenziale der Produktivität entscheidet«, sich nunmehr »im Gehirn der Menschen, die arbeiten«, findet.

Wie aber funktioniert ein rassistischer Diskurs, der es mit solcher »virtuellen« Produktivität zu tun bekommt, deren dazugehörige »digitale Ökonomie« sich maßgeblich in den neunziger Jahren, der »Dekade des Gehirns« (George Bush), entwickelt hat?

Auf die »Immaterialität« der Kompetenz von Menschen aus Nicht-EU-Ländern, die in den Branchen der so genannten Informations- und Kommunikationstechnologie beschäftigt sind, reagieren die Medien vereinzelt mit der routinierten Herstellung eines ethnifizierenden Körperbilds. Die Illustration eines Spiegel-Artikels zur Situation auf dem IT-Arbeitsmarkt zeigt bereits die Richtung an, in die die visuellen Strategien der Cebit-Politik sich bewegen werden: Im Vordergrund des Fotos, die Arme verschränkt, posiert der deutsche »Computerunternehmer« im Anzug, während im Hintergrund vier Männer in weißen Hemden ohne Jackett stehen, die »Computer-Inder«. Sowohl die Kleiderordnung als auch die Komposition der Fotografie (inklusive nachlassender Schärfentiefe) erklärt die ausländischen Mitarbeiter zu Vertretern eines (noch?) sozial abgestuften, aus dem Hintergrund in den Vordergrund hineinwirkenden Humankapitals - eine mysteriöse Präsenz (an der Grenze zur Unsichtbarkeit) im deutschen Multikulti-Panorama, Anwärter auf eine neue Subjektform des Kapitals.

Allerdings, wie will man aus diesen designierten Trägern der »Schlüsselkompetenzen« und der »Qualifizierungsoffensive« (Schröder) eine mit den üblichen ideologisch-diskursiven Instrumenten repräsentierbare Minderheit machen? Diese Leute werden kein Auto zusammenbauen, keinen Döner zubereiten, keine Wohnungen putzen, sondern das tun, wofür sie bekannt sind: »konzise, elegante Codes programmieren« (Wired). Eine schwer auf Bilder zu bringende Aktivität. Das Interesse in einer »wissensbasierten Gesellschaft«, wie Peter Glotz in Spiegel-Online schreibt, konzentriert sich schließlich auf das, was »im Kopf eines guten Wissensarbeiters« vor sich geht. Auch Tony Blair wusste schon im 1997er Wahlkampf, dass »Großbritannien zunehmend mehr von Gehirnen als von Muskeln abhängt»; Glotz assistiert heute mit dem Hinweis, die »wichtigste Ressource der Informationsgesellschaft« sei: »'Brain' - Wissen«.

Aber diese Ressource ist unsichtbar, und sie findet sich, das weiß ein so weltläufiger, von der eigenen und von fremder Intelligenz enorm faszinierbarer Mann wie Glotz genau, häufig in Ländern außerhalb der EU. Wenn dann noch »Innovationsforscher« wie Erich Staudt (Bochum) vermelden, dass die Deutschen beim Programmierer-Headhunting in Indien oder Russland spät dran seien (»Die Amerikaner waren schon da!«), muss der Gefahr von Standortnachteilen durch rasches, unbürokratisches Handeln begegnet werden - ansonsten nicht unbedingt ein Charakteristikum des Umgangs der Deutschen mit Migration.

Weshalb Peter Glotz in dieser Zwangslage (»Wettbewerb des digitalen Kapitalismus«) erwägt, ob es nicht ratsam sei, ausdrücklich auch auf Kosten von Asylbewerbern und Aussiedlern, eine Quote für »Spitzenkräfte der digitalen Ökonomie« einzuführen - »wenn die Politik sich diese Entscheidung zutraut«. Er bewegt sich damit ganz auf dem Kurs der FDP, deren alter Entwurf eines »Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes«, das die qualitative Steuerung der Einwanderung vorsah, jetzt wieder Aktualität genießt. Guido Westerwelle jedenfalls meint, Schröder habe absolut Recht damit, »Intelligenz aus dem Ausland« abzuwerben; dies entspreche »nationalen Interessen«, solange man gleichzeitig einer »falschen Zuwanderung« entgegenwirke.

