Repression in Jugoslawien

Provozieren und kontrollieren

Ein Trimm-Dich-Pfad durch die neue Repressionslandschaft Jugoslawiens.

Dämmerung. Eine Kreuzung von zwei großen Straßen. Mehr und mehr Menschen strömen zusammen. Es ist keine wütende Hetzmasse, sondern es sind meine NachbarInnen, die in einer Mischung aus Verärgerung und Frustration auf die Straße gehen. Ein Mikrofon wird herumgereicht. Und die Bürgermeisterin des Stadtviertels, Milena Milosevic, eröffnet eine Open-Air-Sitzung des Gemeindeparlaments. Hier. Mitten auf dem Bürgersteig. Im Viertel zwischen dem funktionalistischen Hochhaus des Hotels »Slavija« aus den frühen Tagen des sozialistischen Jugoslawien und der Neunziger-Jahre-Dauerbaustelle für den angeblich größten orthodoxen Kirchenbau der Welt.

Nicht weit entfernt von dieser Versammlung, auf der anderen Seite der Straße steht ein Wagen Marke Chevrolet, der für solche Anlässe legendär geworden ist. Davor ein paar junge Typen mit glatt rasierten Schädeln, die zu viel Zeit ihres Lebens im Bodybuilding Center verbracht haben. Am Tag zuvor hatten sie Leute verprügelt, die Plakate der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) von den Wänden rissen. Auf ihnen war Madeleine Albright mit einer geballten Faust abgebildet, dem Symbol der studentischen Gruppe Otpor (Widerstand). Otpor ist dafür bekannt, die sozialistische Ikonografie von Aufstand und Kampf aus den Händen des Systems zurückzuklauen. Mit der neuen SPS-Kampagne, protestierende StudentInnen als die bezahlten HandlangerInnen der USA darzustellen, geht der Diebstahl der Zeichen in die Runde der Rückaneignung.

Die ganze Anordnung auf jener Straßenkreuzung führt in den Mikrokosmos der politischen Szenerie in Serbien ein. Wir sind in Belgrad, Anfang März, auf einer Kundgebung gegen eine SPS-Plakatkampagne im Stadtteil Vracar, in dem die Opposition schon 1990 die ersten Mehrparteienwahlen in Jugoslawien gewonnen hatte. In Vracar hat die SPS 1996 keinen Kandidaten bei der kommunalen Abstimmung durchbekommen; jenen Wahlen, die sie so unverhohlen manipulierte - womit sie die massiven Proteste der Jahreswende 1996/97 auslöste. Seitdem ist Vracar der Stadtteil mit dem höchsten dissidenten Symbolwert in Belgrad.

Auf dem IV. Parteikongress im Februar dieses Jahres wurde Branislav Ivkovic zum Vorsitzenden der SPS Vracar ernannt - »um endlich wieder die Dinge in die Hand zu nehmen«. Und er bemüht sich redlich. Die Anti-Otpor-Kampagne gilt als seine Idee. Konflikte provozieren, um sie dann mit harter Hand zu kontrollieren, ist eine der Regierungsstrategien, die soziale Wut produziert und niederhält. Ivkovic war bis 1996 Chef der Belgrader SPS. Zusammen mit dem damaligen Oberbürgermeister Nebojsa Covic wurde er für die Wahlniederlage von 1996 verantwortlich gemacht und abgesetzt. Kurz später tauchte er als serbischer Minister für Wissenschaft wieder auf.

Für den Vreme-Journalisten Nenad Stefanovic verdeutlicht dies die SPS-Strategie, durch Strafe und Treue immer wieder innerhalb der gleichen politisch-bürokratischen Mannschaft Posten umzuverteilen. Die aggressive Geste Ivkovics kopiert den Tonfall, der die gesamte Karriere von Slobodan Milosevic auszeichnet. Am 17. Februar gab der Präsident auf dem IV. Parteikongress eine neue Kostprobe. In der fortschrittsutopischen Architektur des Sava Centars in Neu-Belgrad hielt er eine halbstündige Ansprache, in der er sich direkt zur Opposition äußerte, was er bisher sehr selten gemacht hat. Dass er die Hälfte seiner Redezeit brauchte, um die einfache Aussage: »Es gibt keine wirkliche Opposition in diesem Land« zu formulieren, ließ schon erahnen, dass er noch anderes im Hinterkopf hatte. Und jene Jungs vor dem Chevrolet in Vracar sind nur eine Mini-Materialisierung seiner unausgesprochenen Ideen.

