Eurokorps übernimmt Kfor-Kommando

Eiertanz im Kosovo

Das nicht zur Nato gehörende Eurokorps hat erstmals das Kommando über die Kfor-Streitmacht.

Das internationale Militär-Ballett, das die Generale Wesley Clark, Klaus Reinhardt und Juan Ortuno am 18. April bei der Übergabe des Kommandos über die 38 000 Mann starke Kfor-Besatzungsmacht an das Eurokorps hinlegten, war Spitze. Da löste sich in einem Saal der Provinzhauptstadt Pristina ein Soldat mit der Kfor-Fahne aus einer Flaggenfront, tänzelte zum Trio der Generale, übergab das symbolträchtige Tuch am Stiel dem Deutschen Klaus Reinhardt. Der reichte es an Nato-General Clark weiter, Clark übergab an den Spanier Ortuno, Oberkommandierender des Eurokorps. Dieser drückte die Truppenfahne wiederum dem Soldaten in die Hände, der die Gruppe inzwischen einmal umrundet hatte. Rückmarsch durch den Saal.

Eine umständliche Zeremonie - wie so oft beim Militär. Weit komplizierter aber war es für die Westeuropäer, allen voran Deutsche und Franzosen, den Stab ihres neuen Eurokorps gegen mancherlei Widerstand im Kosovo zu etablieren. Schon die Kommando-Übernahme durch den deutschen Vier-Sterne-General Reinhardt, Chef des Heidelberger Führungsstabs der Nato-Landstreitkräfte Zentraleuropa, im Oktober letzten Jahres war eine Zäsur. Vor allem die Briten irritierte, dass ihre Truppen nun unter dem Befehl des ehemaligen Feindes stünden. Das habe es zuletzt 1813 gegeben.

Ähnliche Symbolkraft hat der Einzug des Eurokorps in Pristina. Damit untersteht seit Mitte April mit der Kfor erstmals eine Nato-Streitmacht einem Generalstab, der nicht Teil der westlichen Allianz ist. Dass dieser Stabwechsel zu Stande kam, ist für Franzosen und Deutsche ein politischer Sieg. Zu verdanken haben sie ihn diesmal auch der Unterstützung des britischen Nato-Generalsekretärs George Robertson, der Bedenken der US-Amerikaner zerstreute. Dabei geben die US-Militärs nichts wirklich aus der Hand. Sie behalten auch weiter die höchste Befehlsgewalt im Krisengebiet. So übergab Nato-General Clark am 3. Mai seine Geschäfte planmäßig an General Joseph Ralston.

Die Nato hatte dem Einzug des Eurokorps erst nach wochenlangem Zögern Ende Januar zugestimmt. Sowohl die USA als auch die Türkei hatten Zweifel, ob die Europäer dieser Aufgabe gewachsen sind. Hintergrund ist wohl, dass beide weder Mitglied der Europäischen Union noch des Eurokorps sind. In der Praxis stellt das Eurokorps dann auch nicht die gesamte Kommando-Ebene, sondern wird von Kräften aus Großbritannien, der Türkei, Norwegen und Italien unterstützt. Als Gegenleistung für das OK aus Ankara wurde nach Angaben von Diplomaten vereinbart, dass Ende dieses Jahres das Kfor-Kommando an den Nato-Stab Landsoutheast im türkischen Izmir gehen wird.

Schon im Juni letzten Jahres hatte der damalige Oberfehlshaber des Eurokorps, der Belgier Leo van den Bosch, angeboten, dass sein multinationaler Verband die Kfor im Kosovo 2000 ablösen könnte, wenn die Nato dies wünsche. Er verwies darauf, dass die Einheiten zunächst in eine »schnelle Eingreiftruppe« umgewandelt würden. Auf dem deutsch-französischen Gipfel Ende November in Paris hatten Verteidigungsminister Rudolf Scharping und sein Kollege Alain Richard erneut auf eine Kommandoübernahme durch das Eurokorps gedrängt.

Hinter diesem Drängen steckte die Absicht der Westeuropäer, wie die US-Amerikaner für ihre Interessen auch militärisch auf die Pauke hauen zu können. In einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte der französische Staatspräsident Jacques Chirac dann auch unmissverständlich: »Der EU müssen die Mittel verliehen werden, international aktiv zu werden.«

Das Eurokorps passt in diese Strategie, die so neu nicht ist. Bereits 1991, gleich nach Ende des Kalten Krieges, hatten Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident Mitterrand dem Europäischen Rat mitgeteilt, zur militärischen Stärkung Westeuropas ein Korps aufzustellen, an dem sich auch andere Streitkräfte der WEU-Staaten beteiligen könnten. Diese Abkoppelung von US-dominierten Nato-Strukturen rief schon damals Befürchtungen der Amerikaner hervor, Interessen und Einfluss der letzten Weltmacht könnten in Europa gefährdet werden.

