Papst-Reise in den Nahen Osten

Das Kreuz mit den Juden

Mit der Nahost-Reise von Papst Johannes Paul II. ist dem Vatikan eine glänzende Inszenierung der Gegenaufklärung gelungen.

Den großen Erwartungen konnte der Mann aus Rom weitgehend gerecht werden - ohne Angst, öffentlich mit der unseligen Vergangenheit des Vatikan konfrontiert zu werden. Johannes Paul II. hat vergangene Woche in Israel erreicht, was er wollte. Gebannt lauschte die Welt jedem Wort des 79jährigen, um im Anschluss an seine Rede-Rituale von einer »Mission des Friedens und der Aussöhnung« zu schwärmen und den Mann als »Brückenbauer« abzufeiern.

Dabei war vor dem Besuch noch von allen Seiten gewarnt worden: In einem »symbolischen Minenfeld« hätte der Papst sich in Israel zu bewegen, meinte etwa die Tageszeitung Jerusalem Post: Denn die Erwartungen an den Heiligen Vater könnten größer nicht sein - jede Geste und jedes Wort würden im Kontext des Nahost-Konfliktes genau abgewogen. Selbst die Frage, wer dem Papst wann eine Schüssel Erde überreichen darf, stellte schon einen Streitpunkt zwischen Israelis und Palästinensern dar. Folgerichtig brauchte niemand zu glauben, der Papst komme als Pilger und nicht als Politiker ins Heilige Land, wo er, wie sein Nuntius erklärte, vornehmlich der »Stimme Gottes« zu lauschen gedenke.

Nun aber sind alle glücklich: Bei den Palästinensern gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, große Befriedigung über das päpstliche Engagement. Als Johannes Paul II. ihnen in Jesus' Geburtsort erklärte: »Eure Pein erleidet ihr vor den Augen der Welt« und anschließend das »natürliche Recht des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat« anerkannte, konnte Yassir Arafat dies als Bestätigung seines Kurses verbuchen.

Zwar hatte man sich vom Papst auch noch ein Wort über den Status von Jerusalem als zukünftige Hauptstadt Palästinas und das Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel erhofft - zwei der zentralen Streitpunkte bei den Friedensverhandlungen. Die aber bleiben aus, dafür erwähnte Johannes Paul II. Israel an diesem Tag mit keinem Wort und versprach, dass seine Gebete ganz besonders den palästinensischen Flüchtlingen gelten würden.

Die israelische Regierung hingegen erklärte sich mit dem Besuch des Papstes in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem äußerst zufrieden. Zwar gingen die Erklärungen des Papstes nicht über die vagen Entschuldigungen hinaus, die der Vatikan 1998 und erst jüngst wieder gegenüber den Juden abgegeben hatte. So sprach Johannes Paul die Verstrickungen der Kirche nicht an, sondern verurteilte lediglich die »gewalttätigen antisemitischen Akte von Christen an Juden«.

Und er betete dafür, dass »unsere Trauer über die Tragödie des jüdischen Volkes im zwanzigsten Jahrhundert zu einem neuen Verhältnis zwischen Christen und Juden« führen werde. Eine gemeinsame Zukunft sei gegeben, wenn es weder antijüdische Gefühle gegen Christen noch antichristliche gegen Juden geben werde.

Auf die unverfrorene Gleichsetzung von christlichem Antisemitismus mit antichristlichen Einstellungen unter Juden wies Regierungschef Ehud Barak in seiner Gegenrede leider nicht hin. Offensichtlich war der Wunsch der israelischen Regierung, vom Vatikan als die »definitive und dauerhafte Antwort auf Auschwitz« (Barak) anerkannt zu werden, größer. Der Hoffnung, der Papst würde Israel als Nation anerkennen, die in der Folge der Shoah gegründet wurde, hatte schon vorher Sicherheitsminister Shlomo Ben Ami Ausdruck verliehen: »Das wäre dann eine ultimative Legitimation des jüdischen Staates nicht nur aus politischer, sondern auch aus theologischer Sicht.«

Ein bisschen Kritik gab es dann aber doch - wenn auch weniger am Papst als an der Rede des israelischen Premiers: Der Historiker Tom Segev beschuldigte Barak, dass es ihm vor allem um die zionistische Legitimation des Staates Israel gegangen sei und nicht um eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der katholischen Kirche während, vor und nach der Shoah.

