»Die Unberührbare«

Eine Kommunistin wird versöhnt

Oskar Roehlers »Die Unberührbare« ist eine Seifenoper fürs Kino. Ein Versuch, Gisela Elsner gegen die deutsche Filmgemeinschaft zu verteidigen.

Alle sind begeistert. Ausnahmslos alle: Oskar Roehlers Film »Die Unberührbare« sei »grandios« (Spiegel), »brillant« (taz), »wichtig und schön« (Süddeutsche Zeitung), »im deutschen Kino (...) eine Rarität« (Frankfurter Rundschau). Und anstatt misstrauisch zu werden, wo ausnahmslos alle begeistert sind, begeistern sich ausgerechnet die Klügeren noch eine Spur lauter: »Dem deutschen Film ist ein schwerer Stein vom Herzen gefallen«, erleichtert sich Manfred Hermes in der Jungle World, und in konkret lobt Jan Pehrke »Die Unberührbare« als den »bundesdeutschen Film der letzten Zeit, der sich die ambitioniertesten Ziele steckt und diese auch erreicht«.

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert, sie schreiben auch alle das Gleiche über den Film. Der Film sei von einer »Psychologie der Anteilnahme« (taz) geprägt, also »eine verwandelte Form der Psychotherapie« (FR), der »Countdown eines Lebens« eines »weiblichen Don Quichotte« (SZ).

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert und schreiben das Gleiche über den Film, sie haben auch die gleiche Meinung zur Ästhetik des Films: »In Schwarzweiß gedreht, auch weil dies die Lieblingsfarben Elsners waren«, weiß der Spiegel. Aber auch der stern kennt sich aus: »Gedreht wurde in Schwarzweiß. Das waren ihre Lieblingsfarben.« Kurz: »Die Unberührbare« ist »diese aufregende Erzählung in Schwarzweiß« (Berliner Zeitung).

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert, schreiben alle das Gleiche über den Film und wissen, dass er in Schwarz-Weiß gedreht wurde, sie haben auch begriffen, um wen es in dem Film geht: Um Gisela Elsner, die am 13. Mai 1992 55jährig den Freitod wählte. »Ihr Trotz war kalt, radikallinker Aspik«, ekelt sich die taz und weiß, »zärtliche Innenaufnahmen des Bürgertums, wie Martin Walser sie gab«, waren bei ihr nicht zu finden. »Dass sie Designermode liebte und den Konsumterror geißelte, gehört dazu«, ergänzt die FR, und der SZ fällt »eine große schwarze Perücke« auf, die ihre Jugendlichkeit bewahren soll«. Abwechselnd ist Gisela Elsner die »schreibende Kleopatra« und die »Sphinx«.

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert, schreiben alle das Gleiche über den Film, wissen, dass er in Schwarz-Weiß gedreht wurde und von Gisela Elsner handelt, sie kennen auch deren Sündenregister. Sie war ein »früher Medienstar, als die Maschinerie noch auf kleiner Flamme lief, und eine Autorin, die der DKP beitrat, die im Osten erfolgreicher war als im Westen, deren Lebenslügen zusammenfielen mit der und wie die Mauer.« (FR) »Der DDR, deren Wirklichkeit in ihren Essays nicht auftaucht, soll sie ihre höchste, fiktive Treue gehalten haben.« (taz) »Das Markenzeichen dieses schönen, begabten marxistischen Paradiesvogels war für jene Jahre sehr gewagt: schwarze Perücke, schwarze Netzstrümpfe, schwarzer Büstenhalter unter durchsichtigen weißen Blusen.« (Berliner Zeitung) »Der Film erzählt vom tragischen Ende einer großbürgerlichen kommunistischen Schriftstellerin.« (konkret)

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert, schreiben alle das Gleiche über den Film, wissen, dass er in Schwarz-Weiß gedreht wurde und von Gisela Elsner handelt, deren Sündenregister sie ebenfalls kennen, sie haben auch bemerkt, dass »Die Unberührbare« die Geschichte der Elsner verfremdet: »Für Roehler steht diese Figur (der Hanna Flanders; T.K.) für den Niedergang einer spezifischen Intellektuellenschicht in der BRD.« (Jungle World) Im Film wirke sie wie »eine groteske Erscheinung wie aus einem ihrer Romane« (taz), man könne »zugleich die Tragik sehen und über die Verbohrtheit den Kopf schütteln, die sie ihre Lebenslügen wie ihre Sucht lieben lässt, auch wenn sie sie umbringen.« (FR) Oder schlicht: »In einer Szene irrt sie mit ihrem Dior-Mantel verloren durch ein Ost-Berliner Niemandsland - ein eindringlicheres Bild von Einsamkeit war im Kino lange nicht zu sehen.« (konkret)

Was für eine merkwürdige Frau diese Gisela Elsner gewesen sein muss. Wäre sie ein Mann gewesen, würde man Elsner als einen Rebellen feiern, als einen, der das Establishment so richtig angepisst hat. Der Film »Der Unberührbare« wäre nicht von einem gekränkten, sondern einem stolzen Sohn gedreht worden, gleichwohl der Vater den Sohn im Alter von drei Jahren verlassen hätte. Einer Mutter, die nie Mutter sein wollte, verzeiht auch die deutsche Filmkritik nie. Und so sagt der Film, was alle seine Kritikerinnen und Kritiker sagen: Es hat ja so enden müssen mit der Elsner/Flanders. Oskar Roehlers Film unterhält ein enges Verhältnis zu den Stereotypen der Kritik: Er ist ihr Lieferant.

