Die Bündnisse der PDS

Regieren geht über Tolerieren

Sozialdemokratische Dialektik: Um nicht mehr allein auf die SPD als Bündnispartner angewiesen zu sein, will die PDS in Schwerin und Magdeburg verbindlichere Vereinbarungen - mit der SPD.

Der Hinweis kam von oberster Stelle. »Vielleicht gibt es ja inzwischen in der CDU mehr sozialdemokratische Traditionen als in der SPD«, ließ PDS-Bundeschef Lothar Bisky seine Genossen vergangenen Herbst wissen- und schloss eine Zusammenarbeit mit den Konservativen im Osten nicht länger aus. In der Krise liegt die Chance: Ob es nun um die Verschärfung des Polizeigesetzes in Sachsen-Anhalt geht oder um den Kleinkrach wegen der von der SPD abgelehnten Einführung einer so genannten Orientierungsstufe an Mecklenburg-Vorpommerns Schulen- die PDS will sich von der SPD im Osten nicht länger vorführen lassen. Künftig, so ein Parteitag der Nordgenossen am Wochenende, werde man dem Schweriner Regierungspartner öfter »die Instrumente zeigen«. Nach dem Bruch der Koalitionsvereinbarung in der Schulfrage müsse die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten auf eine verbindlichere Grundlage gestellt werden.

Und das, obwohl das seit September 1998 bestehende Bündnis zwischen dem PDS-Landeschef in Schwerin, Arbeitsminister Helmut Holter, und seinem SPD-Kollegen, Ministerpräsident Harald Ringstorff, verbindlicher nicht hätte sein können. Dass nun ausgerechnet die Frage, ob Schülerinnen und Schüler bereits in der fünften Klasse aufs Gymnasium gehen dürfen oder nicht, für Zündstoff sorgt, macht die Koalition allerdings auch nicht brüchiger. An der Regierung mit der SPD, versicherten die Delegierten auf dem Parteitag in Grimmen, werde man festhalten. Abgesehen vom Schulstreit habe sich die sozialdemokratische Kooperation bislang schließlich bestens bewährt. Kein Wunder, zählt für Parteichef Holter nach eigenem Bekunden doch »nur die Koalitionsvereinbarung« als Messlatte für den Erfolg des Schweriner Modells - »und nicht das Wahlprogramm oder gar das Parteiprogramm«.

Bahn frei für neue Bündnisse: Mit der Aufkündigung der gemeinsamen Schulpolitik im Norden und der geplanten Verschärfung des sachsen-anhaltinischen Polizeigesetzes durch die SPD könnten innerhalb der PDS die letzten Vorbehalte kippen, es künftig auch einmal mit den Christdemokraten zu versuchen. Spätestens seit ihrem Aufstieg zur stärksten Ostpartei bei den Wahlen 1999 braucht sich die PDS auf der Suche nach neuen Mehrheiten keine Sorgen mehr zu machen. Am Fehlen des Wörtchen »sozial« im Parteinamen dürfte es jedenfalls nicht liegen, wenn die PDS in Potsdam, Erfurt oder Magdeburg eines Tages einen anderen Regierungspartner als die SPD findet. Schließlich forderte Holter schon im letzten November, die PDS müsse »Abschied von dem Selbstverständnis einer Umverteilungspartei nehmen und wirtschafts- wie finanzpolitische Kompetenz zeigen«.

So wie die CDU eben. Die freie Mehrheitssuche in der Zone kann beginnen. Durch die Krisen der sozialdemokratischen Kooperationsmodelle in Schwerin und Magdeburg stellt sich für die Ostgenossen zumindest mittelfristig die Frage, ob sie angesichts der untreuen SPD nicht einfach selbst den Partner wechseln. Auch wenn die Delegierten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt am Wochenende noch näher an die SPD heranrückten, können sie dabei nur gewinnen: Im Kampf um die sozial verträglichsten Werbeplakate zwischen Zittau und Rostock ist den so genannten Volksparteien schließlich jede neu eingerichtete ABM-Stelle recht. Wieso also sollte das, was in vielen Kommunen gut klappt, nicht auch auf Länderebene funktionieren? Die Arbeitslosigkeit zu verwalten dürfte der PDS in Bündnissen mit der CDU nicht schwerer fallen als mit der SPD.

Die Wählerinnen und Wähler der Partei wären die letzten, an denen die neue Offenheit nach rechts scheitern würde. Beispiel Sachsen-Anhalt: Während PDS-Funktionäre und Landtagsabgeordnete durchs Land reisen, um die Basis davon zu überzeugen, dass sie das neue Polizeigesetz ablehnen sollen, unterstützen viele der Genossen den Vorschlag der sozialdemokratischen Konkurrenz: Die will - nach monatelanger Vorarbeit ihres Innenministers Manfred Püchel - neben der Video-Überwachung von »gefährlichen Orten« und einem vierzehntägigen Schutzgewahrsam auch verdachtsunabhängige Kontrollen auf den Fernstraßen des Landes einführen. So wie große Teile der PDS-Basis: Schärfere Gesetze sind für sie nicht das Problem, sondern eher die Tatsache, dass die PDS bei einem Ende der Tolerierung darüber nicht mehr mitentscheiden dürfte.

