25 Jahre Ende des Vietnam-Kriegs

Ho, ho, Ho Chi Minh

25 Jahre nach dem Ende des Vietnam-Kriegs: Von Revisionsversuchen und der versteckten Sympathie mit einer Zeit, als noch jeder seine Aufgabe hatte.

Ich denke, dass die Falschen gewonnen haben. Ich denke, sie haben Millionen ihrer besten Leute verloren, die mit dem Boot geflohen sind, Tausende, die hingerichtet worden sind, und Hunderttausende in den Umerziehungslagern.« Mit diesen Äußerungen schockte der US-amerikanische Senator John McCain letzten Freitag in Ho-Chi-Minh-Stadt, zwei Tage vor dem 25. Jahrestag der Beendigung des Vietnam-Kriegs, die vietnamesische Öffentlichkeit.

McCain, ehemaliger Kriegsgefangener, setzt sich seit 1995 für eine vorsichtige Annäherung und Normalisierung zwischen den USA und der Sozialistischen Volksrepublik Vietnam ein. Er ist sauer, weil die »Normalisierung«, die aus amerikanischer Sicht - wie originell - im Wesentlichen aus einem Handelsvertrag und einer Öffnung Vietnams für internationales Kapital bestehen soll, nicht recht vorangeht. 25 Jahre nach Vietnam scheint die Fragerei, wer denn nun die good guys und wer die bad guys waren, immer noch nicht ausgestanden.

Am 30. April 1975 kapitulierte das US-amerikanische Marionetten-Regime in Südvietnam, die vietnamesische Befreiungsfront, der Viet Minh, marschierte in Saigon ein. Damit endete einer der längsten und blutigsten nationalen Befreiungskriege des 20. Jahrhunderts, dessen Anfänge bis in die dreißiger Jahre zurückreichen. Die französische Kolonie Indochina wurde im Zweiten Weltkrieg von Japan besetzt. Nach dem Abzug der japanischen Armee proklamierte die KP Indochinas unter Ho Chi Minh die Republik Vietnam. Frankreich unterstützte stattdessen ein antikommunistisches Marionettenregime im Süden.

Der antikoloniale Befreiungskrieg hätte Mitte der fünfziger Jahre erfolgreich beendet sein können wie viele andere auch, wenn nicht die USA eingegriffen hätten. Nach der Domino-Theorie durfte ein kommunistischer Systemwechsel bei einem bisherigen Allierten in der Dritten Welt keinesfalls zugelassen werden, da der Fall eines Staates weitere nach sich ziehen würde. Als die finanzielle und logistische Unterstützung für Südvietnam nicht mehr ausreichte, wurden unter John F. Kennedy die ersten US-Kampfverbände nach Vietnam geschickt. 1968 standen eine halbe Million US-Soldaten in Vietnam, die Militärausgaben wuchsen auf 56 Prozent des US-Haushalts. 1965 bis 1971 warfen die US-Verbände 6,3 Millionen Tonnen Bomben über Vietnam, Kambodscha und Laos ab, dreimal soviel, wie im Zweiten Weltkrieg auf Europa, Afrika und Asien zusammen fielen; Hunderttausende kamen dabei um. Das organisierte Töten in einem unerklären Angriffskrieg rief eine starke Oppositionsbewegung hervor. Ab 1972 zogen sich die USA aus Vietnam zurück, drei Jahre später war der Krieg vorbei.

Dass die USA sich damals der kriminellen Massentötung schuldig gemacht haben und keineswegs die good guys waren, ist in der US-amerikanischen Öffentlichkeit immer noch nicht Allgemeingut. Zum Jahrestag fehlt es nicht an Beiträgen von rechts, die den Vietnam-Krieg rückblickend als gute Sache würdigen. Nach dem Bombenkrieg gegen Jugoslawien, der national und international eine gute Presse hatte, stehen die Zeichen dafür günstig: Wenn es heute richtig sei, dass die USA Weltpolizei spielen, könne es damals ja wohl nicht falsch gewesen sein.

Umgekehrt waren »Vietnam Veterans« äußerst aktiv in der Oppositionsbewegung gegen den Kosovo-Krieg, wo sie von Anfang an darauf hinwiesen, dass die eigene Regierung immer Lügen erzählt, wenn sie Krieg führt - eine Lektion, die in der deutschen Linken fast vergessen zu sein scheint. In der US-Linken wird derzeit nicht nur an den 25. Jahrestag des Kriegsendes in Vietnam erinnert, sondern auch an den 30. Jahrestag der Schüsse an der Kent State University in Ohio: Dort wurden im Mai 1970 sechs demonstrierende Studenten von der Nationalgarde erschossen.

