Kritik an Rudolf Scharping

An der Heimatfront

Vorwürfe zum Jahrestag des Angriffs auf Jugoslawien, mehr Frauen in der Bundeswehr und unterschiedliche Konzepte zur Armeereform - die Kritik an Rudolf Scharping nimmt zu.

Die ganze Welt scheint sich zur Zeit gegen Verteidigungsminister Rudolf Scharping verschworen zu haben. Für Mai hatte er die Vorstellung erster Ideen der Bundeswehrplanung durch die von ihm eingesetzte Weizsäcker-Kommission angekündigt. Doch CDU, FDP und sogar die PDS kamen ihm letzte Woche zuvor. Frauen muss er ab sofort Plätze in U-Booten und Jagdbombern reservieren. Und dann fielen dem Minister bei seiner Bilanz zum Jubiläum der Bombenangriffe auf Jugoslawien auch noch alte Militärs in den Rücken.

Ex-General Klaus Naumann, der an der Nato-Planung entscheidend beteiligt war, monierte, dass im Frühjahr 1999 nicht alle Chancen genutzt worden seien, um den Krieg zu vermeiden. Die rechtzeitige Drohung mit dem Einsatz von Bodentruppen hätte die jugoslawische Armee zurückschrecken lassen. Scharpings Staatssekretär Walter Stützle konterte diesen Angriff während der Bilanz-Pressekonferenz am Mittwoch vor einer Woche gereizt: »Es wäre besser, wenn Pensionäre den Mund hielten und ihren Garten bestellten.«

Der Täuschung und Lüge gar wurde der Minister von Heinz Loquai bezichtigt. Der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr und OSZE-Beobachter im Kosovo schrieb in seinem dieser Tage erschienenen Buch »Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg«, dass der so genannte Hufeisen-Plan der Serben, den Scharping 1999 in der Öffentlichkeit als Beleg für eine bis ins Detail vorbereitete Vertreibung von Kosovo-Albanern präsentiert hatte, so nie existiert habe.

Bis heute sei das Papier nie im Original zu sehen gewesen, stets waren nur Auswertungen im Umlauf. Zudem soll der serbische Titel »potkova« gelautet haben. Das serbische Wort für Hufeisen sei jedoch »potkovica«. Mit der Präsentation dieses angeblich aus dem Jahre 1998 stammenden Planes war Scharping kritischen Argumenten begegnet, wonach Vertreibung und Flucht der Kosovo-Albaner erst nach dem Abzug der OSZE-Beobachter und mit dem Losbrechen der Nato-Luftangriffe eingesetzt habe.

In Scharpings Hufeisen-Plan, der 1998 von Geheimdiensten beschafft worden sein soll, sind nach Angaben des Ministers sogar die eingesetzten Einheiten nachzulesen. In einer Dokumentation des Führungsstabs der Streitkräfte heißt es dagegen, dass Details des Plans nicht bekannt seien. Erstes Ziel der Aktion, so die Militärs, sei offensichtlich die Zerschlagung der UCK gewesen. Diskrepanzen, die kaum zu erklären sind. Als Fragen nach Details aufkamen, hatte der Verteidigungsminister den Plan angeblich längst nach Den Haag ans Kriegsverbrechertribunal geschickt. Dort aber gibt man sich bis heute mehr oder weniger ahnungslos. Nach Aussagen eines Sprechers des UN-Tribunals sind die Papiere von »geringer Aussage- und Beweiskraft«.

In der Tat hatte Chefanklägerin Louise Arbour entsprechende Papiere von Scharping erhalten. Deckblatt, Datum und Unterschrift unter diesen Materialien hätten aber gefehlt, so Arbour. Die Materialien hätten stark an »Gesprächswiedergaben und Schlussfolgerungen« erinnert. Ex-General Loquai schreibt dazu in seinem Buch: »Kein Staatsanwalt würde es in einem Rechtsstaat wagen, mit einer in sich so widersprüchlichen Anklageschrift, mit so schwachen Beweisen Anklage zu erheben.« Scharping war verärgert: Kritiker wie Loquai, die die Existenz des Hufeisenplanes in Frage stellen, seien »ahnungslos oder böswillig«.

