Millennium Marijuana March

Bei den Ewig-Gestrigen

Gefährliche Orte CIII: Wo eines Wolfgang Neuss' gedacht wird, ist immer was los. Es gibt Infos rund um Hasch, gut getarnte Zivis mit Klamotten, die megaout sind, und Bands, die auf sich warten lassen.
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Von der kleinen Bühne reicht der Blick bis aufs Schloss. Juppi, der aussieht, als sei er seit mindestens hundert Jahren Ufa-Fabrik-Bewohner, begrüßt die wenigen Menschen, die am Auftakt der Berliner Aktion zum Millennium Marijuana March (MMM) teilnehmen. Es ist nur eine von vielen Aktionen. Der MMM wird in über 100 Städten begangen, weltweit.

Willkommen also bei den Berliner Feierlichkeiten. Die Umgebung, die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, links Picasso, rechts Ägypten, die beiden schönen alten Eiben auf dem Mittelstreifen der Schloßstraße - alles wunderbar. Sogar die Sonne lacht. Aber der Schein trügt: Überall lauert die Polizei. Auch Zivile, schockweise. Denn der MMM will die Legalisierung von Cannabis. Für alle! Kranke, Sieche, Gesunde: Alle kriegen was zu kiffen - wenn sie wollen.

Und alle fahren wunderbar damit. In allen Varianten. Manche Leute schwören auf Hanf-Brot, weil die Samen so randvoll mit Aminosäuren sind, andere lieben die natürlich atmende Hanf-Kleidung, und erst recht Millionen andere, wie du und ich, nehmen einen guten Joint ernst.

Einen Info-Stand gibt es auch. Hinter dem Stand steht eine blasse Frau, über ihren Oberkörper hat sie einen Sack aus Hanf geworfen, der sich zum unteren Ende hin in Troddeln verliert.Ihr Angebot besteht aus Blättchen, 30 Sorten, 29 davon so überflüssig wie das Betäubungsmittelgesetz, dafür alle von einer Firma: Rizla. Daneben liegen PDS-Drogenberater-Broschüren, daneben wiederum Bündnis 90 / Die Grünen-Drogenberater-Broschüren und daneben das unvermeidliche Sortiment an sauteurer Hanf-Kleidung. Außerdem große Bongs und süße Flutsch-Bongs.

Aus den Lautsprechern Worte des vor elf Jahren verstorbenen Wolfgang Neuss, eines bekennenden Kiffers. Müßig gammeln die wenigen Besucher auf dem Boden. Ein Zivilpolizist kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Er sinkt auf den verkackten Grünstreifen hin. Seine Haare sind fettig, seine Sonnenbrille ist billig, sein Tribal-Sports-Shirt speckig.

Der liegende Mann bannt einen Jugendlichen im Chumbawamba-Anarcho-Shirt, dieser fällt kaum drei Meter entfernt nieder. Der Zivi erwacht sofort. Der Jugendliche schläft ein. Auch die Kollegen des Sondereinsatzkommandos BVG-Betriebsaufsicht haben inzwischen den Ort erreicht. Es sind zwei, und jeder hat einen Opel Astra Kombi mit 16 V, und sie sind verdammt stolz auf ihre sauberen, weißen Wagen und lassen nie mehr als zwei Meter Abstand zwischen sich und den heißen Schlitten.

Die grün-uniformierten Männchen und Weibchen, am Start heute die 14. Einsatzhundertschaft, sind neidisch. Immerhin müssen nicht alle 100 gleichzeitig rumstehen, 25 reichen schon, der Rest lauert um die Ecke im Schatten. Ein einziger Chef-Bulle mit vier schön auf die Schulter getackerten silbernen Sternen, wertet den Event auf. Ovo Maltine und Dr. Seltsam reden ein bisschen auf der Bühne vor sich hin. Plötzlich tauchen drei weitere Zivis auf. Jetzt sind es mindestens sechs, die inzwischen 30 Leute begutachten. Die drei Hinzukömmlinge haben alle kurze Hosen und behaarte Beine und Sonnenbrillen. Einer hat eine Ray-Ban. Zwei haben Gel auf dem Kopf, was in der wirklich prallen Sonne keinen Eindruck macht. Alle haben Turnschuhe, Fila, Asics und Kappa. Weiße Tennissocken sind auch noch in - bei denen, die von Klamotten so wenig Ahnung haben wie von gutem Gras.

Aus den Boxen schallt jetzt Musik. Ein subversives Lied: Würden sie doch alle kiffen, hätten alle so wenig Bock auf Arbeit, dass es nie wieder Arbeitslosigkeit gibt. Na denn. Wieder ein Text von Wolfgang Neuss. Diesmal aber nicht pro Kiff, sondern contra Nazi. Ovo Maltine erzählt vom Leben des toten W. Einmal, als er im Fernsehen reden sollte, fiel das Bild aus. Aber keine Sorge, Ovo ist den Verschwörern dicht auf den Fersen. Die Sonne brennt. Und die nächste Anekdote folgt: Damals, in den fünfziger Jahren, haben 80jährige Frauen den W. ganz doll gemocht, weil er so ein Strahlemann war. Aha.

Ein Zivi geht zehn Meter nach vorne. Jetzt wird eine Band angekündigt: Starseed. Die Band kommt aber nicht. Vorsichtshalber wurden gleich mehrere Bands eingeladen. Also zur nächsten Musikgruppe. Die heisst Bats in the Head und wird ausgerufen, sollen mal kommen. Kommen aber auch nicht. Jetzt entbrennt ein Streit darüber, ob das zweite oder das dritte Stück der Havarie-Kassette erklingen soll. Jemand setzt sich durch. Das Tape ist nicht angeschlossen. Der Zivi kommt zurück. Ob er an dem Schlamassel schuld ist?

Ein neugieriger Pförtner der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schlendert her und hin. Ein alter Grüner verteilt Drogenführerscheine. Kiffen und Autofahrer-Repression und was Sie da so wissen sollten. Da stehen mega-schlaue Sachen drin, das ist der grüne Hammer. Zum Beispiel, dass Menschen, die Drogen-Screenings verordnet bekommen, doch besser keine Drogen nehmen sollten. Die Zivis nehmen alle einen Führerschein. Was man nicht so machen muss im Szene-Umfeld, um sich die Illusion zu erhalten, unauffällig zu sein. Die zweite Band ist inzwischen doch noch aufgetaucht. Und spielt auf. Ein Lied über Hafenarbeiter aus Rotterdam, die etwas kiloweise verladen. Raten Sie mal, was? Kleiner Tipp: In Deutschland dürften die Hafenarbeiter das nicht.

Plötzlich macht es so laut Bumms in der Anlage, dass ein Hund sich losreißt und flüchtet. Ein Kind beginnt zu weinen. Mutti gibt Papi den Joint. Löschzug und ab dafür.