»Dekonspiratione« von Rainald Goetz

Text auf Party

Neues aus der Medienarbeitswelt: »Dekonspiratione« von Rainald Goetz.

Kaum ein anderer deutschsprachiger Autor war in den letzten Jahren so rastlos, produktiv und präsent wie Rainald Goetz, der Hofdichter des Sonic Empire. Nach der Hamburger Neuinszenierung von »Krieg«, den Frankfurter Poetik-Vorlesungen, der Nachtleben-Erzählung »Rave«, dem Kunst-Stück »Jeff Koons«, dem Text- und Bildband »Celebration« sowie dem Internet-Tagebuch »Abfall für Alle« ist nun die Erzählung »Dekonspiratione« erschienen, der Abschluss der fünfbändigen »Geschichte der Gegenwart« »Heute Morgen«.

»Dekonspiratione« ist die Geschichte einer gescheiterten Liebesbeziehung, aber vor allem geht es um die Existenzbedingungen des Autors und die künstlerische Praxis des Schreibens. Lose miteinander verbundene Handlungsstränge führen durch die bekannte Goetz-Welt zwischen Theorie und Techno, Lesung und Schreibtisch, Galerie und Club. Irgendwo findet immer eine Tagung statt, liest eine zufällige Zugbekanntschaft den neuen Ellis im Original, sitzt jemand an einer Kultur-Talk-Sendung, mindestens aber an einer förderpreisverdächtigen, das Institut aus den Angeln hebenden Seminararbeit, darunter geht's bei Goetz und seinen Figuren nicht.

»Dekonspiratione« ist Name-Dropping: Diedrich Diederichsen, Benjamin von Stuckrad-Barre, Christoph Schlingensief, Westbam, Christian Kracht, Maxim Biller et al. spielen große und kleine Rollen im Gegenwartsroman des Pop-Literaten. Mit einem mitunter recht dünkelhaften, ressentimentgeladenen Gestus treffen die Figuren auf U-Bahn-Penner, bekiffte Video-Produzenten aus dem Osten, talentfreie öffentlich-rechtliche Redakteure und ähnliche Zeitgenossen. »Talent im Wartestand«, wie Benjamin von Stuckrad-Barre, der zu Beginn der Erzählung von seiner Freundin verlassen wird (sie heißt Katharina, wie die Ex-Freundin aus dem »Soloalbum«), ist so eine typische Karriere. Die Helden in der Erzählung - das sind die meist erfolgreichen und zahlungskräftigen Medienarbeiter, Labelbetreiber und Journalisten, die bitteschön nicht von langweiligem Personal belästigt werden wollen und stattdessen lieber ungestört die hippen Orte des Literatur- und Medienbetriebs bevölkern.

Der Reiz des Projekts »Heute Morgen« besteht vor allem darin, dass Goetz' mitunter großartige Momentaufnahmen aus dem Inneren der Nacht in ganz unterschiedlichen Genres - Roman, Internet-Protokoll, Theaterstück, Reportage, Erzählung - funktionieren. Dennoch macht auch »Dekonspiratione« die Mängel einer solchen Zeitchronik sichtbar. Wie schon bei den Internet-Tagebucheintragungen für den »Roman eines Jahres« werden auch hier bei der Rückkehr des Textes in die Gutenberg-Galaxis die Grenzen des Projekts sichtbar: Was unmittelbar am Tag danach spannende Netz-Lektüre war und amüsanter, gedankenreicher Gegenwartsbericht, wirkt zwischen zwei Buchdeckeln manchmal so deplatziert und belanglos wie eine TV-Kritik aus einer drei Monate alten Tageszeitung.

»Dekonspiratione«, das ist die Offenlegung der sozialen Praxis des Autors, seines Umfelds, der Inspirationen und Einflüsse. Und immer wieder geht es um die Schreibblockaden, mit denen sich Goetz zwischen Lesung, Buchmesse und Schreibtisch rumschlägt.