Für die Linke und die Internationalismus-Bewegung begann das Schweigen zu Vietnam schon 1975. Wie Werner Balsen und Karl Rössel in ihrem Standardwerk zur Geschichte der deutschen Dritte-Welt-Bewegung (»Hoch die internationale Solidarität«, Köln 1986) zutreffend bemerkten, wechselte die deutsche Internationalismus-Bewegung relativ flott das Objekt ihrer Solidarität, um sich vor Enttäuschungen zu schützen. Vietnam machte da keine Ausnahme.

Auch in der selbstkritischen Debatte über einen »Neuen Internationalismus«, die nach 1992 geführt wurde, wurde die Bewertung Vietnams weitgehend ausgeklammert. Als 1997 das »Schwarzbuch des Kommunismus« zum Gegenstand einer polemischen Auseinandersetzung wurde, wurde diese zwar um die Einschätzung der sowjetischen, chinesischen oder lateinamerikanischen Geschichte geführt, nicht aber um Vietnam.

Nach dem Fall Saigons, der Hauptstadt des Südens (das heutige Ho-Chi-Minh-Stadt), begann die Geschichte der »Umerziehungslager«, in die ehemalige Funktionäre des Südens, aber auch Intellektuelle, Mönche, politisch Missliebige eingewiesen wurden. Der damalige vietnamesische Premier Van Dong räumte 1980 ein, dass 200 000 Menschen in derartigen Lagern waren, realistisch ist wohl eine Zahl von einer halben Million, von denen ein Großteil durch Unterernährung und Arbeit umgebracht wurde. Die fast eine Million »Boat People«, die aus Vietnam flüchteten und von denen Hunderttausende ertranken, gingen zum Teil auf eine gewollte Vertreibung der chinesischen Minderheit in Vietnam zurück. Erst 1986 setzte politisches Tauwetter ein. Die Lager wurden geschlossen, der Flüchtlingsstrom endete.

Hat McCain also recht? Haben die bad guys gewonnen? Nein. Es ist eine Sache, wenn eine Gesellschaft ihre politische Form ändern will, notfalls auch gegen Widerstände mit Gewalt, eine andere aber, wenn ein anderer Staat ihn mit Gewalt daran hindern will. Dasselbe gilt auch für die Auseinandersetzung innerhalb der USA oder der BRD. Die Regierungen und die Anti-Kriegs-Bewegung auf dieselbe Stufe zu stellen, wie es etwa Arno Widmann in der Berliner Zeitung tut - für beide sei »die Gewalt zur Droge geworden« -, stellt sich wissentlich dumm und öffnet künftigen Angriffskriegen Tür und Tor, nach dem Motto: »Erst intervenieren wir, dann haben wir ein gemeinsames Problem.«

Das hat nichts damit zu tun, dass sich an der vietnamesischen Befreiungsbewegung ablesen ließ, dass soziale Emanzipation und nationale Befreiung ebenso wenig identisch sind wie sozialistische Orientierung und Befreiung. Die Frage, was man sich unter Befreiung vorzustellen hat und was Kriterien einer emanzipativen Politik sind, stellt sich für die Internationalismus-Bewegung heute wie für die Linke insgesamt - nach der Kritik am autoritären Sozialismus, an Patriarchat und »Hauptwiderspruch«, aber auch an jedem objektivistischen Systemdenken von oben (»Wir machen die Welt so, dass es keine Probleme mehr gibt«).

Die Kritik, nationale Befreiung sei als Form falsch, wie sie von der Hamburger gruppe demontage geäußert wird (»Postfordische Guerilla«, Münster 1998), geht an dieser Frage ebenso vorbei wie die Auffassung, man hätte sich eben zu wenig mit der konkreten Politik erfolgreicher Befreiungsbewegungen befasst. Der falsche Idealismus des »Schafft zwei, drei, viele Vietnam« in der alten Internationalismus-Bewegung war kein Idealismus des Unwissens, sondern einer der versteckten Sympathie mit einem falschen, nämlich im Kern autoritären Begriff von Emanzipation. So wie Helke Sander es in ihrem Film »Der subjektive Faktor« einen ihrer Protagonisten sinngemäß sagen lässt: »Siehst du, der Junge in Vietnam hat eine Aufgabe: Er verteidigt sein Land. Und du hier hast auch eine Aufgabe: Du machst deine Hausaufgaben.«