Damit hat Segev einen wichtigen Punkt angesprochen, über den aber sonst niemand reden wollte: Denn die Geschichte der vatikanischen Politik im Nahen Osten lässt sich als Verlängerung des weit ins Mittelalter hineinreichenden christlichen Antisemitismus lesen. Und das nicht nur, weil sie sich lange durch eine einseitige Stellungnahme für die arabischen Staaten auszeichnete und der Vatikan Israel erst 1993 diplomatisch anerkennen mochte.

Die Verstrickungen lassen sich weiter zurückverfolgen: Der Zionismus war zum Teil auch in direkter Reaktion auf die Dreyfus-Affäre in Frankreich entstanden, als die katholische Kirche »die propagandistischen Möglichkeiten eines Antisemitismus entdeckte, der behauptet, dass die unter allen Nationen lebenden Juden die geheimen Lenker der Weltpolitik seien« (Hannah Arendt).

Der Wiener Journalist Theodor Herzl hatte wegen des Bündnisses zwischen Pöbel und Klerus die letzten Hoffnungen auf eine friedliche Assimilation der Juden in Europa verloren. Ohne die Judenhetze, zu der die vom Vatikan unterstützte katholische Zeitung La Croix damals aufgestachelt hatte, hätte Herzl wohl weder den »Judenstaat« geschrieben noch die zionistische Weltorganisation gegründet.

Seiner Maxime entsprechend, dass auch mit Juden-Gegnern über die »Judenfrage« zu verhandeln sei, war Herzl 1904 beim damaligen Papst Pius X. vorstellig geworden, um ihn als Unterstützer des zionistischen Projektes zu werben. Der Papst lehnte ab: Da die Juden nicht den Heiland anerkennen würden, könne die katholische Kirche das jüdische Volk nicht anerkennen.

Vierzig Jahre später schwieg Papst Pius XII. zur - dem Vatikan in allen Einzelheiten bekannten - Vernichtung der europäischen Juden. Die Haltung der Kurie war Anlass für Rolf Hochhuth, den »Stellvertreter« zu schreiben. Wie umstritten dieser Papst bis heute ist, zeigt das neueste Buch des britischen Historikers John Cornwall mit dem vielsagenden Titel: »Hitler's Pope, the Secret History of Pius XII«. Während Pius schwieg, unterstützte sein Vertreter in Palästina, Patriarch Luigi Barlassina, lautstark die arabische Nationalbewegung. Er bezeichnete die Juden als korrupte Materialisten und Kommunisten und sah in den Kibbuzen »Horte der Unzucht und Prostitution«.

Noch in den fünfziger Jahren konnte man im Osservatore Romano, dem Hausblatt des Vatikan, lesen, dass die jüdische Immigration und der Staat Israel die Substanz des Heiligen Landes und die dort lebenden christlichen Gemeinden bedrohe. Diese pro-arabischen Statements kamen gut an: 1951 war es Azzam Pascha, Generalsekretär der Arabischen Liga, der wiederum Papst Pius XII. die Schaffung einer gemeinsamen »islamisch-christlichen« Front gegen Israel vorschlug.

Papst Johannes Paul II. würde heute wohl am liebsten einen schmerzlosen Schluss-Strich unter die vatikanische Vergangenheit ziehen und sich mit ganz anderen Problemen beschäftigen. Mehr als um den katholisch-jüdischen Dialog sei der Papst über die Säkularisierung des Lebens und den schwindenden Einfluss der Religionen besorgt, meinte etwa Lorenzo Cremonesi, Berichterstatter des Corriere de la Sera: »In diesem Punkt hat er weit mehr Gemeinsamkeiten mit jüdischen und muslimischen Geistlichen, als man annehmen mag. Es mag paradox klingen, aber für den Papst ist die Gefahr eines neuen Heidentums so groß, dass er sogar einen orthodoxen Juden einem Katholiken, der seinen Glauben verloren hat, vorziehen würde.«

Nun mag Johannes Paul II. zwar im Geheimen von einem gemeinsam mit der israelischen Shas-Partei und der arabischen Hamas verabschiedeten millenniaren Manifest gegen Abtreibung, außerehelichen Geschlechtsverkehr und Marxismus träumen. Noch aber sind dem puritanischen Bündnis weltliche Grenzen gesetzt. Dennoch wird im Vatikan die Freude nach der Reise des Berufsreaktionärs groß sein: Denn das neue Jahrtausend scheint damit zu beginnen, dass man der einflussreichsten Agentur der Gegenaufklärung wieder die weltgeschichtliche Bedeutung zugesteht, die sie zeitweilig schon verloren glaubte.