Demografie bei der Expo 2000

Bio-Masse Mensch

Demografie ist die Leitwissenschaft der Expo 2000. susanne schultz erklärt, wie die Welt in Hannover auf eine Gleichung mit zwei Variablen reduziert wird. Bilder einer Ausstellung II

Du betrittst den Showroom des Expo-Themenparks Ernährung. Dein Blick fällt auf eine Glasscheibe. Sie misst neun mal neun Meter. Dahinter liegt das Problem der Welt. Du trittst näher und erkennst Tausende von Heuschrecken, die den Menschen als Parasiten zeigen, der einem biblischen Schrecken gleich über die Vorräte der wachsenden Weltbevölkerung herfällt.

Die Expo 2000 denkt die Welt als Objekt biopolitischen Managements und inszeniert das als postmodernes Infotainment, als »sinnliches Abenteuer«, wie es im Expo-Erlebnis-Jargon heißt. Als negative »globale Einflussgröße« zieht sich dabei die Zahl der Menschen, das so genannte Weltbevölkerungsproblem, durch alle Themenpark-Elemente. So soll im Themenpark Gesundheit gezeigt werden, dass »schnell wachsende und schlecht gemanagte Städte Luftverschmutzung, Infektionskrankheiten, Unfälle und Stress« bedeuten. Und der Themenpark Umwelt, Landschaft, Klima warnt davor, dass »viele Städte auf der ganzen Welt wie hungrige Zellkolonien wuchern und Ressourcen verbrauchen«.

Dass Bevölkerungsdaten eine zentrale Rolle spielen, ist notwendige Folge des Weltbilds unter dem positivistischen Motto »Mensch Natur Technik»: Abstrahierend von Gesellschaft und strukturellen Fragen nach Verteilung und Aneignung, Produktionsweise und gesellschaftlichen Naturverhältnissen schrumpfen die »Probleme« der Expo auf quantitative Verhältnisse zusammen. Die bevölkerungspolitische Rechnung der Weltausstellung kennt dabei nur zwei Variablen: die auf den Begriff der Ressource reduzierten materiellen Grundlagen bestimmter Produktionsweisen wie Erdöl oder Holz und die Anzahl von Menschen auf der anderen Seite der Gleichung.

Jedes gesellschaftliche Problem kann auf diese Weise zu einem Bevölkerungsproblem, zur Frage eines angeblich berechenbaren Gleichgewichts zwischen diesen beiden Größen heruntergerechnet werden. Möglichkeit 1: Man vergrößert die eine Variable und schafft ein Mehr an Ressourcen durch technisch unterstütztes Produktivitäts- und Effizienzwachstum. Möglichkeit 2: Man verkleinert die andere Variable und passt die Bevölkerung an die als gegeben gesetzte Seite der Ressourcen an.

Diese Form der Problemstellung macht die Expo zum prädestinierten Ort für Interventionen der Demografie. Die bekannteste demografische Lobby-Organisation in der BRD, die ein katastrophisches »Szenario Weltbevölkerung« propagiert, ist die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), die Anfang der neunziger Jahre nach dem Vorbild US-amerikanischer Stiftungen gegründet wurde.

Bereits 1995 arbeitete sie mit dem Symposium »Expo, Umwelt und Weltbevölkerung« auf die Weltausstellung hin. Der Vertreter der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Ansgar Holzknecht, erklärte damals, dass die Expo »ohne eine adäquate Thematisierung des Weltbevölkerungsproblems keine eigentliche Weltausstellung« sei. Heute setzt er diese Vorstellung als Ansprechpartner des Themenparks Umwelt, Landschaft, Klima um.

Zwar gelang es der DSW nicht, die Nachfolge der Kairoer Uno-Weltbevölkerungskonferenz sozusagen als Vorbereitungskonferenz der Expo 1999 nach Hannover zu holen. Stattdessen organisierte sie aber im November 1999 als Expo-Auftakt ein Expertentreffen, zu dem die Direktorin des UN-Bevölkerungsfonds, Nafis Sadik, ebenso erschien wie der Direktor des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer. Die Ergebnisse dieses Treffens sollen unter »Which society do we want?« in den zehnten und letzten »Global Dialogue« einfließen, Teil der Expo-Veranstaltungsreihe. So bilden Betrachtungen über die Bio-Masse Mensch die Meta-Ebene der postpolitischen technokratischen Expo-Ideologie, die alle technologischen Teilbereiche verbindet.

Geleitet wird der letzte »Dialogue« im Oktober vom Club of Rome, der schon in den Siebzigern weltwirtschaftliche Fragen auf die quantitative Gleichung zwischen industriell benötigten Ressourcen und Bevölkerungswachstum reduzierte. Ricardo Diego-Holzleitner, Präsident des Clubs, ist Vorsitzender der Expo-Jury für »weltweite Projekte«.

Die Ausbreitung demografischer Szenarien mit ihren entpolitisierenden Krisen-Beschreibungen kennt jedoch nicht nur die Heuschrecken-Logik des Zuviel. Anfang April stellte zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Vereinte Nationen die neue Studie des UN-Weltbevölkerungsfonds über »Migration als Bestandserhaltung« vor, bei der für die BRD eine notwendige Einwanderung von jährlich 3,4 Millionen Menschen errechnet wurde. Demografische Think Tanks wie das renommierte Population Reference Bureau in Washington, das im vergangenen Oktober das Medienspektaktel »Tag der sechs Milliarden« mit Daten unterfütterte, bezeichnen den extrem schnellen Rückgang der Geburtenrate gerade auf dem Trikont als besorgniserregend.

Wenn es um diese gegenläufige Botschaft der Demografie geht, um junge Humanressourcen für unsere überalterten Gesellschaften, operiert die Expo mit einer anderen Metaphern-Politik. Zur Visualisierung werden Wellensittiche eingesetzt, Deutschlands Nachkriegsheimtiere Nr. 1. Verteilt auf mehrere Käfige für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer, stellen sie in verschiedenen Farben unterschiedliche Altersgruppen dar. Präsentiert wird dieses Biopolitik-Event zum Anfassen von der Allianz Lebensversicherung AG, die »Lösungsmodelle zum System der Altersversorgung« verspricht.

Egal, ob eine selektierte Bevölkerungsgruppe als Kosten- oder Nutzenfaktor berechnet wird, eine grundsätzliche Kritik an jeder Art demografischer Menschen-Ökonomie war einmal selbstverständliche Grundlage der internationalen feministischen Bewegungen gegen Bevölkerungspolitik der achtziger Jahre. Doch nicht zuletzt die frauenfreundliche Rhetorik der bevölkerungspolitischen Institutionen und die Einbindung großer Frauen-NGOs in die Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 hat dazu geführt, dass die radikale Kritik an der Demografie als Staatswissenschaft par excellence marginal geworden ist. Die Anti-Expo-Kampagne bietet die Möglichkeit, diesen Faden wieder aufzunehmen. Das versuchen sowohl die Kampagne gegen Biopolitik wie ein bundesweiter Zusammenschluss von Frauengruppen.

(Die Reihe wird fortgesetzt)