Da wird aus der viel beschworenen transatlantischen Freundschaft urplötzlich doch wieder ein Unternehmen unter bissigen Konkurrenten. So wurde auf Verlangen der USA noch 1991 beim Nato-Gipfel in Kopenhagen festgeschrieben, dass jede Entwicklung einer europäischen Sicherheits-Identität den Interessen des Bündnisses unterzuordnen ist. So stecken die deutschen Einheiten im Eurokorps weiter in Nato-Befehlsstrukturen.

Der damalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger kommentierte 1992 spürbar sauer: »Da das Korps nicht von der Nato befehligt und kontrolliert wird, da es auch nicht unbedingt für Nato-Zwecke eingesetzt wird, kann das nur heißen: Der Bonner Beitrag zur Nato wird verwässert - und das zu einem Zeitpunkt, wo es für das Bündnis besonders schwierig ist, seine Stärke zu bewahren.« Dieses Misstrauen besteht bis heute fort, schließlich ist aus der Theorie vom Eurokorps, einer gemeinsamen westeuropäischen Streitmacht, inzwischen Praxis geworden.

Das Eurokorps wurde am 5. November 1993 in Strasbourg in Dienst gestellt und umfasst heute rund 55 000 Mann mit Verbänden aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Spanien und Luxemburg. In Friedenszeiten unterstehen diese allerdings dem nationalen Kommando. Diese Streitmacht, die bislang nur auf Paraden, Stabs- und Verlegeübungen verweisen kann, soll nun zum »Kernstück« einer neuen Krisenreaktionstruppe Europas werden.

Letzten Dezember beschlossen 15 Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Helsinki, eine eigene Eingreiftruppe aufzubauen. Die US-Amerikaner hatten während und nach den Angriffen auf Jugoslawien wohl zu oft darauf hingewiesen, dass die Europäer militärisch potenter werden müssten. Zu lange habe die Verlegung von Streitkräften gedauert, zu groß sei das Manko an Transportflugzeugen, Präzisionswaffen und Aufklärungskapazitäten aus der Luft gewesen.

Diese großkotzige Mäkelei, die stärkere finanzielle Beteiligung einforderte, rächt sich nun. »Spätestens in Jahr 2003 müssen die Mitgliedsstaaten bei EU-geführten Operationen in der Lage sein, innerhalb von 60 Tagen 50 000 bis 60 000 Personen zu verlegen«, heißt es im Helsinkier Abschlussdokument. Ein bis zwei Jahre lang soll diese Eingreiftruppe in einem Konflikt in und um Europa ohne jede Unterstützung der US-Amerikaner operieren können. Dafür müssten dann insgesamt 150 000 Mann zur Verfügung stehe.

Das Eurokorps soll hier Vorreiter und Vorbild sein, doch dem Verband fehlen Einsatzerfahrungen. Mit 150 Mann waren lediglich Teile des Korpsstabes von Juni 1998 bis Dezember 1999 unter Nato-Kommando in Bosnien eingesetzt. Das erklärt den politischen Druck, mit dem der Einsatz des Eurokorps vor allem von den Regierungen in Berlin und Paris eingefordert worden war. Jetzt führen gut 400 Eurokorps-Offiziere die Kfor von Pristina aus. 80 davon sind Deutsche.

Und schon ist ein zweiter Streich in Vorbereitung. Das Einsatzgebiet »in und um Europa« wird bereits sehr großzügig gesehen. So soll die Brüsseler EU-Kommission Anfang des Jahres erwogen haben, das Eurokorps zur Überwachung eines möglichen Nahost-Friedens zwischen Israel, Syrien und dem Libanon einzusetzen. Wenn die EU Aufbauhilfe leiste, müsse sie schließlich auch militärisch präsent sein. Im Umkreis des EU-Kommissars Chris Patten ging die Rede, dass nach einem Friedensschluss UN-Einheiten durch »schlagkräftige Truppen« ersetzt werden müssten. Auch wenn es allenthalben geleugnet wird - all das sind Schritte zu einer eigenständigen Euro-Armee.