Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen

Alter Lack in neuen Dosen

Rot-Grün setzt auf High-Tech und Dienstleistung, die Union auf das rassistische Volksempfinden. In Nordrhein-Westfalen hat die Schluss-Phase des Landtagswahlkampfes begonnen.

Im Herbst 1997, Helmut Kohl regierte und von der Neuen Mitte war noch nichts in Sicht, veröffentlichte die Zeit eine ausführliche Expertise über die Qualität rot-grüner Landesregierungen. Das Resultat war eher niederschmetternd. Vom »rotgrünen Projekt« werde nur noch ironisierend gesprochen, am schlimmsten sei die Wurstelei in Düsseldorf: Ein zwischen »Machtbedürfnis« und »Oppositionsgelüsten« schwankender linker Grünen-Landesverband regiere dort glücklos mit einer strukturkonservativen SPD: »Der rot-grüne Urkonflikt in reinster Form.«

Seitdem ist einiges passiert. Im grünen Landesverband und in der Landtagsfraktion wurden die Linken restlos abserviert, bei der Listen-Aufstellung für die Landtagswahl am 14. Mai setzten sich die Realos ohne Gnade und unter Duldung der namhaftesten linken Koalitionsbefürworter (u.a. Umweltministerin Bärbel Höhn) durch. Der bisherige Kölner Abgeordnete Daniel Kreutz hielt in seiner vergeblichen Bewerbungsrede auf dem Parteitag frustriert fest, bei den Grünen habe die »Inszenierung der grün lackierten FPD längst begonnen«. Gemeint war nicht zuletzt das Verhalten in der Garzweiler-Frage: Als Umweltministerin Höhn nach jahrelangem Widerstand im Herbst 1998 die wasserrechtliche und damit endgültige Genehmigung für den RWE-Braunkohle-Tagebau erteilte, war ein zentrales Heimatschutz-Projekt der Grünen gestorben.

Auch in der NRW-SPD hat sich einiges geändert. Mit Johannes Rau, Bodo Hombach, Klaus Matthiesen und Heinz Schleußer sind die Repräsentanten eines Systems nicht mehr da, in dem, so das Handelsblatt, »ein paar Anrufe zwischen Staatskanzlei, Finanzministerium und WestLB Unternehmen retten konnten«. Werbetechnisch waren diese Verhältnisse einst auf die Formel »Wir in NRW« gebracht worden. Das strahlte Wärme ab und taugte auch als Aufkleber fürs Auto. In seiner Beharrungskraft war dieses System dem Helmut Kohls ziemlich ähnlich.

Unter Wolfgang Clement, der im Mai 1998 die Nachfolge Raus antrat, wurde das ein bisschen anders. Zuvor als Wirtschaftsminister häufig auf Konfrontationskurs mit dem Koalitionspartner, signalisierte er den Grünen seine Bereitschaft zur Kooperation und wechselte Raus landesväterliche Rhetorik gegen die des knochenharten Machers aus. Geradezu emphatisch huldigt Clement dem an Rhein und Ruhr viel beschworenen, an sich aber etwas abstrakten Begriff des »Strukturwandels«. Von der notwendigen Beschleunigung des Wechsels von den traditionellen Malocherbranchen zu neuen Industrien und Dienstleistungen ist der Ministerpräsident so überzeugt, dass er das unter PR-Leuten eigentlich verbotene Wort »Strukturwandel« jetzt sogar auf Wahlplakate drucken lässt.

Nach der Garzweiler-Einigung etablierte sich in Düsseldorf rasch eine Regional-Variante der Neuen Mitte. In der Substanz handelt es sich um ein ziemlich reibungslos funktionierendes Bündnis für den Standort NRW, seine strategischen Essentials tragen die Handschrift Clements. Mit seiner Härte in der Garzweiler-Frage signalisierte er den traditionellen Wählerschichten der SPD, dass auf die Partei auch künftig Verlass sein wird. Im Wahlkampf heißt das jetzt »Sicherung bestehender Arbeitsplätze«.

Gleichzeitig, und damit den häufig erhobenen Vorwurf eines neoliberalen Markt-Radikalismus dementierend, versuchte die Düsseldorfer Regierung auf dem geradezu klassischen Weg einer staatsinterventionistischen Subventionspolitik, die Reservoirs so genannter zukunftsfähiger Arbeitsplätze zu erschließen. Die Werbebroschüren der SPD schwärmen von 407 000 neuen »Unternehmen«, die im Rahmen der NRW-Existenzgründungsoffensive »GO« angeblich entstanden sind, und stolz verweist man auf die tatsächlich enormen (und teils heftig umstrittenen) Investitionen in die Medien-Branche.

