Neue Regierung in Italien

Perpetuum mobile

Die 58. italienische Nachkriegsregierung ist komplett. Mit dem neuen Regierungschef Giuliano Amato und dem Oppositionsführer Berlusconi stehen sich nun zwei Craxi-Erben gegenüber.

Diese Parteien sind katastrophal!« keuchte Giuliano Amato. Der neue italienische Ministerpräsident stand vor keiner leichten Aufgabe: 17 Parteien waren unter einen Hut zu bringen, auch Klein- oder Kleinstparteien. So musste eine Vielzahl von Ministerposten vergeben werden. Der gute Vorsatz, mit weniger Ministerien auszukommen als sein Vorgänger Massimo D'Alema, war schnell vergessen: Amato ist lediglich die symbolische Einsparung von einem Ressort gegenüber der Vorgänger-Regierung gelungen, die mit einer Rekordzahl von 25 Ministern und 64 Staatssekretären gearbeitet hatte. Geändert hat sich auch ansonsten wenig: Besonders in den Schlüsselpositionen gab es kaum personelle Verschiebungen.

Geopfert wurde die Gesundheitsministerin Rosi Bindi, die sich jahrelang gegen Kürzungen im Gesundheitsetat gesperrt hatte. Eine hektisch erstellte parteiinterne Analyse schob unter anderem ihren Reformen die Verantwortung für die Wahlniederlage vom 16. April zu. Die Ablösung Bindis durch den parteilosen Krebsforscher Umberto Veronesi bedeutet einen Kurswechsel im Gesundheitswesen. Die Zeichen stehen nun auch hier auf Privatisierung. Damit fällt das letzte Ressort, das während der Regierung D'Alema noch für eine soziale Politik gestanden hatte.

Das Wörtchen »Links«, mit dem sich die Mitte-Links-Regierung von der der so genannten Mitte-Rechts-Opposition unterschied, kann endgültig gestrichen werden. Mit Giuliano Amato als neuem Premierminister ist der liberale Kurs der Koalition festgelegt. Dass D'Alema Amato als seinen Nachfolger durchsetzen konnte, bedeutet vor allem eine Fortsetzung des Modernisierungsprogramms, das Amato bisher als Schatzminister verfolgte: Abbau des Sozialstaats und Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Die Tageszeitung Il manifesto stellte folgerichtig die Frage: »Was ist der Unterschied zwischen Amato und D'Alema? Der erste erzwingt Entscheidungen, während letzterer die Dinge geschehen lässt.« Der Unterschied liege vor allem in den Methoden.

Nicht umsonst trägt Giuliano Amato den Spitznamen dottore sottile, der auf seine beeindruckende Spitzfindigkeit verweist. Seinen Einzug in die Politik hielt der Professor für Verfassungsrecht als Berater des ehemaligen Ministerpräsidenten Bettino Craxi. Als Staatssekretär während der Craxi-Ära (1983 bis 1987) war Amato der eigentlich Verantwortliche für die weitgehende Zerlegung der scala mobile, des Inflationsausgleichs der Löhne. In jenen Jahren gab Amato eine Kostprobe seiner enormen Wandlungsfähigkeit, als er sich vom überzeugten Laizisten zum Wegbereiter des Kirchenkonkordats wandelte, mit dem das von Mussolini geschlossene Konkordat von 1929 aktualisiert wurde. Mit der gleichen Wendigkeit gelang es Amato, sich sowohl über Craxis Abstieg als auch über die folgende Tangentopoli-Skandalwelle unbeschadet hinwegzuretten. Dabei schadete es dem dottore sottile auch nicht, dass er während der Korruptionsaffäre seinen ehemaligen Gönner verteidigte. Als Craxi ihn jedoch aus dem Exil der Mittäterschaft beschuldigte, ließ Amato ihn fallen.

Amato scheint immer dann zur Stelle, wenn kein anderer sich mehr findet, den Karren aus dem Dreck zu ziehen: Im Chaos von Tangentopoli wurde er 1992 Premier: Italien erlebte das Paradox, dass der ehemalige Craxi-Berater sich als Streiter für einen verantwortlichen Umgang mit dem Staatshaushalt präsentierte. Amato machte es sich zur Aufgabe, Italien fit für die europäische Währungsunion zu machen. Im Zuge der Haushaltssanierung demolierte er die letzten Reste der scala mobile. Den Widerstand der Gewerkschaften brach er mit dem Versprechen, die Lebenshaltungskosten einzufrieren. Dass auf Amatos Wort wenig Verlass ist, wurde deutlich, als nur einen Monat später die Lira entwertet wurde.