Selbst Angela Merkel gelang es, Scharping mit dem CDU-Papier »Sicherheit 2010 - Die Zukunft der Bundeswehr« aus dem Konzept zu bringen. In ihrem Papier, das vom CDU-Verteidigungspolitiker Paul Breuer vor einem Monat schon einmal ungehört präsentiert worden war, fordert die CDU die Absenkung der Personalstärke der Bundeswehr von derzeit 324 000 auf 300 000 Mann.

Gleichzeitig soll der Verteidigungsetat bis zum Jahr 2003 wieder auf 50 Milliarden Mark je Jahr klettern. Das sei für die von der CDU auf 30 Milliarden Mark geschätzten Kosten zur Modernisierung der Truppe nötig. Auch die CDU sieht in ihrem Konzept die erneute Senkung der Wehrpflicht auf neun Monate vor. Freiwillige sollen aber ihren Dienst vor allem für anstehende Auslandseinsätze auf bis zu 23 Monate verlängern können. Als einziger Grund für die Erhaltung der Wehrpflicht werden im CDU-Papier die politischen Veränderungen beim alten Erbfeind Russland genannt. Militärische Auseinandersetzungen im Inneren und das überdimensionierte Atomwaffenpotenzial würden noch immer Unsicherheiten bergen. Scharping konterte, dass das CDU-Papier »zu kurz« greife.

Erste Gerüchte über die Ideen, die die so genannte Zukunftskommission unter Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 23. Mai vorstellen könnte, sind Scharping wiederum zu radikal. Danach soll die Truppe gleich auf 240 000 Mann reduziert werden. Die Zahl der Wehrpflichtigen könnte von heute 135 000 auf 30 000 bis 50 000 Mann sinken. Um das zu erreichen, müsste die Dauer des Wehrdienstes von heute zehn auf nur noch drei oder vier Monate gesenkt werden. Sonst wäre es unmöglich, alle Wehrpflichtigen noch einzuziehen.

In einem Vierteljahr aber sind die Soldaten kaum auszubilden. Überlegt wird deshalb von den Zivilisten und Ex-Militärs um Weizsäcker, die Ausbildung der Rekruten an eine gesonderte Organisation außerhalb der aktiven Truppe zu delegieren. Das wäre ein Schritt zur Berufs- oder Freiwilligenarmee. Weiter heißt es, Bundeskanzler Gerhard Schröder habe Weizsäcker zu einer weitgehenden Planung ermuntert, um Scharping unter Druck zu setzen. Schon bei seiner Rede auf der Kommandeurstagung im November in Hamburg hatte Schröder wieder mal den besorgten Sozialdemokraten gemimt: »Ich bin überzeugt, Rentner, Arbeitslose und weite Teile der Bevölkerung würden nicht verstehen, wenn für die Bundeswehr eine generelle Ausnahmeregelung« bei den nötigen Einsparungen getroffen würde.

Um hier gegenzusteuern, beauftragte Scharping seinen Generalinspekteur Hans Peter von Kirchbach, eine Parallelplanung zu entwickeln. Deren Eckpunkte liegen nahe bei denen der CDU: 290 000 Mann und neun Monate Wehrpflicht. Um die Konfusion komplett zu machen, stellte sich letzte Woche auch noch die FDP an die Seite der Weizsäcker-Kommission und forderte eine Bundeswehrstärke von 260 000 Mann sowie fünf Monate Wehrpflicht. Und selbst die PDS kündigte für April ein eigenes Bundeswehrkonzept an. Kern: sozialverträglicher Abbau und Auflösung der Truppe.

Es sollte nicht verwundern, wenn Scharping im Sommer die vielen Konzepte einfach in die Schublade packt. Schließlich hatte er bereits im letzten Jahr angekündigt, dass er selbst über die künftige Struktur der Bundeswehr entscheiden wird. So könnte der Einzug der Frauen in die Bundeswehr, der von der Elektronikerin Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundeswehr erstritten wurde, in diesem Jahr die einzige Neuerung hinter den Kasernenmauern bringen.