Literatur als Pop

Neue deutsche Vague

Pop-Romane sind da, wo eine Heimat ist.

Als Anfang letzten Monats sein Buch »Phosphor« erschien, machte sich die taz auf, Sven Lager, diesen mit deutlich über dreißig wohl älteren unter den jungen Pop-Literaten, zu interviewen. Dass er gerade sein nächstes Buch schreibt, berichtete er, dass er mit der Gleichfalls-Jungliteratin Elke Naters (auch über dreißig) zusammenlebt, dass sie miteinander das Internet-Projekt »pool« betreiben - unter der Webadresse www.ampool.de - und dort viele Kollegen auch nichts zu sagen haben. Dann erzählte er noch, dass er bald in ein exotisches Land umziehen werde - und er betonte, dass ihm die Sparte »Pop-Literatur« gefalle: Pop, das klinge so unangestrengt.

Naters und Lager versuchen sich seit gut einem Jahr als Yoko Ono und John Lennon der deutschen Literatur zu verkaufen. Schaffen es aber nicht. Sie entsprechen höchstens Womack & Womack in ihrer öffentlich ausgetragenen Harmoniebeziehung. Er: männlich kurze Haare und Kinderpflege, sie: Cocktails und Beruf, beide: Bücher über Wie-man-so-lebt, mit hohem Wiedererkennungswert. Ihre Definition von Literatur ist verblüffend einfach: Man schreibt eben was.

Diese Literatur ist zur Zeit hoch im Kurs. Es ist allerdings ein Markt-Segment, das, wie es auf der Leipziger Buchmesse mehrfach mit Bedauern hieß, bereits jetzt zusammenzubrechen droht, da die Autorinnen und Autoren durch den Boom zu teuer werden. Allerdings ist der Wind, der um die Pop-Literatur gemacht wird, nicht mehr als ein laues Lüftchen - was deutlich wird, wenn man sich an den Verkaufszahlen orientiert: Die Belletristik-Bestsellerlisten werden noch immer von US-amerikanischen Autoren dominiert.

An der Ideologiefront bewegt sich allerdings einiges. Am vergangenen Wochenende sah sich die taz bemüßigt, auf Thomas Hettches Wehklage (»keine Qualität«) in der FAZ zu antworten, und das gleich mit einer Artikel-Reihe. Die FAZ wiederum macht der Neuen Deutschen Pop-Literaturwelle sogar täglich ein Geschenk: die »Berliner Seiten«. Die altehrwürdige Zeit zeugte das »Leben«. Musik- und Frauenzeitschriften geben den neuen Pop-Literaten Sonderseiten. Was die so genannte Pop-Literatur allerdings ausmacht, weiß niemand so genau.

Pop-Literatur ist ein Marketing-Produkt. Nicht zuletzt seit Suhrkamp für die Bücher von Rainald Goetz, Andreas Neumeister und Thomas Meinecke mit dem Schlagwort »Pop« warb. Was aber ist an diesen Autoren mit ihren so unterschiedlichen Schreibstilen und Haltungen Pop? Folgt man den Rezensenten, dann genügt es, dass der Erzähler ein paar Platten oder Stars erwähnt oder einen Arbeitsplatz bei einem Musik-Magazin hat. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Bücher von Rainald Goetz werden intensiv diskutiert, aber nicht extensiv gekauft, auch Meinecke und Neumeister erscheinen in relativ geringer Auflage, an Helmut Salzinger kann sich niemand mehr erinnern und eine Neuauflage von Diedrich Diederichsens einzigem Roman ist nicht in Sicht. Keine Sau fragt nach dem Verbleiben des nicht eben talentlosen Ex-Tempo-Chefs Uwe Kopf. Und Jörg-Uwe Albig - Spex-Autor immerhin - wird wider Erwarten nicht als Pop-Autor gelesen, weil in seinen neuen Romanen keine Platten vorkommen.

Dafür aber scheint der Theater-Autor Tim Staffel Pop zu schreiben, dessen neuester Roman »Heimat« weder von Platten noch von Glamour handelt. Joachim Blessing und Christian Kracht werden als Pop-Autoren gefeiert, obschon ihr Wissen in Sachen Pop-Musik und Pop-Art ziemlich beschränkt ist. Benjamin von Stuckrad-Barre schließlich hat eine zwar erfolgreiche, aber außerordentlich unglamouröse Karriere hingelegt. Zunächst wirkte er als Redakteur des Rolling Stone, glitt dann via Harald-Schmidt-Show in die FAZ, schlenkerte zurück zum Fernsehen und verdingt sich jetzt als freier Autor - kurz, er zeichnete jene Karriere nach, die Salem-Schüler zu erleben haben, dabei ist der Mann noch keine 27!

Über die Erwähnung von Platten, einer gewissen Rückkoppelung in die Ausgeh-Kultur und schneller Verdaulichkeit hinaus gibt es offensichtlich keine Kriterien für die Einordnung unter »Pop-Literatur«. Doch - macht einen der Gebrauch von Pop zu einem Teil des Pop? Wie könnte man Pop-Literatur überhaupt definieren? Über Inhalte? Aber: Ist man Italiener, wenn man über Italien schreibt? Nein, die Frage nach Pop-Literatur könnte nur die Frage nach der Form sein. Doch die kümmert die Promoter von Pop-Literatur wenig. Stattdessen bleibt es bei der Definition: Man muss Pop hören, um über Pop schreiben zu können. Diese Definition ist reaktionär, weil sie versucht, durch einen Authentizitätsbezug dem Pop all das Künstliche, Internationalistische und Anarchische zu rauben, das ihn ausmacht.

Und hier zeigt sich auch, dass das Getue um die »deutsche Pop-Literatur« mehr ist als nur eine Marketingmasche: Die meist konventionellen Romane werden als Pop verkauft, um ein Bedürfnis nach Orientierung zu befriedigen. Sie bieten ein neues Ich an, da Pop den kleinsten gemeinsamen Nenner der sich immer weiter ausdifferenzierenden Jugendszenen darstellt. In Pop kann man sich wieder finden, weil man die Platten kennt. Nicht umsonst zitieren die Autoren und Autorinnen ausschließlich bekannte Songs, Bands und Sounds (der Nischenmarkt nährt sich dann entsprechend mit Geheimwissen über Country oder die Stranglers), und die in ihnen erzählten Erlebnisse sind so angelegt, dass sie jederzeit von Techno über HipHop auf Rock übertragbar bleiben. Die meisten der erfolgreichen Pop-Autoren und -autorinnen meiden exzentrische Formspielereien und verzichten auf politische Bezüge.

So gesehen sind die so genannten Pop-Romane Heimatliteratur. Sie schaffen ein abstraktes Wir-Gefühl und erfüllen ein nationales Bedürfnis: In dieser Literatur vereinigt sich die Ost- und West-Jugend (found the nation with a beat), da die Autoren und Autorinnen ähnlich wie die Wiedergänger der Hamburger Schule und die Grandmaster des Techno und des DeutschHop helfen, ein neues einfaches Deutschsein als eine moderne Haltung zu verkaufen.