Der militärische Geheimdienst mordete mit

Licence to Kill

Wenn es um die Frage geht, was Nordirland den Frieden bringen soll, ist die britische Regierung um eine Antwort nicht verlegen: Nur auf der Basis von Wahrheit und schonungsloser Aufdeckung könne zwischen Giant's Causeway und Lough Erne Friede einkehren. In Derry, das die Briten Londonderry nennen, tagt seit einem Monat ein Tribunal, das genau diesem Zweck dienen soll: Nach fast 30 Jahren sollen die Vorgänge um den »Bloody Sunday« geklärt werden, jenen 30. Januar 1972, an dem britische Soldaten 14 unbewaffnete Teilnehmer einer republikanischen Knast-Demo erschossen.

Erstaunt nahm die Öffentlichkeit schon bald nach Eröffnung des Tribunals zur Kenntnis, dass das erste Opfer, welches die Richter ins Auge fassten, kein Offizier der Fallschirm-Einheit war, auf deren Konto die meisten der Toten gehen. Vielmehr teilte das Gericht mit, den ersten Schuss habe Martin McGuinness abgegeben, damals Oberkommandierender der IRA in der Rebellen-Hochburg 50 Meilen nordwestlich von Belfast - und heute Chefunterhändler der republikanischen Sinn Féin in den Belfaster Autonomie-Verhandlungen.

Der Verdacht, die angebliche Wahrheitssuche könnte nicht dem Zweck der Versöhnung dienen, sondern, selektiv angewandt, eine neue Runde der Repression einleiten, erhärtet sich nun. Denn bei der Aufdeckung der Hintergründe einer Mord-Serie loyalistischer Paramilitärs bemüht sich London mit den Mitteln einer Militärdiktatur um Verschleierung:

Während der achtziger Jahre versorgte der britische Militärgeheimdienst Force Research Unit (FRU) loyalistische Todesschwadronen in Nordirland mit Informationen über mögliche Opfer. Schlüsselfigur war Brian Nelson, FRU-Agent Nummer 6 137. Er hatte den Auftrag, »sicherzustellen, dass religiös motivierte Tötungen nicht ausgeführt werden, sondern durch richtige Zielansprache von Mitgliedern der Provisorischen IRA im Vorfeld verhindert werden«, sprich: dass Verdächtige kurzerhand liquidiert werden. Zu diesem Zweck führte er eine Datenbank mit »Personalakten« mutmaßlicher IRA-Leute, die er an die Ulster Freedom Fighters (UFF) weiterleitete. Mehrere der Beobachteten, darunter auch Leute, die mit der IRA nichts zu tun hatten, wurden daraufhin ermordet.

Die FRU arbeitete eng mit der Polizeitruppe RUC zusammen. Trotzdem kam es schließlich zu einem Ermittlungsverfahren. Für den 11. Januar 1990 bereitete der Sonderermittler Sir John Stevens die Festnahme von Nelson vor. Doch in der Nacht vorher legten zwei Soldaten einer Spezialeinheit der britischen Armee Feuer im Büro des Ermittlungsteams, es verbrannten praktisch sämtliche wichtigen Beweisstücke. Nelson floh in derselben Nacht, nachdem er von seiner Dienststelle gewarnt worden war, die ihrerseits einen Tipp von der RUC erhalten hatte. Die Brandstiftung wurde offiziell nie aufgeklärt.

Inoffiziell dagegen sehr wohl: Ein früherer FRU-Agent, der sich hinter dem Pseudonym Martin Ingram verbirgt, offenbarte sich im März gegenüber der Sunday Times. Ingram wird deswegen jetzt vom britischen Verteidigungsminister Geoff Hoon mit einem Strafverfahren wegen Geheimnisverrats bedroht. Außerdem ist es britischen Zeitungen per Einstweiliger Anordnung untersagt, weitere Details der Geschichte zu publizieren. Begründung: »Es besteht ganz offensichtlich keinerlei öffentliches Interesse an der Publikation weiterer solcher Materialien.«

Immerhin besteht offenbar ein polizeiliches Interesse: Stevens hat die Aussage zum Anlass genommen, noch einmal zu dem Brandanschlag auf sein früheres Büro zu ermitteln. Und als Metropolitan Police Commissioner ist Stevens mittlerweile der oberste Polizist des Königreichs.