Nicht nur, dass es schon mal nichts Gutes verheißt, wenn zu einem Film ausnahmslos alle Kritiker die gleichen existenziellen Assoziationen breittreten - Einsamkeit, Gebrochensein, Scheitern usw. Das beweist lediglich, dass gerade dieser Film, auch weil seine Ambitioniertheit und Autonomie ebenfalls auffallend oft betont werden, ohne eine mystifizierende Denunziation der Unperson Elsner nicht auskommt. Dabei werden Emotionen im Film angerührt wie in einer Soap-Opera, und folglich wird aus der Unberührbaren in den Kritiken die Alte, die alle betatschen dürfen.

Infam wird es dort, wo die Film-Elsner zum Symbol für jene »spezifische Intellektuellengeneration« wird, zur prototypischen Achtundsechzigerin. »Denn 1989 ist nicht nur die DDR, 1989 ist auch 1968 untergegangen«, freute man sich im Berliner Stadtmagazin zitty, das unter der Überschrift »Tod einer Salonkommunistin« einen besonders stereotypen Artikel druckte. Als hätten nach 1989 Hunderte deutscher Schriftsteller, verzweifelt über die deutsche Wiederauferstehung, den Freitod gewählt. Das Gegenteil war der Fall: Die meisten dieser Leute, die der Linken nahe standen oder Linke waren, haben sofort mitgemacht. Pars pro toto sei hier noch einmal an Martin Walser erinnert, dessen »zärtliche Innenaufnahmen des Bürgertums« tatsächlich nicht nur jenseits, sondern das Gegenteil von Gisela Elsners nicht nur literarischem Klassenverrat sind.

Denn selbst, wenn sie es gewollt hätte: Man hätte sie nicht mehr zurückkommen lassen. Zu total ihr Verrat, zu endgültig das Urteil, das ihre Prosa über die Westdeutschen und ihre zur Karikatur verkommene, blutbesudelte Bourgeoisie fällte, und zu leidenschaftlich ihr Hass. »Die Bücher wurden schwächer, die Auflagen kleiner, bis der Rowohlt Verlag sie fallen ließ und auch kein anderer Verleger ihr neues Manuskript mehr drucken wollte«, heißt es nun in der Zeit in der Besprechung von »Die Unberührbare«. Das ist eine Geschmacksfrage.

Keine Geschmacksfrage hingegen ist, dass Gisela Elsner ihre Haltung nicht änderte, als es viele ihrer Kollegen taten, und ihren Anspruch, Bücher zu schreiben, die ins Herz des deutschen Spießers treffen, weiterverfolgte. (Die Treue zu sich selbst erschien dem Feuilleton bislang lobenswert.) Denn im Gegensatz zu vielen anderen, die sich in der DKP oder in ihrer Nähe befanden, entdeckte Elsner nicht irgendwann positive Seiten an der Nation oder gar an der Sozialdemokratie. Sie stimmte ein in anti-amerikanische Tiraden, ohne den Hass auf ihre Landsleute zu vergessen. Allein schon deswegen war sie eine Ausnahmeerscheinung, nicht etwa wegen ihrer Perücke. Gisela Elsner wollte nicht zurück, der Freitod war ihre letzte Möglichkeit, sich dem Zwang zur Anpassung zu entziehen und ihren Klassenverrat nicht revidieren zu müssen.

Eine radikale Entscheidung, die sicherlich ebenso viel mit Tabletten- und Alkoholkonsum wie mit Depression zu tun hatte, und die heute lächerlich wirkt, weil es so scheint, als wäre es um etwas gegangen. Der Film formuliert die Weisheit des Mainstreams in den Worten einer Lektorin, die Hanna Flanders kurz nach dem Mauerfall durch Berlin fährt: »Manchmal muss man sich eben treiben lassen.« Heute gefällt allen eine Schwarz-Weiß-Schmonzette mit derart banal-blöden Aussagen auf dem Niveau rot-grüner Regierungserklärungen. Alle sollen mitmachen. Alle sagen ja. Ist das etwa nicht verdächtig?

Mit dem allergrößten Einverständnis wird via »Die Unberührbare« eine in der deutschen Gesellschaft ohnehin marginale Position der Verweigerung als Anachronismus abgewickelt. Dass dieser Film einen solchen Erfolg hat, deutet allerdings darauf hin, dass diese Position nicht so marginal war, wenn auch nach zehn Jahren noch alle das Bedürfnis haben nachzutreten.

Sie sind nicht nur alle ausnahmslos begeistert, schreiben alle das Gleiche über den Film, wissen, dass er in Schwarz-Weiß gedreht wurde und von Gisela Elsner, deren Sündenregister sie zur Kenntnis genommen haben, nur verfremdet handelt - sie wissen ganz zuletzt auch, was von Gisela Elsner nach diesem Film übrig bleiben soll: »Sie war tabletten- und nikotinsüchtig. Ihre Küche hing voller Lenin-Bilder.« (Berliner Zeitung)