Seit dem IV. SPS-Kongress ist das alltägliche Leben in Serbien von anonymer Gewaltanwendung in niedriger Dosierung geprägt. Das erinnert an den Zustand, den wir hier kurz vor dem Ausbruch bewaffneter nationalistischer Kämpfe erlebt haben. Deshalb ist die Reaktion der Leute in Vracar so wichtig und spektakulär. Zusammen und von unten gegen die Gewalt des Systems auf die Straße gehen, auch wenn bezahlte Schläger daneben stehen, ist im Moment die einzige mögliche Antwort.

Die Ereignisse nach dem IV. Parteitag scheinen die These eines aggressiven U-Turns in der Innenpolitik zu bestätigen. Im Februar sind rund 200 studentische AktivistInnen von Otpor in verschiedenen Städten festgenommen worden. Damit ist ein Rekord seit der Gründung der SPS erreicht. Gleichzeitig nimmt die Härte zu, mit der Leute strafrechtlich verfolgt werden. Am bekanntesten ist der Fall von Boguljub »Maki« Arsenijevic geworden, einem Maler aus Valjevo, der nach der Nato-Bombardierung zum politischen Akivisten wurde. Er bekam drei Jahre Gefängnis, weil er einen Protestmarsch angeführt hatte, der in der Stürmung des Rathauses kulminierte.

Der Riot von Valjevo wurde nach dem Kosovo-Krieg als erste symbolische Geste der Selbstermächtigung einer Bevölkerung angesehen, die sich von Regierung, Opposition und der bombenden internationalen Gemeinschaft gleichermaßen betrogen fühlte. Arsenijevic wurde von der Polizei zusammengeschlagen und verschwand letzte Woche spurlos aus dem Gefängniskrankenhaus. Seither gibt es keinen Hinweis, was mit ihm passiert ist.

In derselben Woche, in den frühen Morgenstunden des 6. März, drangen maskierte Männer in Tarnuniformen in die Gebäude von Studio B ein, der von Vuk Draskovic kontrollierten Fernsehstation, die seit August letzten Jahres auch B2-92 beherbergt, den Radio-Nachfolger von B-92. Die Männer schlugen den Nachtwächter mit Gewehrkolben nieder und stahlen die Sendeanlagen. Inzwischen sind beide Stationen in einigen Teilen Belgrads nicht mehr zu empfangen. Einen Tag später erklärte der Informationsminister, dass Studio B innerhalb von acht Tagen elf Millionen Dinar (rund 550 000 Mark) Lizenzgebühren nachzahlen müsse. Wenn es der Regierung gelingt, die unabhängigen Medien in Belgrad kaputt zu machen, bleibt nicht viel Hoffnung für die kleineren Fernseh- und Radiostationen in Serbien.

In den letzten Tagen wurden dann auch noch Radio Boom 93 in Pozarevac, RadioTelevision Pozega und TV Nemanja und Radio Tir in Cuprija geschlossen. Das von B2-92 organisierte Netzwerk der Unabhängigen Medien (ANEM), zu dem Boom 93 zählt, scheint neben den Belgrader Zeitungen Danas, Glas Javnosti und Vecernje novosti das wichtigste Objekt der Medien-Repression zu sein. Der stellvertretende Ministerpräsident Vojislav Seselj hatte im Februar die unabhängigen Medien mit der Erschießung von Verteidigungsminister Pavle Bulatovic in Verbindung gebracht und mit Strafaktionen und Liquidierungen von JournalistInnen gedroht. Seitdem wird unter dem Label »Sag Nein zur Gewalt!« in allen unabhängigen Medien kein Wort mehr über Seselj veröffentlicht.

Studio B hat nun beschlossen, seine Lizenzgebühren nicht nachzuzahlen. Am Montag dieser Woche lief die Zahlungsfrist ab. Die Oppositionsparteien haben Großdemonstrationen angekündigt, falls die Regierung Studio B schließt oder übernimmt. Es könnte sein, dass der Diebstahl der Belgrader Sendeanlagen der Anlass für den Beginn einer neuen Demonstrationswelle wird.

Viele Leuten sind allerdings noch von den gescheiterten Zajedno-Demonstrationen von 1996/97 geprägt, die im internen Streit der Opposition endeten. Seit Monaten treffen sich der Bund für Veränderungen, der Bund der demokratischen Parteien und der Zentrumszusammenschluss DAN mit der Serbischen Erneuerungsbewegung und der wirtschaftsliberalen Ökonomiegruppe G17plus. Bisher konnten sich die Gruppen weder auf eine gemeinsame Wahlliste noch auf einen erneuten Start der Demonstrationen einigen. Ein weiteres Mal versucht sich die Opposition an einem unmöglichen Zusammenschluss von sich gegenseitig ausschließenden politischen Positionen, um ihr anscheinend einziges klares Ziel zu erreichen: Slobodan Milosevic abzusetzen.