Bei seinem Rücktritt 1993 erklärte Amato, er werde nie wieder in die Politik zurückkehren. Doch auch dieses Versprechen hielt nur kurz: Knapp ein Jahr später wurde Amato Vorsitzender der italienischen Antitrust-Behörde. 1998 holte Massimo D'Alema ihn als Minister für die Verfassungsreformen, ab 1999 als Schatzminister in die Regierung zurück.

Nicht nur die empfindlichen Maastricht-Opfer von 1993, auch Amatos Craxi-Vergangenheit scheinen nun vergessen. Der Mani-pulite-Staatsanwalt Antonio Di Pietro wirft seinen Landsleuten daher auch Gedächtnisverlust vor. Di Pietro erklärte Anfang letzter Woche, dass er Amato sein Vertrauen nicht aussprechen werde. Das »wäre wie für Craxi oder Berlusconi zu stimmen«. Di Pietros Widerstand blieb nicht ohne Folgen: Von seiner eigenen Partei unter Druck gesetzt, verließ er schließlich die Demokraten und trat von seinem Abgeordnetenposten zurück.

Di Pietro war nicht der einzige, der angekündigt hatte, der neuen Regierung seine Zustimmung zu verweigern. Doch am Freitag stellten sich bei der Vertrauensabstimmung im Parlament 319 von 625 Abgeordneten hinter die neue Regierung. Walter Veltroni, Vorsitzender der Linksdemokraten, erklärte zufrieden die Abstimmung zum großen Erfolg: Die Mitte-Links-Koalition habe aus ihren Fehlern gelernt und soviel Zusammenhalt gezeigt wie nie zuvor.

Dennoch, heimlicher Sieger der Regierungsbildung ist der rechte Oppositionsführer Silvio Berlusconi. Ihm ist es gelungen, die Regionalwahlen Mitte April in eine Abstimmung über die Regierung in Rom umzufunktionieren. Die Amato-Regierung ist ein Zugeständnis an die Rechte. Denn D'Alemas Wunsch-Nachfolger soll vor allem die italienische Linke modernisieren. Das bedeutet eine Wirtschaftspolitik, mit der auch die Stimmen der Selbstständigen gewonnen werden, eines Sektors, der weitgehend der Opposition zuspricht.

Tatsächlich scheint Berlusconi Grund zur Sorge zu haben: Ihm steht nicht mehr ein ehemaliger Kommunist gegenüber, sondern ein Craxi-Erbe - wie er selbst einer ist. Denn auch Berlusconi war ein Ziehsohn Craxis: Denn ein von Craxi in den achtziger Jahren auf Berlusconis Interessen zugeschnittenes Dekret bildete die rechtliche Grundlage für Berlusconis Medien-Imperium. Bisher hatte Berlusconi Amato als einen »nützlichen Idioten« abgetan. Doch hinter den Kulissen habe er letzte Woche auch zu direkteren Mitteln gegriffen, berichten Abgeordnete: Unter Parlamentariern aus den Überresten der ehemalige christdemokratischen Partei soll der Cavaliere letzte Woche auf Stimmenfang gegangen sein. Mit dem Versprechen auf sichere Wahlkreise habe er versucht, die Politiker aus dem Regierungslager für die Opposition zu gewinnen - in bester christdemokratischer Klientelismus-Tradition.

Zwar konnte sich der Oppositionsführer mit seiner Forderung nach Neuwahlen nicht durchsetzen. Doch der neuen Regierung steht nun das Referendum am 21. Mai bevor, bei dem die Italiener unter anderem über eine Lockerung des Kündigungsschutzes und zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht entscheiden sollen. Berlusconi wird diese Volksabstimmung zu einer Wahlveranstaltung für die Opposition machen. Dann wird sich zeigen, wie stabil die 58. italienische Nachkriegsregierung ist.