Widerstand gegen die österreichische Regierung

Sprechblasen der Zivilgesellschaft

Wiens politische Kultur-Kombattanten gegen Schwarz-Blau versuchen, das Nullkonzept civil society zu überwinden.

Der Nenner des neuen Wiener Aktionismus gegen die schwarz-blaue Regierung ist ganz einfach: Während die Haider-WählerInnen nicht - wie allseits behauptet - gegen den Filz stimmten, sondern für Rassismus, demonstriert ein Großteil ihrer GegnerInnen umgekehrt nicht gegen Rassismus, sondern für den Filz. Das bedeutet: für die sozialstaatlichen Privilegien, die in Österreich traditionell nach dem Konsensprinzip in korporatistischen Institutionen verteilt wurden.

MigrantInnen wurden von diesem nationalen Konsens mit einer Inbrunst ausgegrenzt, die sich angesichts des kommenden ethnisierenden Sozialabbaus noch verstärken wird. Unter dem Banner des antirassistischen Widerstands treffen also nicht Verbündete zusammen, sondern politische KonkurrentInnen um knapper werdende Ressourcen. Der einzige Begriff, der derzeit diese antagonistischen Positionen zu kitten im Stande zu sein scheint, heißt: Zivilgesellschaft. Er schwebt wie eine leere Sprechblase über fast allen Debatten. Gemeint ist ein Konglomerat aus demokratischer Konfliktkultur und unpolitischer Begeisterung. Weil er nichts bedeutet, können sich die einzelnen InteressensvertreterInnen darauf verständigen.

Genauso fragwürdig wie die zivile Aufwallung des demonstrierenden Mainstreams sind die Allüren deutscher Autonomer. Sie bestanden darauf, die Rolle jener zugereisten Gewalttäter zu übernehmen, nach denen Polizei und Yellow Press schon begierig fahndeten, um den gesamten Widerstand als blutrünstig und ferngesteuert zu diskreditieren. Ihr Vorschlag, ein Attentat auf Jörg Haider zu verüben, anstatt fromm die Zivilgesellschaft zu preisen, ist charmant. Aber wieso tun sie es nicht einfach, anstatt kontextblind ihre Aktionsmuster zu exportieren?

Angesichts der hippen Praxisformen, die in Wien derzeit erprobt werden, wirken solche Gesten archaisch. In Österreichs Hauptstadt blüht dagegen ein postmoderner Aktionismus, der zu großen Teilen von der Kulturszene getragen wird. Das Motto lautet: Label-Politik. Als exponierter Protagonist dieses Trends hat sich der Zusammenschluss get to attack (gta) profiliert. Das Label wirkt als Katalysator für subversive Demonstrationsformen und Verlautbarungen.

gta beweist echtes Talent, was stilsichere Kommunikation angeht. Elegant war zum Beispiel die Mozart-Aktion, bei der TouristInnen gefälschte Broschüren überreicht wurden: »Nicht nur Mozart und Klimt sind Teil dieser Kultur. Auch Rassismus hat hier Tradition und Gegenwart.« Diese Strategie ruft jedoch auch die strukturellen Probleme von Labelpolitik auf: Vereinnahmung durch bürgerliche Medien sowie Gratwanderung zwischen erfolgreicher spontaner Mobilisierung und präziser politischer Aussage. Wenn schon die taz gta als Neuauflage des Poststruk-Schlagers »Patchwork der Minderheiten« abfeiert, läuft der kulturelle Widerstand Gefahr, in eine Selbstthematisierung der eigenen Praktiken abzugleiten. Das will aber eigentlich niemand. Und um die Krise zu meistern, werden viele Pläne geschmiedet, wie die losen und spontanen Haufen in langfristig agierende Strukturen des Widerstands zu überführen seien.

Für die dringlich nötige Organisierung kultureller Opposition kann beispielhaft die Konferenz sektor3/kultur einstehen, die Ende März von der IG-Kultur veranstaltet wird. Dort soll versucht werden, die Basis unabhängiger Kulturinitiativen landesweit nachhaltig zu vernetzen, um ihre plötzliche und heftige Politisierung nicht im Aktionswahn verpuffen zu lassen. Im autonomen kulturellen Sektor soll die Forderung nach ziviler Vergesellschaftung realisiert werden. Die politische Debatte, wozu die immer wieder herbeizitierten Strukturen der civil society eigentlich genutzt werden sollen, steht jedoch noch aus. Diese lassen sich auch prima von Rechts besetzen, etwa von Heimatschützern, die momentan fleißig Unterschriften für den sofortigen EU-Austritt Österreichs sammeln. Eine offensive Auseinandersetzung um kulturelle Hegemonie - und zwar dezidiert von Links - ist unausweichlich.

Diese politische Perspektive wird derzeit von anderen besetzt. In allen bislang genannten Initiativen sind die, um die es so vehement zu gehen scheint - die vom Rassismus tatsächlich Gemeinten - so gut wie gar nicht vorhanden. MigrantInnen und people of color finden sich vom »weißen Widerstand« ebenso selbstverständlich ausgeschlossen wie vorher vom sozialstaatlichen Konsensmodell. Der Widerstand der ÖsterreicherInnen werde »als Privatangelegenheit« betrieben, so Tanja Araujo von der Linzer Migrantinnengruppe Ma•z, nicht aber als politischer Kampf. Sowohl feministische als auch minoritäre Forderungen werden marginalisiert.

Gegen solche Ausgrenzungsmaßnahmen hat sich nun landesweit ein FrauenLesbenMigrantinnenbündnis formiert. Auch VertreterInnen der Black Community wie Grace Marta Latigo und Araba Johnston fragen sich, wo denn die antirassistischen Massen gewesen seien, als letztes Jahr der Flüchtling Markus Omofuma während seiner Abschiebung von österreichischen Polizisten ums Leben gebracht wurde.

Die Protestbewegung, die damals in der Black Community entstand, wurde in einem beispiellosen Repressionsakt zerschlagen: Ihre exponiertesten VertreterInnen wurden im Rahmen der größten Razzia der Zweiten Republik als »Drogendealer« verhaftet. Während der weiße Widerstand eifrig über Zivilgesellschaft plaudert, fährt die Neue Kronenzeitung ungehindert fort, rassistische Geschichten über dealende und bigamistische Afrikaner zu verbreiten.

Unaufgeregt und effizient hat das mit der Israelitischen Kultusgemeinde assoziierte Forum gegen Antisemitismus reagiert. Gemeinsam mit dem Netzwerk gegen Rassismus wird unter www.rassismus.at ein seriöses Dokumentationszentrum für Repressionsfälle sowie antisemitische und rassistische Attacken aufgebaut. Nachdem in der Phase des Straßen-Aktionismus allenthalben die Politisierung der Debatte eingefordert wurde, meint der Mitarbeiter Ari Joskowicz trocken: »Schätze, wir müssen jetzt wirklich über Politik reden.«

Eine ausgezeichnete Idee, vor allem auch für die Bundesrepublik, in der Österreich gerne überheblich belächelt wird. Das Niveau der dortigen Debatte, so skeptisch sie auch betrachtet werden muss, wird hierzulande zu Gunsten eines kleinteiligen Zynismus konsequent unterschritten. Von Österreich ist momentan viel zu lernen - vor allem, dass die radikale Politisierung der Verhältnisse nicht erst dann zu beginnen hat, wenn es im Grunde zu spät ist.