Die Verbindung zwischen einwanderungspolitischen Fragen und einer systematischen Privilegierung von Kopfarbeit durch die Informationsgesellschafts-Ideologen erinnert daran, wie etwa die US-Einwanderungsbehörde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Hilfe von Intelligenztests die Migranten an der Grenze aussiebte. Heute geht die Selektion der »Besten der Welt« einher mit immer weiter verschärften Kontrollen an der US-mexikanischen Grenze oder einer Abschottung der Festung Europa, und es war nur symptomatisch, dass kurz nach Schröders Cebit-Rede sein Innenminister Otto Schily nach Ungarn und Polen gereist ist, weil es dort »stark migrationsbelastete EU-Außengrenzen« (Schily) zu sichern gelte.

In einem kurzen Aufsatz von 1978 hat Pierre Bourdieu die Kategorie eines »Rassismus der Intelligenz« skizziert. Er definiert ihn als eine Strategie der Selbstlegitimierung der Eliten, welche behaupten, qua Bildung und Intelligenz einen gesellschaftlichen Führungsanspruch genießen zu dürfen - um so eine Gesellschaft zu beherrschen, deren Basis eine »Diskriminierung auf Grundlage der 'Intelligenz' ist«. Die Cebit-Politik eines gezielten Software-Elite-Imports ist das aktuellste Beispiel eines solchen Intelligenzrassismus: Zwar zeigt es einerseits, wie unvorbereitet selbst die Propagandisten der Neuen Mitte den globalen Modernisierungsprozessen gegenüberstehen, andererseits dokumentiert es aber auch den Versuch, mit den Instrumenten einer selektiven Zuwanderungspolitik den Glanz der eigenen geistigen Überlegenheit durch die - wenn möglich: befristete - Aufnahme von Nicht-EU-Intelligenzmigranten zu unterfüttern.

Wurden über lange Jahre vor allem »deutschstämmige« Einwanderer bevorzugt behandelt, scheint sich die Deutschland AG im Zeichen von Schröders Neuer-Markt/Neue-Mitte-Phantasma zumindest bereichsweise von den völkischen Kriterien trennen zu wollen und ihr Heil in der Umarmung der globalen High-Tech-IQ-Elite zu suchen. Welche Auswirkungen dieser Schwenk mittelfristig auf die Diskussion um das überfällige Einwanderungsgesetz haben wird, ist noch nicht abzusehen.

Fest steht jedoch, dass eine Cebit-Politik der kontingentierten Erteilung von Arbeitserlaubnissen - etwa für Söldner der neuen »High tech army« (Wired) aus den indischen Softwarezentren - auf ein pogrombereites Milieu trifft. Man denke an die popkulturell produzierte Angst vor außerirdischen »Höheren Intelligenzen« oder, noch dringender, an den »Mythos von der überlegenen jüdischen Intelligenz« (Sander L. Gilman), einen der Bausteine des Antisemitismus.

P.S. Um ihren Führungsanspruch zu wahren, könnten deutsche Führungskräfte aus der dot.com-Gemeinschaft ein neues Buch aus dem Campus-Verlag lesen, das gemäß der Formel »IQ + EQ + x = eQ« »Erfolg mit eQ« verspricht. Der Autor Dietmar Wendt will den Managern dabei helfen, ihren Karrierevorteil zu sichern, indem er zeigt, wie man »elektronische Intelligenz« erlernen kann. Derart angeleitet, lässt sich der Schrecken beim Anblick des neuen indischen Kollegen sicher leicht verarbeiten.