Alter Herr Wolfgang Wippermann

Extreme Toleranzen

Der linke Historiker Wolfgang Wippermann ist Alter Herr einer schlagenden Burschenschaft und beruft sich auf das Toleranz-Prinzip.

Die Erfahrung, dass ein engagierter Antifaschist nicht unbedingt auch ein radikaler Linker sein muss, nur weil er sich manchmal in diesem Umfeld aufhält, musste im Frühjahr letzten Jahres eine Antifa-Gruppe aus Hamburg machen. Sie hatte Prof. Wolfgang Wippermann vom Institut für Neuere Geschichte der FU Berlin eingeladen, aus dem von ihm mitherausgegebenen Buch »Roter Holocaust?« vorzutragen.

Wippermann ist bekannt durch seine Faschismusforschung, die auch Niederschlag in verschiedenen Publikationen aus der Antifa Edition des Verlags Elefanten Press fand, schreibt seit ein paar Jahren gelegentlich in Zeitschriften wie konkret und Jungle World und referiert zuweilen bei Antifa-Gruppen aus dem autonomen Spektrum. Weniger bekannt ist dagegen, dass Wippermann, früher Schüler und Kofferträger Ernst Noltes, noch 1993 zusammen mit Reaktionären wie Joachim Fest, Totalitarismus-Forschern wie Eckhard Jesse und Uwe Backes und einem Neurechten wie Rainer Zitelmann in einer Festschrift zum 70. Geburtstag des Geschichtsrevisionisten publizierte. Gänzlich unbekannt war jedoch, dass Wippermann noch heute aktiver Alter Herr in einer schlagenden Verbindung ist. Als die Hamburger Antifa-Gruppe davon erfuhr, bat sie Wippermann um Stellungnahme, erhielt jedoch eine geharnischte Abfuhr.

Wippermann ist Alter Herr der Korporation Hildeso-Guestphaliae / Vandaliae-Rostock aus dem Dachverband Kösener Senioren Convents-Verband (KSCV), einem der zwei großen Corpsverbände mit rund 2 300 Aktiven und 15 000 Alten Herren. Der KSCV gründet sich nicht auf ein völkisch-nationalistisches Nationenverständnis, wie z.B. die Deutsche Burschenschaft (DB), sondern ist politisch eher konservativ-elitär ausgerichtet. Allerdings sind seine Corps, großdeutsch organisiert, auch in Österreich vertreten, wie z.B. das Corps Vandalia-Graz mit Corpsbruder Andreas Mölzer (Jungle World, 9/00). Vom Mitarbeiter verschiedener neofaschistischer Zeitungen stieg dieser zum Redakteur der Jungen Freiheit auf und wurde schließlich Grundsatzreferent der FPÖ und Chef des partei-eigenen Freiheitlichen Bildungswerkes. Heute ist er kulturpolitischer Berater der FPÖ.

Auch in Deutschland werden Rechtsextremisten im KSCV geduldet, wie z.B. der Revanchist Alfred M. de Zayas, der anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Kulturpreis des Vereins für das Deutschtum im Ausland in der Zeitschrift Der Corpsstudent seine revisionistischen Ansichten verbreiten darf. Oder Prof. Georg Cristoph von Unruh aus Kiel, der in einem Leserbrief anmerkt: »Es ist unzutreffend, Carl Schmitt sowie Ernst Forsthoff und Ernst Rudolph Huber pauschal als 'Verfassungsfeinde' zu bezeichnen. Ihr Bemühen galt vielmehr einer stabileren Grundnorm als der so genannten Weimarer Reichsverfassung.«

Sich selbst stellen die Corps trotzdem immer als unpolitisch dar. Die offene Flanke nach rechts sei dem Toleranzprinzip, einem Grundsatz der Corps, geschuldet, so Wippermann. Er selbst werde ja auch geduldet, obwohl seine Bundesbrüder ihn teilweise »als Linksradikalen bezeichnen« würden.

