Edition der Schriften von Reinhard Opitz

Zwischen Treue und Erkenntnis

Von einem, der sich nicht vereinnahmen lassen wollte. Zur Edition der wissenschaftlichen Schriften des Kommunisten und Faschismus-Forschers Reinhard Opitz.

Auf 3 000 Seiten in drei Bänden war das Projekt zunächst angelegt. Schließlich wurden es 1 450. Das Erscheinen war für das erste Halbjahr 1998 versprochen. Und doch dauerte es bis März 2000, bis das Ergebnis langjähriger Arbeit vorlag. Reinhard Opitz, dessen Nachlass jetzt zu einem großen Teil erschienen ist, erwies sich offenbar im Tod noch als ebenso schwierig wie als Lebender.

Für den 1934 geborenen Opitz war die Verknüpfung von Wissenschaft und politischem Engagement selbstverständlich. Was ihn für sein politisches Umfeld, die Bündnisorganisationen der illegalen KPD und später der DKP, so schwierig machte, war der Umstand, dass er nicht bereit war, aus Bündnisrücksichten heraus seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verbiegen. Der Widerspruch zwischen der Loyalität als Parteisoldat, damit der Unterordnung unter das taktische Konzept seiner Arbeitgeber, und seinen politischen Folgerungen aus den Resultaten der Forschung überschritt häufig die Schmerzgrenze aller Beteiligten.

Opitz, dem wegen seiner marxistischen Ausrichtung eine universitäre Karriere verbaut war, arbeitete wechselweise bei der Deutschen Friedens-Union (DFU), der zunächst wichtigsten kommunistischen Bündnisorganisation, und als Lektor beim Pahl-Rugenstein Verlag (PRV). Besonders in der Friedenspolitik war es beider Aufgabe, Partner im bürgerlichen Lager zu finden und zugleich, was freilich nie eingestanden wurde, die außenpolitischen Interessen der UdSSR argumentativ zu stärken. Opitz aber schwieg nicht, wenn aus solchen Erwägungen heraus der Nationalneutralist Harold Rasch unter dem Titel »NATO - Bündnis oder Neutralität?« bei PRV publizieren konnte und im selben Jahr 1981 zu den Erstunterzeichnern des rassistischen Heidelberger Manifests gehörte. Da Rasch als rechter »Ausrutscher« kein Einzelfall war, war der Konflikt programmiert.

Im Sommer 1982 wurde Opitz entlassen, da er der DFU endgültig unbequem geworden war und sich nicht mit der Unterordnung aller anderen Aufgaben unter den Kampf gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen abfinden wollte. Und man trat nach. Georg Biemann, ein langjähriger enger Weggefährte von Opitz, gibt in einer einfühlsamen biografischen Skizze einen Brief von Opitz an den PRV-Verlagsleiter Paul Neuhöffer wieder. Das ihm ausgestellte Zeugnis sei ihm beim Arbeitsamt »nicht abgenommen worden mit der Begründung, daß ich damit auf dem Arbeitsmarkt für immer ein toter Mann wäre«. Dort sei ihm der Rat erteilt worden, sich entweder um eine bessere Beurteilung zu bemühen oder Klage zu erheben. Aber: Linke streiten sich nicht vor bürgerlichen Gerichten. Neuhöffer & Co. konnten darauf bauen.

Von solchen Querelen, die Opitz zu bitterer Armut verurteilten, ahnten die Leser seiner Aufsätze und Bücher nichts. Auch wenn die Erstausgabe seines Bandes »Faschismus und Neofaschismus« nur in stark gekürzter Fassung erscheinen konnte, war sie doch wegweisend für weitere Studien, da sie im historischen Teil intensiv auf den so genannten linken Nationalsozialismus oder den nationalbolschewistischen Theoretiker Ernst Niekisch einging und im aktuellen ausführlich auf die Ideologie der »Neuen« Rechten, die bis dahin in der Bundesrepublik fast völlig ignoriert worden war.

Opitz war davon überzeugt, dass sich der Faschismus am Ende durch das »Kapitalinteresse« bzw. das einzelner Fraktionen des Monopolkapitals erklären ließe. Faschismus war für ihn eine Form bürgerlicher Herrschaft und stellte eine Möglichkeit imperialistischer Politik dar. Im Gegensatz zu manchen seiner Genossen, die bald von einer »Friedensfähigkeit« des Imperialismus träumten, arbeitete er dessen Kontinuitätslinien heraus. Seine vorzüglich editierte Dokumentensammlung »Europastrategien des deutschen Kapitals«, bis heute ein unübertroffenes Standardwerk, ist ein Musterbeispiel dafür. Eigentlich war ein zweiter Band geplant, der die deutschen Kolonialkonzepte und -pläne darstellen sollte. Der Verlag hatte jedoch kein Interesse mehr.

