Referendum in der Schweiz

Die Schweiz bleibt eine Armee

Das Volksbegehren für eine pazifistische Sicherheitspolitik ist in der französischen Schweiz gescheitert.

Genf wird vorerst keine »Friedensrepublik«. Die Initiative Genève, Republique de paix hat am vergangenen Sonntag in dem französischsprachigen Kanton keine Mehrheit gefunden. Per Volksbegehren sollte die Genfer Kantonalregierung verpflichtet werden, sich künftig auf lokaler oder internationaler Ebene für eine pazifistische Sicherheitspolitik einzusetzen. Doch die Mehrheit der Genfer wollte nicht an dem Status der Schweizer Armee rütteln: Nur 42,8 Prozent von ihnen stimmten für die Initiative. Die restlichen 57,2 Prozent entschieden sich gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen: Der Kanton Genf sollte sich für weniger Militärausgaben und mehr Konfliktprävention einsetzen sowie bei der Eidgenossenschaft dafür plädieren, dass militärische Anlagen in Genf wieder zivil genutzt werden. Veranstaltungen, die für die Armee werben, sollten verboten werden.

Zwar ist der Spielraum für die kantonale Friedenspolitik knapp bemessen und durch die eidgenössische Gesetzgebung vorgegeben; die Niederlage hat daher vor allem symbolische Bedeutung. Die Abstimmung zeigte aber gleichzeitig die klare Spaltung, die in der Schweiz zwischen ArmeegegnerInnen und -befürworterInnen existiert. Der Schweizer Bundespräsident Adolf Ogi von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der auch Militär- und Sportminister ist, drohte den GenferInnen unlängst bei einem Besuch mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Die Initiative gefährde die Existenz bereits bestehender Institutionen, wie des Centre de politique de sécurité (Zentrum für Sicherheitspolitik) oder des Centre International de déminage humanitaire (Internationales Zentrum für humanitäre Entminung). Das sei nichts anderes als »Erpressung«, kritisierten ihn die InitiativbefürworterInnen postwendend.

Eingeleitet wurde das Volksbegehren von der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) nach einer Militärparade im Oktober 1995. Der Vorbeimarsch war als Provokation empfunden worden und hatte heftige Proteste ausgelöst. Seitdem hat die friedensstiftende Initiative der GSoA einen langen Hindernislauf durch die Behörden zurückgelegt. Nach der erfolgreichen Unterschriftensammlung erklärte die damalige liberal-konservative Parlamentsmehrheit das Volksbegehren für ungültig. Das eidgenössische Bundesgericht genehmigte schließlich die Initiative mit Einschränkungen. Zwei Forderungen wurden fallen gelassen: Der Einsatz des Militärs bei inneren Unruhen sowie zum Schutz der vielen in Genf ansässigen Internationalen Organisationen wurde durch das Referendum nicht mehr in Frage gestellt. Inzwischen sitzt im Genfer Kantonsparlament eine rot-grüne Mehrheit, die dem Referendum ihren Segen erteilte und den Stimmberechtigten die Annahme empfahl.

Die Genfer Abstimmung am Wochenende war eine Nachzüglerin der großen nationalen Volksinitiative für eine »Schweiz ohne Armee« von 1989. Die damalige Vorlage konnte einen beachtlichen Erfolg verbuchen: 35,6 Prozent stimmten für eine Schweiz ohne Armee. Im Kanton Genf war die Abschaffungsinitiative von 1989 sogar mit einer Mehrheit angenommen worden. Dabei hatten die ArmeebefürworterInnen der Initiative damals höchstens zehn Prozent Zustimmung vorausgesagt. Auch wurden die Kommissköpfe nicht müde, bei jeder unpassenden Gelegenheit zu posaunen: »Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee.« Diese Anspielung galt der allgemeinen Militärdienstpflicht, die bis 1995 alle 20- bis 50jährigen Männer dazu verpflichtete, regelmäßig an militärischen Kursen teilzunehmen sowie ein Sturmgewehr bei sich zu Hause aufzubewahren. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl besaß die Schweiz damals die größte Armee der Welt.

Seit der GSoA-Abstimmung vom November 1989 haben sich - wie im übrigen Europa auch - in der Schweiz die Fragestellungen in der Militärpolitik verschoben. Die Schweizer Landesregierung setzte in den vergangenen Jahren auf eine Verringerung der Miliz-Armee: Weniger Soldaten, dafür ein verstärkte und modernere technische Ausstattung. Gleichzeitig wurde die Abkehr von der bisher eng ausgelegten Neutralitätspolitik und eine verstärkte Anlehnung an die EU- und Nato-dominierte Militärpolitik Europas eingeleitet.

Offiziell beruft man sich nun auf »Sicherheit durch Kooperation«. Eine stärkere sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der EU ist auch der Hintergrund, wenn in dieser Woche die Beratungen im eidgenössischen Parlament über eine Revision des Militärgesetzes beginnen. Künftig sollen Schweizer Soldaten bewaffnete Einsätze auch im Ausland leisten können.

Die Ausgangslage der Verhandlungen ist klar: Die isolationistische, nationalkonservative Rechte bekämpft grundsätzlich die Möglichkeit von Auslandseinsätzen, da sie in ihnen einen schrittweisen Eintritt in die Europäische Union bzw. in die Uno sieht. Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), angeführt von dem Rechtspopulisten Christoph Blocher, droht mit einer Volksabstimmung. Christoph Blochers Auns »wetzt bereits das Messer«, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung.

Kritik gegen die Gesetzesvorlage, die von Christdemokraten und Liberalen unterstützt wird, kommt auch von Links. Die ArmeegegnerInnen der GSoA haben ihre Forderung nach einer völligen Abschaffung des Militärs inzwischen allerdings abgeschwächt. Um Blochers nationalistisches Lager nicht zu begünstigen, gehen sie nun auch Kompromisse ein. So hat die GSoA in den vorparlamentarischen Beratungen bereits drei Forderungen formuliert, die den Einsatz des Militärs zumindest einschränken.

Erstens soll eine militärische Beteiligung der Schweiz nur im Rahmen eines Uno- oder OSZE-Mandates möglich sein. Zweitens ist die Beteiligung der Schweiz auf friedenserhaltende Operationen zu beschränken. Kampfeinsätze sollen gesetzlich ausgeschlossen werden. Drittens ist die Bewaffnung der eingesetzten Soldaten auf den Selbstschutz zu beschränken. Der GSoA-Aufruf wird inzwischen von einer Vielzahl von Organisationen unterstützt, bis hin zu den Grünen und der Frauenorganisation der Sozialdemokraten.

Trotz dieser »Korrekturen« verfolgt die GSoA auch weiterhin in erster Linie eine »Reduktion der immensen Ausgaben für die Gesamtverteidigung und eine Umverteilung zu Gunsten einer zivilen Friedenspolitik«. Im November 2000 werden die Schweizer StimmbürgerInnen über die so genannte Armeehalbierungsinitative der Sozialdemokraten zu befinden haben, die eine Halbierung der eidgenössischen Militärausgaben innerhalb von zehn Jahren verlangt.

Solche Maßnahmen gehen den AktivistInnen der ersten Anti-Militär-Abstimmung von 1989 nicht weit genug. Sie haben inzwischen die GSoA/Zweite Generation gegründet und fordern weiterhin die Abschaffung der Schweizer Armee. Mit einem neuen Volksbegehren wollen sie durchsetzen, dass innerhalb von zehn Jahren alle Militärbestände aufgelöst und die Geräte und Einrichtungen der Armee einer zivilen Nutzung zugeführt oder vernichtet werden.