EU-Gipfel in Lissabon

Wachstum ohne Wasser

»Eine wahre Revolution« sei ausgelöst worden - so fasste der portugiesische Staatschef Antonio Guterres die Ergebnisse des EU-Gipfels in Lissabon zusammen. Gerhard Schröder sah das Meeting als »Beweis für die Zukunftsfähigkeit Europas«, und der britische Premier Tony Blair mochte in den Beschlüssen gar die Grundlage für 20 Millionen neue Arbeitsplätze erkannt haben.

Vor allem aber erscheint der Gipfel als eine gigantische Werbeinszenierung für den wirtschaftlichen Umbau Europas. Wirklich neu ist allein der Anspruch, die weltweite ökonomische Führung anzustreben. Die wirtschaftspolitischen Strategien, mit denen das Ziel erreicht werden soll, sind hingegen längst bekannt: Deregulierung der Märkte, Förderung des Finanzsektors, Binnenmarktintegration, »Modernisierung« der Sozialsysteme und wirtschaftlicher Umbau - hin zu einer modernen Kommunikations- und Informationsökonomie.

All dies wurde eingebettet in viel soziale Rhetorik und Vollbeschäftigungsvisionen. Da längst Elemente dieser Wirtschaftspolitik in sämtlichen EU-Ländern zu finden sind, ging es in Lissabon vor allem um eine Beschleunigung dieser Prozesse. Und darum, sich gegenseitig die Richtigkeit der jeweiligen Strategien noch einmal zu versichern. Größere Konflikte wurden entsprechend ausgeblendet oder vertagt. Selbst die Anwesenheit des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel störte nur am Rande. Einigkeit und Aufbruchstimmung sollten signalisiert werden.

Konkrete Beschlüsse, die über die Frage herausgehen, wer wann an das Internet angeschlossen werden soll und wie die weitere Integration der Binnenmärkte verlaufen könnte, gab es wenige. Eine Ausnahme ist das in Lissabon formulierte Ziel eines jährlichen Wirtschaftswachstums von drei Prozent, auf das sich die Staatschefs verpflichtet haben. Auch soll bis 2010 die Beschäftigungsquote EU-weit von bisher 61 auf 70 Prozent angehoben werden.

Doch schon bei der Frage nach genauen Zeitplänen und der Reichweite der angestrebten Liberalisierungen zeigten sich Unstimmigkeiten. Tony Blair, der schon im Vorfeld des Gipfels für die neuen Europa- Strategien geworben hatte, forderte die möglichst rasche Umsetzung von radikalen Liberalisierungen - auch auf dem Arbeitsmarkt. Unterstützt wurde er dabei von seinem spanischen Kollegen José Mar'a Aznar.

Doch soweit wollen nicht alle gehen. So konterte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den britischen Vorschlag zur Liberalisierung des Wasser-Marktes auf seine Art: Er werde dafür sorgen, dass »österreichisches Wasser« eine »österreichische Angelegenheit« bleibe. Auch Frankreich weigerte sich, Termine für die Liberalisierung der Energie-, Post- und Wassermärkte festzulegen. Zu rasches Vorgehen könne »soziale Unruhen« auslösen, dämpfte der französische Premierminister Lionel Jospin die Liberalisierungsfreude.

In Deutschland würde eine weitere Liberalisierung vor allem die öffentlich subventionierten Anstalten wie Landesbanken, Sparkassen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen. Die CDU-geführten Bundesländer haben schon angedroht, eine Reform des Amsterdamer Vertrages im Bundesrat scheitern zu lassen. Sie fordern eine »Bestandsgarantie« für staatlich geförderte Einrichtungen. So warnte Edmund Stoiber am letzten Wochenende bereits vor der »zentralistischen Anmaßung« der EU, »über den Europäischen Rat auf nahezu allen Politikfeldern die Vorgaben zu setzen«.