»Blair ist nicht Labour«

Ein Gespräch mit Tony Benn vom linken Flügel der Labour-Party. Benn ist seit 50 Jahren Abgeordneter im britischen Unterhaus und war Minister unter vier Labour-Premiers

Spätestens in der Stichwahl dürfte Ken Livingstone es schaffen, als erster Bürgermeister von London direkt gewählt zu werden. Woran liegt das?

Die Tatsache, dass der offizielle Labour-Kandidat Frank Dobson zur Zeit nur an vierter Stelle liegt, zeigt schon, dass Tony Blair die Partei nicht mehr unter Kontrolle hat.

Ist Livingstones Erfolg nicht eher auf seine Beliebtheit bei den Londonern zurückzuführen als auf die Schwäche Blairs?

Ich glaube, es gibt dafür zwei Gründe. Zum einen war Livingstone schon einmal Chef des Hauptstadt-Stadtrats - bis zu dem Zeitpunkt, als Margaret Thatcher die Demokratie in London abschaffen ließ. Aus dieser Zeit bringt er viel Erfahrungen mit: Von der Beliebtheit, die er sich damals besonders wegen seiner Verkehrs- und Ausländer-Politik erworben hat, zehrt er noch heute. Doch darf man nicht vergessen, dass Blair seinen Einfluss auf die Partei so ausgeweitet hat, dass weder in Wales, wo er den Spitzenkandidaten selbst ernannt hat, noch in Schottland eine Entscheidung gegen ihn getroffen werden kann - obwohl sich in beiden Fällen die Wähler später gegen seine Leute aussprachen.

Das gleiche Problem hat er nun in London: Auch wenn die Medien Blair unterstützen, weil er die Politik Thatchers fortführt, fühlen sich die Labour-Mitglieder übergangen und der Rest der Öffentlichkeit getäuscht. Deshalb ist die Wahl auch ein Rückschlag für New Labour .

Von einer Rückkehr der Linken innerhalb der Partei ist aber nichts zu spüren.

Dafür ist die Frage, um die es künftig geht, etwas klarer geworden: Die Labour-Party muss um den Erhalt der Demokratie kämpfen und darf sich nicht weiter sozialistischer Positionen entledigen. Für mich ist klar, dass der Kapitalismus, wenn er überleben will, auf Dauer einen Ein-Parteien-Staat braucht - genauso wie der Kommunismus. Das war in Moskau zu Sowjet-Zeiten nicht anders als in Brüssel heute: Hier treffen wir auf EU-Kommissare, die nie gewählt wurden, dort auf Generalsekretäre, die nie gewählt wurden. Die Macht des globalen Kapitals macht solche Entwicklungen notwendig. Doch die Leute wollen nicht im Namen irgendwelcher Unternehmen gemanagt, sondern von ihren Repräsentanten gegen diese Macht der Konzerne verteidigt werden.

Nun geht es bei der Wahl in London ja nicht um globale Umwälzungen, sondern um lokale Angelegenheiten.

Viele wählen Livingstone trotzdem wegen seiner antikapitalistischen Positionen. Unterstützt wird er ja hauptsächlich von Leuten, die mit dem Kurs von New Labour unzufrieden sind. Er repräsentiert so etwas wie eine neue politische Koalition, die sich ebenso gegen den Einfluss multinationaler Konzerne richtet wie gegen die Politik, die in Brüssel gemacht wird - sowohl von der EU wie von der Nato. Diese Ablehnung beginnt sich aber gerade erst zu artikulieren und ist weit davon entfernt, in organisierter Form gebündelt auftreten zu können. Livingstone bringt dieses Unbehagen zum Ausdruck. Vielleicht ist das der wichtigste Grund, weshalb er so beliebt ist.

Das war doch unter Thatcher nicht anders ...

Unter Blair ist es aber leider auch nicht besser geworden. So haben sich die Gewerkschaften seit ihren Niederlagen in den achtziger Jahren nicht mehr aufrappeln können. Als politische Führung fallen sie weiterhin aus. Dafür gibt es aber andere soziale Bewegungen, die in sehr losen Koalitionen miteinander verknüpft sind.

Ein einigendes politisches Konzept fehlt den neuen sozialen Bewegungen trotzdem.

Nein, denn sie sind alle antikapitalistisch. Ihnen fehlen vielleicht die politischen Führer, aber insgesamt stehen sie für eine wachsende Opposition gegen die Formel »profit above people«. New Labour gleicht immer mehr einer Werbefirma, die mit ihrer Politik nicht überzeugen will, sondern sie zu verkaufen versucht. Sie erscheint wie ein Abziehbild der Demokratischen Partei in den USA, die ja auch keine wirkliche Ideologie mehr hat, sondern sich in erster Linie über Werbeslogans definiert, in denen vermeintliche Erfolge zur Schau gestellt werden. Ich glaube, dass sich jetzt die Graswurzeln einer Bewegung zeigen, die in absehbarer Zeit an Einfluss gewinnen wird - auch auf New Labour.

Nicht nur Blair, auch Livingstone setzt auf populistische Kampagnen. Ist ein plumper Antikapitalismus nicht ein bisschen wenig, um sinnstiftend für eine ganze Bewegung zu sein?

Auch wenn er den Kapitalismus immer kritisiert hat, gibt es natürlich Differenzen zwischen Livingstone und seinen Unterstützern. So teile ich seine Meinung nicht, was die Einführung des Euro anbelangt. Aus meiner Sicht würde das dazu führen, dass Großbritannien unter die Kontrolle der Europäischen Zentralbank fiele. Und während er für den Kosovo-Krieg war, bin ich wie vor einem Jahr weiter gegen den Nato-Einsatz. Die Bewegung, von der ich spreche, ist also nicht homogen. Ich würde sagen, dass Livingstone Elemente einer Desillusion repräsentiert, die weite Teile der britischen Gesellschaft erfasst hat.

Die Linke scheinen diese Tendenzen noch nicht erreicht zu haben - weder innerhalb von Labour noch außerhalb der Partei.

Labour war nie eine sozialistische Partei. Sie hatte natürlich immer sozialistische Mitglieder, aber in den Kirchen finden sie ja ebenfalls Christen, obwohl die Kirchen längst nicht mehr christlich sind. Das sozialistische Gewicht in der Partei wächst, was sich an den Abstimmungen über den Kosovo-Krieg, die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak oder die Kürzungen der Renten zeigt.

Blair hat die Partei doch ziemlich erfolgreich auf Rechtskurs gebracht.

Deshalb ist es ja auch so wichtig, eine starke gewerkschaftliche Basis zu haben. Wenn es Blairs Ziel sein sollte, die Gewerkschaften völlig auszuschalten, dürfte der Widerstand dagegen zur Zeit allerdings wirklich eher gering sein. Schließlich bezeichnet Blair selbst New Labour als neue Partei - und in der Tat ist es so, dass sie für eine ganz andere politische Richtung steht als Labour. Deshalb bin ich auch nicht Mitglied dieser Partei.

Sozialdemokraten in ganz Europa haben versucht, Blairs Modell zu kopieren. Setzt sich das fort?

Nein, denn Blairs Projekt wird von keiner wirklichen Philosophie getragen. Der so genannte Dritte Weg existiert doch gar nicht - er ist ein großes Loch. Der Dritte Weg stellt nur die gemeinsame Formel für die mächtigsten Anwälte des globalen Kapitals dar. Thatcher dürfte sehr stolz auf Blair sein, versucht er doch voller Leidenschaft, ihre Politik durchzusetzen.