Ihre Hochzeit hatten die Kösener Corps in der Kaiserzeit, ihr Couleurband bestimmte oftmals über Zugang zu Regierungsämtern. Dabei verwehrten die stark feudal geprägten Corps der Masse der Studenten die Zugangsmöglichkeit durch hohe finanzielle Beiträge oder Überprüfung der nötigen standesgemäßen Herkunft.

Mit dem Ende der Monarchie mussten die aristokratischen Corps ihre Vormachtstellung an den Universitäten an andere eher bürgerlich geprägte Korporationen abgeben. Nichtkorporierte, gar proletarische oder weibliche Studierende hatten wenig Einfluss. Der Verlust ihrer aristokratischen Privilegien und Karriere-Chancen ließ viele Corps zu monarchistisch gesinnten Feinden der jungen Republik werden. So beteiligten sich die Corps auch an den studentischen Freikorps, die während des Kapp-Putsches gegen die Republik kämpften. Die tief antihumanistische und antidemokratische Haltung der Corps verschärfte sich im Verlauf der zwanziger Jahre zu einer völkischen und antisemitischen Position. Die Kösener blieben trotz der protofaschistischen Ideologie weiterhin extrem elitär und verachteten NSDAP und ihren NSDStB als zu »pöbelhaft«.

Der Konflikt zwischen den Nazis und den Corps entschärfte sich erst, als ein Corpsbruder, Baldur von Schirach, Führer des NS-Studentenbundes wurde. Umgekehrt wurden die Machtübertragung an Hitler 1933, trotz gewisser bleibender Rivalitäten, vom KSCV emphatisch begrüßt und die eigenen faschistischen Bestrebungen in der Deutschen Corpszeitung herausgestellt: »Wir haben in schärfster Form den Grundsatz des arischen Blutbekenntnisses durchgeführt, wir haben durch die Einführung des Führerprinzips die parlamentarischen Formen unseres Verbandslebens ausgerottet. Wir haben unsere junge Mannschaft in die SA und SS geschickt (...), wir brachten einen guten Teil der Voraussetzungen für den Nationalsozialismus mit.« Konsequenterweise machten die Kösener auch wenig später den verdienten NS-Parteigenossen Max Blunck zum Verbandsführer. Am 28. Oktober 1935 erfolgte die Selbstauflösung des KSCV, keinesfalls eine antifaschistische Tat oder Zeichen der Verfolgung, wie oftmals von Korporierten behauptet: Trotz aller ideologischen Gemeinsamkeiten und der Anbiederung der Corps an die neuen Machthaber, bestand die NSDAP auf ihre Alleinherrschaft an den Universitäten und die Gleichschaltung auch der StudentInnen, viele Corps wurden jedoch in Kameradschaften des NSDStB umgewandelt, die Altherrenverbände blieben weitgehend bestehen.

Nach 1945 saßen die Alten Herren, die ihre aktive Zeit im Faschismus oder kurz davor hatten, schnell wieder an den Hebeln der Macht, der KSCV wurde 1951 wiedergegründet. An einer Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit herrschte damals verständlicherweise kein Interesse, die wenigen Kritiker aus den eigenen Reihen wurden mundtot gemacht, von den zuvor meist ausgeschlossenen jüdischen Corpsbrüdern ließ man sich aber gerne Persilscheine ausstellen. Erst jetzt, nachdem die Täter-Generation fast vollständig gestorben ist, findet eine zögerliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Corps statt, zu der Wolfgang Wippermann zugegebenermaßen einen großen Beitrag leistet. Dieses alleine reicht jedoch nicht für eine Rechtfertigung, weiterhin Mitglied in einem Verband zu sein, welcher immer noch seiner großartigen korporierten Vergangenheit huldigt.