Das Magdeburger Modell macht es möglich: Innenminister Püchel, der schon bei der ersten Auflage der SPD-PDS-Tolerierung für eine Große Koalition mit der CDU plädierte und sich gegen das bis April 1998 bestehende Bündnis von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) mit den Grünen ausgesprochen hatte, setzt auf den Opportunismus der PDS-Abgeordneten. Während er seinen Rücktritt angekündigt hat für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Gesetz doch noch scheitern sollte, bleibt dem Tolerierungspartner PDS angesichts fehlender Ministerposten nichts anderes übrig, als die Zusammenarbeit mit der allein regierenden SPD weiterzuführen. Selbst Kritiker des Gesetzes, so etwa der stellvertretende PDS-Fraktionschef Matthias Gärtner, räumen ein, dass die Tolerierung immer noch das beste Regierungkonzept sei. Der einzige Ausweg aus der Krise: Noch engere Absprachen mit der SPD - die Partei müsse endlich zur Verbindlichkeit gezwungen werden. Warum das in einer richtigen Koalition schlechter klappen sollte, bleibt allerdings sein Geheimnis.

In Mecklenburg-Vorpommern ist man da schon weiter. Zwar kippte das Verfassungsgericht des Landes nach einer Klage der PDS eine Neufassung des Polizeigesetzes, die der aus Sachsen-Anhalt an restriktiven Bestimmungen in nichts nachstand. Doch an repressiven Ansätzen lässt es die Regierung Ringstorff-Holter trotzdem nicht fehlen. So stehen an Landesmitteln für politische Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus gerade einmal 300 000 Mark zur Verfügung; unter Höppner in Magdeburg sind es immerhin zehn Millionen. Und statt gesellschaftspolitischer Aufklärung, die manch einer von demokratischen Sozialisten noch erwartet, versucht eine Mobile Aufklärungsgruppe Extremismus (Maex) der Polizei für Ordnung in der florierenden rechten Szene zu sorgen. Vergebens: »Der Rechtsextremismus kann nicht nur mit Polizei und schon gar nicht mit akzeptierender Jugendarbeit bekämpft werden«, meint Monty Schädel, PDS-Abgeordneter in Schwerin. Schon wegen der Ausmaße des Problems: Allein im November vergangenen Jahres zählten die Ordnungshüter 21 Neonazi-Aufmärsche; Umfragen zufolge tendieren 40 Prozent der jugendlichen Männer zu rechtsextremistischem Gedankengut.

Doch neben den Maex-Beamten kümmern sich zum Glück ja auch die Arbeitsämter in Greifswald, Schwerin und Rostock um die Jugend des Landes. Vielleicht haben die künftig ein paar Stellen auf den zahlreichen Gen-Ackern des Landes zu vergeben. Denn Rosa-Rot will Arbeitslose nicht nur möglichst schnell zurück auf den Arbeitsmarkt bringen, sondern setzt darüber hinaus auf ein standortorientiertes Wirtschaftswachstum, das keine Tabus vor neuen Technologien kennt. Auch die Ansiedlung von Unternehmen aus dem Bereich der Biotechnolgie werde in Schwerin begrüßt, so Angela Marquardt, technologiepolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion. »Dass dort zu einem großen Teil Begleit- und Vorfeldforschung für Gentechnik betrieben wird, spielt für die PDS in Mecklenburg-Vorpommern offenbar keine Rolle«, kritisiert die Parlamentarierin aus Greifswald. Bei der Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen steht das Land inzwischen bundesweit an dritter Stelle.

Aber nicht nur in Fragen der Biotechnologie, auch bei der Haltung zur Atomenergie dürften künftige Koalitionspartner ihre Freude an der Nord-PDS haben. Anfang Februar schon hatte die Landtagsfraktion dem Transport abgebrannter Brennstäbe aus dem brandenburgischen Rheinsberg ins Zwischenlager Greifswald-Lubmin zugestimmt. Die Begründung hätte auch von den Grünen kommen können: »Wir wollen den Ausstieg aus der Kernenergie«, erklärte Peter Ritter, energiepolitischer Sprecher der PDS in Schwerin, seine Zustimmung zu den Castor-Transporten. Vielleicht sollte er mal bei Hubert Wimbert nachfragen, wie man die Behälter am effektivsten gegen Atomkraftgegner schützt. Schließlich hatte der erste grüne Polizeiminister schon im Frühjahr 1998 für eine sichere Fahrt der Castoren ins nordrhein-westfälische Ahaus gesorgt. Im Bündnis mit der CDU.