Freizeit im Freibad

Anbaden!

Im Freibad werden noch die Ideale der Französischen Revolution verteidigt.

Das Wetter ist super! Der Asphalt riecht nach Kindheit. Es ist irritierend, dass man sich so gut fühlt, wenn's schön ist. Schließlich ist man doch kein Gemüse! Frei-, d.h. Prinzenbad. Vorhin, um genauer zu sein, am 28. April, um 12 Uhr mittags, begann die Freibadsaison. Wie der Bockbier-Anstich in Bayern, so ist auch das »Anbaden« im Kreuzberger Prinzenbad ein schönes Ereignis mit volkstümlichem Charakter.

Richard von Weizsäcker steht auf der Bühne, die im Prinzenbad aufgebaut ist, um die Saison-Eröffnung auch angemessen zu begehen. »Bundespräsident« wird er des öfteren von den verschiedenen Festrednern - mal in Badehose, mal in Freizeitkleidung - genannt, was der Ehemalige sich mit einem feinen, kaum merklichen Lächeln, gern gefallen läßt. Richard von Weizsäcker trägt einen eleganten, dunkelblauen Bademantel. Mit der Zeit ähnelt er immer deutlicher Leslie Nielson aus »Nackte Kanone 2 1/2«. Vielleicht ist er's ja auch. »In die Tiefe gehen«, das sei ja auch etwas, was Richard von Weizsäcker ganz hervorragend beherrsche, sagt ein Bademeister mit Sonnenbrille. Der frühere sportpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, eine Tante vom lokalen Deppen-Sender TV-Berlin und Lorenz Funk von den Berliner Eisbären stehen im Halbkreis und sagen angemessene Worte. Zwei Schönheiten haben sich als Berliner Fernsehtürme verkleidet und stehen vor ihnen.

Das Anbaden erfolgt mit einem Schuss. Neben Richard von Weizsäcker schwimmt unter anderem auch der Olympionike Andreas Wecker (Kunstturnen) die ersten 50 Meter dieses Jahres im Prinzenbad. Mit einem zweiten Schuss wird dann allen anderen bedeutet, dass es nun für das Volk an der Zeit sei, ins kühle Nass zu hopsen.

Ich bin glücklich! Noch tags zuvor hatte ich die Schriftstellerin Katrin Schings, die gerade eine seltsam anrührende Sex- und Liebesgeschichte im anarchistischen Karin Kramer-Verlag veröffentlicht hat (»Das Anliegen«), dafür bewundert, dass sie in diesem Jahr schon schwimmen gegangen war. Da sei ihr Körper hinterher stundenlang blau gewesen. Nun war auch ich »drin«.

Das Frei-, insbesondere das Prinzenbad, ist sehr zu loben. Man geht ins Prinzenbad wie in die U-Bahn, um Leute zu sehen, nur eben in Bade-Kleidung. Die Leute sehen prima aus. Sie haben ihre völlig unterschiedlichen Körper in Badeanzüge gesteckt, über deren Angemessenheit sie oft nachgedacht haben mögen. Man selbst denkt auch kurz darüber nach, wie die sich wohl fühlen mögen in ihren komischen Körpern - diesen Körpern, die von ihrem Leben geformt wurden, die das Ergebnis der eigenen Lebenspraxis und des Vergesellschaftungsprozesses sind, der ja auch am eigenen Körper rumgemacht hat.

So denkt man zu Beginn der Freibad-Saison auch oft, man sehe irgendwie komisch aus in der Badehose, die man sich mal in Bukarest gekauft hat, als es sehr heiß war. In Bukarest ist es viel heißer als in Berlin. Überhaupt: Rumänien - ein schmaler türkischer Junge trägt ein Trikot von Georghe Hagi, dem Kapitän der rumänischen Fußballnationalmannschaft, der bei Galatasaray Istanbul beschäftigt ist. Ein Mädchen hat Lothar Matthäus an. Drei Jungs machen kollektiv eine Arschbombe. Die Dicken, die Kreuzberger Wonneproppen und Wuchtbrummen sehen prima aus. Ein Mann mit zwei amputierten Beinen sitzt in Badehose in seinem Rollstuhl und beobachtet rauchend das Freibadbiotop. Mit »Ich hab' das Frau Helen baden sehn, das war schön ...« trägt eine Gruppe zur Unterhaltung bei.

Eigentlich rauchen im Prinzenbad alle, wenn sie nicht gerade schwimmen. Oder beim Anbaden am Beckenrand stehen und »Ritchie« rufen. Gern amüsierten sich hier Mitte der Neunziger auch Drogendealer-Cliquen, wie Nancy vom Bunker in ihrem Buch »Tickerlady« berichtet, das ganz gut die Atmosphäre Mitte der Neunziger beschreibt. Kiffen tut in Kreuzberg eh jeder. Weil die Kreuzberger Punks immer ins Wasser pissen würden, ist Bettina Djurovic in den Achtzigern nie ins Prinzenbad gegangen, sondern lieber zum Schlachtensee gefahren. Ein bisschen Natursekt hat noch keinem geschadet. »Darf ich die Cola aufmachen? - Ja. Bitte!« Gern hätte ich das Pommes-Mädchen sofort geküsst.

Im Prinzenbad gibt es noch Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Und es gibt Pommesketchup mit Wienerwürstchensenf, Cola und Sonnenbrillen. Nur das neue »Solero-Ice« (Erdbeer) ist eine einzige Enttäuschung.

Detlef Kuhlbrodt ist Mitarbeiter der taz.