Fünf Monate im Jahr 1999, das ist auch die Zeit des Krieges gegen Jugoslawien. Dort, wo die Erzählung den Krieg reflektiert, geschieht dies als ein skrupulöses Abwägen des Für und Wider, es ist ein Gedankenspiel über die mediale Vermittlung des Krieges und seine Auswirkung auf den Künstler, den der Verdacht beschleicht, »dass nicht ich, sondern die Zeit der Autor meiner Sachen ist«. Politiker erscheinen nicht als planvoll handelnde, konkrete Ziele verfolgende Akteure, nein, der Politiker wird »aus Gründen jenseits seiner freien Wahl« zum Angriffsbeschluss getrieben, während ein Militär nicht etwa im Vorfeld bereits Strategien entwickelt, sondern »nur befiehlt, was die Politik von ihm verlangt«.

Der Autor mit trotziger Regression: »Ich fühlte mich zurückgeworfen auf den Punkt der endgültigen Infantilität: bitte nicht hauen. Nicht kaputt machen. Aufhören. Bitte nicht tot machen.« Zwar charakterisiert Goetz die Medienberichte während des Krieges als »Hetze« und »Hölle der totalen Emotion«, erklärt diese »gleichschaltende Medientotalität« und »Zensur« jedoch primär durch die »Unübersichtlichkeit der Lage« oder durch das »Diktat der Masse von Ereignissen, von Daten«.

Wenn Goetz wider die Propaganda für Bodentruppen polemisiert oder einer Rede von Kanzler Schröder als »Magna Charta des absoluten Schwachsinns der Zweck-Mittel-Begründung einen Ehrenplatz neben jeder beliebigen Kriegshetze-Rede von Hitler« zuweist, ist dies keine ästhetische Verklärung der Gegenwart und auch nicht vergleichbar mit dem in Herrenmenschen-Pose vorgetragenen Konformismus der »Tristesse-Royale»-Snobs um Christian Kracht. Goetz hat sich mit seiner »Abscheu, Selbstverachtung, Ekel vor der ganzen Welt« jedoch nicht davon abhalten lassen, Teil dieser Design-Literatur-Seilschaft zu werden, eine Ambivalenz, die dem Autor schon seit Jahren eigen ist. Reflektiert er über eine mögliche öffentliche Intervention während des Krieges - eine Lesung aus Julien Greens »Ende einer Welt« wird angedacht- ein Buch über die Schrecken im Frankreich 1940 und für Goetz eine Art Anti-Jünger -, so verwirft er dieses Vorhaben kurz darauf. Warum? »Weil es das nicht gibt, dass aus der Distanz der vorletzten Reihe einer aus dem Verhau der Gegenwart brüllt: ich weiß was.«

Für Fans der bisherigen Bände von »Heute Morgen« dürfte »Dekonspiratione« mit seinem Streifzug durch die Alltagsdramen der Medienwelt zwischen Berlin und München ein würdiger Abschluss sein. Ansonsten aber wird man den Eindruck nicht los, dass der Autor mit seiner panischen Dauerreaktion auf den ständigen Text- und Informationsfluss der Gegenwart - Goetz braucht die tägliche Feuilletonlektüre wie der Junkie die Nadel - zuweilen die Kontrolle verliert.

Vielleicht sollte man die ausladenden Betrachtungen zwischen Luhmann und Low Spirit aber auch nicht allzu ernst nehmen und das Projekt besser als Text-Party betrachten, als Werkstattbericht aus dem »täglich, alltäglichen Zugleich von Post und Gedanken, von Arbeit, Fernsehen und Geschichten« der Text-, Medien- und Kulturarbeiter. Ein literarisch ambitionierter Autor ist hier ebenso relevant wie ein Werbetext, Late-Night-Show-Skript oder der Wetterbericht. Und die ganze Wirrnis in Text und Wirklichkeit ist bei Goetz eh Arbeitsprinzip. Wie heißt es noch gleich in der Schluss-Szene der Erzählung, in

der Goetz nach einer etwas konfus verlaufenen Lesung mit seiner neuen Liebe nach Hause stolpert? »Schatz«, sagt sie, »du bist ja betrunken.« Darauf Goetz: »Ja, Schatz, das stimmt.«

Rainald Goetz: Dekonspiratione. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2000, 208 S., DM 36