Mediziner im China-Fieber

Die Aufregung der Ärzte über die ergebnisorientierte Vergütung im Gesundheitswesen verschleiert die Mängel, die das jetzige Honorar-System für Patienten mit sich bringt.

Die Reaktionen ließen den Super-Gau der Medizinerinnen und Mediziner vermuten. Frank Ulrich Montgomery, der Vorsitzende des Marburger Bundes, sprach von »grotesken Vorschlägen, mit denen die Axt an das Sozialsystem« gelegt würde.

Der Chef der Bundesärztekammer, JörgDietrich Hoppe, sonst ein Mann, der innovativen Ideen durchaus aufgeschlossen ist, stellte sich, wie Ärzte dies oft tun, wenn es um ihre Interessen geht, letzte Woche vor die Patienten und bewertete die zur Diskussion gestellten Vorschläge als »Patienten-verachtende Ignoranz«. Und weiter: »Die ärztliche Behandlung eines Patienten lässt sich nicht nach Schema F wie in einem Werkvertrag standardisieren.«

Ein gewisses Verständnis signalisierte dagegen der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Berliner Urologe Manfred Richter-Reichelm. Er sprach von einer »im Prinzip guten Idee«, wandte jedoch ein, dass Behandlungserfolge bei Patienten nicht ausschließlich vom Arzt abhängen und dass Vorerkrankungen und die Bereitschaft der Patienten, an ihrer Gesundung mitzuwirken, eine große Rolle spielten.

Warum nun diese Aufregung? Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) und begeisterte Segler, Herbert Rebscher, hatte die Diskussionsflaute im Gesundheitssystem zu Veränderungen von Strukturen und Honorar mit einer steifen Brise aufgemischt: Die gesetzlichen Krankenkassen sollten künftig die Vergütung von Ärzten und Krankenhäusern vom Behandlungserfolg abhängig machen, hatte er im Gespräch mit der Welt vergangene Woche geäußert. Eine solche »ergebnisorientierte Vergütung« könne die Qualität der Behandlung wesentlich verbessern. »Wer als Arzt die beste Qualität zum Wohl des Patienten bietet, muss dann auch am besten verdienen - wer dies nicht tut, erhält weniger Honorar.«

Erstmals traute sich damit ein hoher Kassenfunktionär eine öffentliche Diskussion anzustoßen, die in Experten-Zirkeln schon viele Jahre geläufig und historisch längst erprobt ist: Im alten China bekamen Ärzte so lange ein Honorar, wie die ihnen anvertrauten Menschen gesund blieben - wurden sie krank, wurde auch das Honorar gestoppt. Nun litten Ärztefunktionäre plötzlich unter diesem China-Syndrom, das so gar nicht in ihre Honorar-Diskussionen passte. Dabei ist doch längst bekannt, dass es nichts Strukturierenderes in einem Versorgungssystem gibt als das Vergütungssystem.

Freilich müssen bestimmte Aspekte berücksichtigt werden: So darf auf keinen Fall zur Mengenausweitung etwa bei diagnostischen und technischen Leistungen motiviert werden. Andererseits muss es für zuwendungsorientierte Behandlungen oder für Maßnahmen zur Sicherung der notwendigen Fachkenntnis und Behandlungsqualität Anreize geben. Notwendig ist zudem eine funktionsgerechte Arbeitsteilung in der medizinischen Versorgung zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Und innerhalb der beiden Sektoren sind natürlich einfache Prüfmöglichkeiten der Qualität und der Behandlungsergebnisse unumgänglich.

Das derzeitige Honorierungs-System, das den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten 1999 rund 41,5 Milliarden Mark für die Behandlung zur Verfügung stellte, folgt diesen Anforderungen ganz und gar nicht. Es fördert vielmehr die Behandlungsmenge bei jedem Arztkontakt, den der Patient beim Spezialisten oder beim Generalisten sucht. Und dies vielfach unabhängig davon, ob die jeweilige Diagnostik und Therapie für die Wiederherstellung der Gesundheit, die Vermeidung von Folgekomplikationen oder die Kontrolle der Symptome überhaupt notwendig gewesen wären.

Die Beliebigkeit in der Medizin vergrößert dieses Problem: Wenn keine verbindlichen Therapie-Korridore oder Leitlinien für Behandlung oder Diagnostik existieren und deren Berücksichtigung mit einem Honorierungs-System verbunden werden, orientiert sich die medizinische Versorgung auch an individuellen ökonomischen Optimierungsstrategien der Behandler oder der behandelnden Institutionen.

Die praktisch kaum vorkommenden Entlassungen aus Krankenhäusern am Freitag oder Samstag, also die »Mitnahme« weiterer Pflegesätze übers Wochenende, sind in der Regel ökonomisch motiviert. Mit notwendiger Pflege oder Qualität der Therapie hat dies genau so wenig zu tun wie die 30 Prozent überflüssigen Röntgenaufnahmen, die jährlich zur Auslastung und Amortisierung der Geräte angefertigt werden. Desgleichen Teile der Arzneimittel-Therapie: Etwa ein Viertel der insgesamt 800 Millionen Verordnungen pro Jahr und damit drei bis vier Milliarden Mark könnten eingespart werden, wenn alleine die therapeutische Qualität der Versorgung Richtschnur der Entscheidung wäre.