Die grüne NRW-Realpolitik gibt derweil den Trittin. Redet Clement über Transrapid-Strecken für NRW, wird ordnungsgemäß aufgemuckt. Beim Abschieben von Flüchtlingen macht man mit, im Umwelt- und Energie-Bereich setzte man eigene Projekte durch. Diese äußerst defensive friedliche Koexistenz führt zum Verlust dessen, was gemeinhin als »politisches Profil« ausgegeben wird. Übrig bleibt der Kampf gegen den »roten Filz«. Dass allerdings die Grünen selbst nicht unbedingt an den Erfolg ihres Sozi-Controling glauben, zeigt exemplarisch die Überschrift ihres Wahlprogramms. Sie heißt »NRW erneuern« und klingt nach Jürgen Möllemann.

Auf dem Homepage-Intro der NRW-FDP hoppst als Kennmarke für das angestrebte Wahlergebnis eine nervöse gelbe Acht herum, dann kommt »NRW braucht Tempo«. Die FDP nimmt das wörtlich. Ihr verkehrspolitisches Programm klingt stark nach ADAC. 22 dringende Autobahnprojekte sind ausgewiesen, die Untertunnelung des kompletten Ruhrgebietes inklusive.

Von geradezu musealer Anmut ist die Abgrenzung zur grünliberalen Konkurrenz: »Erst einmal wird das Autofahren eingeschränkt, bis keine(r) mehr fährt. Dann werden die Kraftwerke abgestellt. Wozu gibt's schließlich Kerzen?« Die Haltlosigkeit dieser - aus den Archiven herausgekramten - Polemik illustriert den Eifer, mit dem sich Möllemanns Truppe bei Clement als der pflegeleichtere Koalitions- und Modernisierungspartner anbietet.

Im Gegensatz zur PDS. Nachdem man bei den Kommunalwahlen im vergangenen September ein paar Stadtratsmandate erobert hat, ansonsten aber im Landesdurchschnitt bei 0,8 Prozent der Stimmen landete, gibt sich die Partei im Blick auf die Fünf-Prozent-Hürde demonstrativ, aber grundlos optimistisch. Spitzenkandidatin Annette Falkenberg will, dass ehemalige SPD-Wähler ihre Stimmen »benutzen, um Druck auf Rosa-Grün auszuüben«.

Jürgen Rüttgers will dasselbe. Als die SPD im vergangenen Jahr eine Wahl nach der anderen verlor, sah sich »Die neue CDU im Westen« bereits als künftige Regierungspartei. Diese Zuversicht wurde im Spendenskandal der Union pulverisiert. Die aktuelle Generallinie lautet »30 Jahre SPD sind genug«, gut macht sich in Landtagswahlkämpfen immer auch der Hinweis, die Konkurrenz lasse Bildung und Schulen verlottern. Aber das kontert die SPD relativ cool mit dem sachdienlichen Hinweis auf Rüttgers' dürftige Bilanz als Bildungs- und »Zukunftsminister« im Kohl-Kabinett.

Da also Clement für den Standort schon alles tut, schien bis Ende März die einzig interessante Frage, ob die Stammwählerschaft der SPD das versteht und im Gegensatz zur letzten Kommunal- und Europa-Wahl den Gang zur Urne auf sich nimmt. Dann erinnerte sich Rüttgers an den Fall seines hessischen Parteifreundes Roland Koch, der im vergangenen Jahr durch seine Kampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft das eigentlich aussichtslose Rennen gegen Hans Eichel doch noch gewonnen hatte.

Bei der Mobilisierung des nationalen Ressentiments gegen die Greencard für IT-Spezialisten beruft sich Rüttgers auf den Volkswillen; Emnid habe ermittelt, dass 60 Prozent der Bürger deutsche Software auch gern von deutschen Hirnen erfinden lassen möchten. Die Ablehnung, die die Gewerkschaften gegenüber der Greencard äußerten, macht deutlich, dass so etwas auch unter SPD-Stammwählern mehrheitsfähig ist. Jetzt muss die Partei nicht nur darum kämpfen, dass die zur Urne gehen, sondern auch darum, dass sie ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle machen. Endlich eine echte Herausforderung.