So hält der KSCV laut Wippermann neben dem unreflektierten Toleranzprinzip die Grundprinzipien Ehre und Männlichkeit hoch. Für dieses habe »die Mensur eine ganz zentrale Funktion«, so Wippermann, weshalb er auch zu dem Thema »Männer und Mensuren. Waffenstudenten in geschlechtergeschichtlicher Sicht« forsche. Unter demselben Titel publizierte er auch eine Rede für eine verbindungsstudentische Tagung 1997 in Würzburg, in der es vordergründig tatsächlich nur um die Skizzierung eines historiografischen Forschungsfeldes geht, bei näherer Betrachtung jedoch die Nähe des Forschers zum Gegenstand seiner Forschung eine kritische Annäherung verhindert. Wer selber Mensuren geschlagen hat, das Lebensbund-Prinzip der Korporationen und die damit verbundenen Ideale bejaht und dem Corps als Alter Herr weiterhin dient, verteidigt den Schmiss und die korporierte Ehre auch gegen feministische und egalitäre KritikerInnen.

»Duelle dienten (...) zur Austragung von Ehrenhändeln unter Männern, während die Mensur den Zweck hatte (und hat!), den Mut von Männern zu erproben. So gesehen war und ist die Mensur wirklich männlich«, skizziert Wippermann sein Forschungsfeld. Abgesehen davon, dass er die Mensur in der geschichtlichen und soziologischen Forschung unzulässigerweise von dem Duell getrennt haben will, wendet Wippermann einen Kunstgriff an, um die Mensur seiner Corps im besseren Licht darzustellen. Es gebe einen nationalistischen Diskurs der Burschenschaften, bei dem die Mensur an militaristische und völkisch-nationalistische Ideale und den Kampf mit der Waffe für Germanien geknüpft werde. Dem gegenüber stehe der individuelle Diskurs der Corps deren Mensur sich aus dem Streben nach Ehre, »Charakterfestigkeit und Männlichkeit« erkläre. Abgesehen davon, dass auch Corpsstudenten begeistert für Führer, Volk, Vaterland in den Krieg zogen, bleibt fraglich, welche Ehrenrettung im doppelten Sinne Wippermann hier betreibt.

»Sie waren und wollten 'charakterfeste' männliche Männer sein und bleiben, die ihre Charakterfestigkeit und Männlichkeit nicht nur, aber eben auch auf der Mensur unter Beweis stellen wollten«, schreibt Wippermann. Die Thesen der Historikerin Ute Frevert, welche Duell und Mensur als »Bollwerk gegen die drohende Feminisierung des Mannes« und als »Schutz harter Männlichkeit vor weicher Weiblichkeit« kritisiert, tut Wippermann als nicht überzeugend ab. Es ist jedoch offensichtlich, dass Mensuren Frauen aus schlagenden Verbindungen ausgrenzen sollen, »Corpsstudenten sind Männer, eine Integration des weiblichen Geschlechts würde als Fremdkörper wirken, einem Freundschaftsbund hinderlich«, konnte man noch in den achtziger Jahren in der Deutschen Corpszeitung lesen.

Die spezifisch männliche Ehre und Charakterfestigkeit, die durch die Mensur erworben werden sollen, sind fester Bestandteil korporierter Sozialisation in einer auf Konkurrenz und Leistung beruhenden kapitalistischen Gesellschaft. »Wir haben den Wunsch und sehen es als selbstverständlich an, daß Corpsstudenten im Leben hervorragende Stellungen einnehmen (...). Auf Dauer genügt nicht mehr das reine Examenswissen«, erklärte Corpsbruder Dieter Schmoeckel von der TH Darmstadt 1994 der Korporierten-Tagung »Junge Führungskräfte für die Marktwirtschaft«. Prägnant formulierte der ehemalige Innenminister Manfred Kanther, Bundesbruder von Wippermann, das Ziel der Verbindung: »Wir wollen auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft entsenden.«

Elitedünkel, Protektionismus, eine nicht aufgearbeitete Vergangenheit, die Ausgrenzung von Frauen und eine fehlende Abgrenzung zur extremen Rechten sind noch heute im KSCV zu finden. Durch sein Engagement bei den Kösenern wird Wippermann zwar nicht zum Reaktionär oder gar Rechtsextremisten. Genauso wenig wird er jedoch, sein antifaschistisches Engagement und seine Kritik an der wieder aufgelegten Totalitarismustheorie in Ehren, ein Historiker der radikalen Linken.