Die Konzentration auf das Kapital, das das Hauptinteresse an der Machtübertragung an die Nazis gehabt habe und diese lediglich die »Vollstrecker« gewesen seien, führte dazu, dass Opitz die Massenbasis dieser politischen Bewegung als einen bestenfalls sekundären Faktor betrachtete. Psychologische Faschismus-Theorien und Ideologie-Studien mochten höchstens wichtige Ergänzungen liefern. Diese Position führte auch zu heftigen Debatten mit dem Kreis um die Zeitschrift Argument, zu deren HerausgeberInnen er gehörte. Den Weg der Gruppe um Wolfgang F. Haug, die ihren Schwerpunkt auf die Untersuchung der faschistischen Ideologie legte, hielt Opitz für irreführend.

Am 29. Mai 1985 jedoch - knapp ein Jahr vor seinem Tod - strich Opitz in einem Referat die Rolle der Ideologie heraus und betonte entsprechende Defizite, auch bei den Linken. »Irgendwie war in diesem angeblichen Volk der 'Dichter und Denker' (...) immer schon stark die Haltung verbreitet: was politisch zählt, das ist doch erst, was uns in organisierter Form als Partei oder sonstwie handfeste Kraft entgegentritt. Ideologie dagegen ist doch Nebel, was soll man sich dabei aufhalten.«

Opitz hielt dagegen das Stochern im Nebel für notwendig, da sein Hauptanliegen die Verhinderung eines neuen Faschismus - in welcher Form auch immer - war. Er war Trendanalytiker, der besonders auf ideologische Veränderungen reagierte, die dazu geeignet schienen, ein neues Bündnis zwischen den konservativen Eliten in der Bundesrepublik und den extremen Rechten herbeizuführen. Die ideologischen Schnittpunkte zwischen Konservatismus und Faschismus standen im Mittelpunkt seiner Untersuchung, da über sie ein Abbau der Demokratie bewerkstelligt werden konnte.

Als eine Art »Gegnerforscher« versetzte sich Opitz in die Köpfe seiner Gegner hinein, um deren Strategie zu erkunden. Seine umfangreichen Studien zur » Formierten Gesellschaft« (Ludwig Erhard) sind ein Musterbeispiel dafür. Opitz führte das als neu erscheinende Konzept stringent auf seine konservativ-revolutionären Wurzeln (Gehlen, Carl-Schmitt-Schule) zurück. In solchen Bereichen hat seine Arbeit noch heute hohen Gebrauchswert. Das diskursive Konstrukt der »Neuen Mitte« bietet sich geradezu idealtypisch für eine Weiterführung dieses Ansatzes an.

Trotz ellenlanger Sätze, die gedruckt zuweilen detektivische Fähigkeiten erfordern, Subjekt, Prädikat, Objekt zu finden, die aber auf Anhieb verständlich waren, wenn der Redner Reinhard Opitz sie vortrug, trotz eines heute zuweilen antiquiert wirkenden Ansatzes und entsprechender theoretischer Basis, trotz des geradezu penetranten Verweises auf das Kapital-Interesse, wirken die jetzt vorliegenden Aufsätze, Referate und Entwürfe keineswegs überholt. Wenn Opitz die Verbindungen zwischen der Mitteleuropa-Diskussion in den zwanziger Jahren und in der Bundesrepublik nachzeichnet, dann ist dies zu Zeiten einer Debatte um die Ost-Erweiterung von EU und Nato hochaktuell. Wenn er die Frage stellt: »Ist die CDU eine konservative Partei?«, dann befindet er sich im Zentrum der aktuellen Strategiedebatte sowohl der Union als auch der extremen Rechten.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Thesen oftmals zum heftigen Widerspruch reizen. Dieses Urteil betrifft besonders den dritten Band der Edition, der den unvollendet gebliebenen Untersuchungen zur »Röhm-Affäre« vorbehalten ist. Häufig prägt hier die politische Ansicht den Untersuchungsgang. Wenn es das Monopolkapital gewesen ist, das die Entwicklung der NSDAP bestimmte, dann müssen, so die These, auch hinter dem »linken« Flügel der Partei greifbare Kapitalinteressen gestanden haben. Opitz erwägt nicht einmal die Möglichkeit einer autonomen Ideologie-Entwicklung, vermeidet den komparativen Blick über die Landesgrenzen hinweg, verbaut sich so Erkenntnismöglichkeiten. Auch diese »linke« Spielart des Nazismus, die am ehesten dem europäischen Faschismus entspricht, wird ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der beabsichtigten Integration der Beherrschten in die bürgerliche Klassengesellschaft gesehen.

Diese Einwände ändern nichts daran, dass diese Ausgabe von Arbeiten von Reinhard Opitz wichtiges Material für weitere Forschungen zur Verfügung stellt. Und er hätte sich, dabei stets hart streitend, einer Diskussion und gegebenenfalls Revision seiner Thesen nicht entzogen.

Reinhard Opitz: Liberalismus - Faschismus - Integration; Edition in drei Bänden (Bd.1: Liberalismus - Integration, Bd.2: Faschismus; Bd.3 Die »Röhm-Affäre«). BdWi-Verlag, Marburg 2000, zus. 1 450 S.