Im Prinzip geht es bei der Diskussion um eine ergebnisorientierte Honorierung - darum, dass Qualitätsunterschiede zwischen Ärztinnen und Ärzten Konsequenzen haben müssen, die sich in Geld ausdrücken. Die Zeit der Kollektiv-Verträge, in die immer alle Ärztinnen und Ärzte einbezogen sind, ist vorüber. Wer keine Qualität in der eigenen Qualifizierung, im Behandlungsprozess und im Behandlungsergebnis nachweisen kann, bekommt weniger Honorar. Dies ist übrigens auch der KBV und Herrn Richter-Reichelm klar - deshalb auch die zurückhaltende Kritik an den geäußerten Vorschlägen.

Die Versorgungspraxis in einem Diabetes-Projekt in Westfalen-Lippe, in Kraft seit dem 1. Juli 1998, hat die Vorschläge Rebschers übrigens längst überholt. Obwohl seit langem bekannt ist, wie eine gute Versorgung von Diabetikern möglich ist, haben sich bislang keine deutlichen Verbesserungen in der Behandlung ergeben. Noch immer sind Amputationen, Erblindungen und Dialyse als Spätfolgen eines schlecht behandelten Diabetes an der Tagesordnung.

Neue Honorierungs-Formen belohnen in diesem Modellvorhaben die notwendige Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Institutionen, um eine erfolgreiche Therapie zu fördern und Spätkomplikationen zu vermeiden. Auch die Behandlungsqualität wird nach einem differenzierten System honoriert: Ärzte, die im Vergleich zu anderen schlechter abschneiden und die vorgegebenen therapeutischen Leitlinien nicht konsequent berücksichtigen, sollen keinen Diabetes mehr therapieren dürfen - die Medizin ist zu differenziert geworden, als dass alle Ärzte und Ärztinnen alles gleich gut könnten.

Dass einige Patienten in ihrer mangelnden Kooperationsbereitschaft den Therapieerfolg vereiteln, ist seit langem bekannt und spricht nicht gegen ein solches System. Durch Vergleiche zwischen den Praxen wird nämlich sehr schnell erkennbar werden, bei welchem Arzt die Ergebnisse besonders deutlich zu wünschen übrig lassen.

Interessierte ärztliche Kreise werden allerdings nicht müde zu behaupten, dass durch solche neuen Strukturen der Grundwert der freien Arztwahl verloren gehe. Und damit die Voraussetzung für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstört sei. Zudem sei die freie Arztwahl die genaueste und effizienteste Qualitätskontrolle ärztlichen Handelns. Die »Abstimmung mit den Füßen« bewahre Ärzte davor, auch in liberal strukturierten Systemen die Anstrengungen der Aufrechterhaltung der medizinischen Qualität zu vernachlässigen.

Schließlich beinhalte - so die KBV - die freie Arztwahl eine Schutzfunktion für den Patienten. Der Patient delegiere an seinen Hausarzt die Koordinierungsfunktion für seine medizinische Betreuung. Und genau hier liegt das Missverständnis und auch die Heuchelei in der aufgeregten Diskussion: Patientinnen und Patienten sind eben nicht ausreichend in der Lage, die Qualität der ärztlichen Behandlung zu bestimmen, es sein denn, es handelt sich um einen unübersehbaren Kunstfehler.

Wie oft schon sind Ärzte mit exzellenten Kommunikationsbegabungen, mit wunderbar ausgestatteten Praxen und mit flott verschriebenen Arzneimitteln als gute Ärzte klassifiziert worden, obwohl ihre medizinischen Behandlungen zu wünschen übrig ließen, während eher einsilbige Mediziner schnell als schlechte Ärzte abgetan werden. Wenn für Patienten die Möglichkeit der fachlichen Beurteilung schwierig wird, ziehen sie sich auf bekannte soziale Kriterien von Sympathie und Antipathie zurück - wer kann es ihnen verdenken?

Mehr Qualität im Versorgungssystem wird es unter den derzeitigen Verhältnissen nicht ohne Anreize geben. Der herrschende Kenntnisstand in der Medizin wird längst nicht immer berücksichtigt. Überversorgung schadet den Patienten direkt, Unterversorgung auf Dauer, beides belastet am Ende die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Entwicklungen sind, daran gibt es keinen Zweifel, auch auf das derzeitige Honorar-System zurückzuführen. Folgerichtig könnte über die ergebnisorientierte Honorierung ausnahmsweise mal mehr Qualität und nicht mehr Geld ins System gepumpt werden.

Gerd Glaeske ist Professor an der Universität Bremen und forscht zu »Gesundheitspolitik und Evaluation medizinischer Versorgung«.