Gysis Brief an die Basis

Siegen lernen

Was Sozialdemokraten verbindet? Gregor Gysi verriet es jüngst der taz im Gespräch mit Sozialdemokrat Franz Müntefering: Auf deren Parteitagen mache die »rationale Seite« höchstens 40 Prozent aus. »Gewinnen kannst du nur, wenn du auf Emotionen setzt, und das ist viel schwieriger«, erklärte der PDS-Mann.

Das war natürlich ein bisschen übertrieben, denn so richtig schwer fällt dem Genossen Gysi das Spiel mit dem rosaroten Gemüt dann doch nicht. Sonst hätte er kaum wenige Tage nach diesem kleinen Nachhilfeunterricht in Sachen Populismus den eigenen Parteifreunden mit »Lustlosigkeit« der Führungsriege gedroht. Nicht die kleinen Krisen in Schwerin und Magdeburg verderben ihm den Spaß am Politgeschäft. Das wäre auch wirklich geflunkert, zählen die ostdeutschen Techtelmechtel doch zu den größten Erfolgen im Dasein des Wahlvereins. Dass Gysi trotzdem in einem Offenen Brief vergangene Woche monierte, in der PDS könne schon der Wunsch nach Regierungsbeteiligung »als eine Art Klassenverrat denunziert werden«, kann man wohl getrost als anachronistisch abhaken.

Nein, tatsächlich drücken ihn andere Probleme. »Die innerparteilichen Auseinandersetzungen nehmen zu, Ängste und Misstrauen entstehen und werden verbreitet«, klagte der Berliner Fraktionschef drei Wochen vor dem geplanten PDS-Bundesparteitag. Soll heißen: Noch immer gibt es Politiker und Politikerinnen in der PDS, die Gysis Weg in die »Politikfähigkeit« nicht ohne weiteres folgen wollen. Spätestens, seit neben Kommunistischer Plattform (KPF) und Marxistischem Forum auch noch Parlamentarier wie Matthias Gärtner und Uwe Hiksch sowie die stellvertretende Parteichefin Sylvia-Yvonne Kaufmann mobil machen, sieht es schlecht aus um die Pläne von Bundesvorstand und Bundestagsfraktion, UN-Militäreinsätzen künftig in Einzelfällen zuzustimmen. Sollten sich Gysis Widersacher Anfang April in Münster durchsetzen und den Gremien ein »Prüfungsrecht« von UN-Beschlüssen versagt bleiben, käme das geradezu einem »Politikverbot« gleich, schimpft der PDS-Mann. »Damit fielen wir weit hinter Lenin zurück, der immer verlangt hat, vor einer politischen Meinungsbildung oder politischen Forderung eine konkrete Analyse vorzunehmen.«

Wenn Lenin ins Spiel kommt, wird es ernst - hat doch schon der Altkommunist den Kampf auf der parlamentarischen Bühne hochgehalten. Den selbst ernannten Gralshütern Lenins von der KPF wirft Gysis nun aber vor, sie fungiere »im Wesentlichen als ideologische Wächterin« und arbeite sich nur an den Äußerungen anderer PDS-Politiker ab. Eine »dreiste Unterstellung«, findet KPF-Sprecherin Sahra Wagenknecht. Überhaupt wolle sich Gysi »von wesentlichen antikapitalistischen Programmgrundsätzen verabschieden« und alle Positionen aufgeben, »die nicht SPD-kompatibel sind«.

Eine Kritik, die meistens zutrifft und ungefähr so alt ist wie die PDS selbst. Allerdings drückt sie sich weniger in Gysis aktuellem Papier und seinen Angriffe gegen die DDR-Nostalgiker als vielmehr in seinem ständigen Bemühen aus, den Platz einzunehmen, den die Sozialdemokratie spätestens mit Gerhard Schröder freigemacht hat. Diesen Weg nach Godesberg, den Wagenknecht kritisierte, bekräftigte Gysi zuletzt, als er im vergangenen Sommer seine zwölf Thesen »moderner sozialistischer Politik« formulierte. Demnach dürften beispielsweise unternehmerische Initiativen nicht unterdrückt werden, sondern es müssten andere Rahmenbedingungen und neue Märkte gefunden werden. Gegen die neoliberale Offensive wollte er den alten Keynes auspacken.

Vielleicht sollte der PDS-Politiker die Gunst der Stunde nutzen, anstatt sich an seinen Gegnern von der KPF abzuarbeiten. Schließlich sucht der alte Sozi Oskar Lafontaine derzeit neue Profilierungsfelder. Zumal es, wie Gysi jetzt mit Blick auf einen Nachfolger für Parteichef Lothar Bisky problematisierte, »immer schwieriger wird, Mitglieder der Partei für die Kandidatur zu Gremien in der Partei zu gewinnen«. Dann aber sollte Gysi in Sachen Militäreinsätze etwas vorsichtiger sein. Wer weiß, möglicherweise hat der alte Sozi aus der Geschichte gelernt.