Vor den NRW-Wahlen

Clements gelbe Welle

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen könnten die Neuauflage eines westdeutschen Erfolgsschlagers bringen: Schon 1966 bereitete eine sozialliberale Koalition in Düsseldorf den Wechsel im Bund vor.

Warum eigentlich kann Wolfgang Clement die Grünen nicht gut leiden? Dass ein rechter Sozialdemokrat mit so manchen ausländer-, umwelt- und sicherheitspolitischen Forderung der Öko-Partei nicht viel anfangen kann, ist klar. Inzwischen aber müsste der nordrhein-westfälische Ministerpräsident doch gelernt haben, dass die grüne Praxis mit dem Programm nur wenig gemein hat. De facto kann man sich als SPD-Ministerpräsident eigentlich keinen angenehmeren Koalitionspartner vorstellen als die Bündnisgrünen in NRW. Die machen einfach alles mit: Bio- und Gentechnik-Offensiven, Expansion im Luft- und Straßenverkehr, Abschiebungen massenhaft (auch von Kindern) und natürlich - Garzweiler II. Aber trotzdem: Wolfgang Clement mag die Grünen nicht, er möchte nach dem 14. Mai, wenn in Deutschlands bevölkerungsreichstem Land ein neuer Landtag gewählt wird, lieber mit einem anderen Koalitionspartner regieren: der FDP.

Darauf deutet jedenfalls so manches hin, das in der vergangenen Woche bekannt geworden ist. Demnach häufen sich die konspirativen Konsultationen zwischen Sozialdemokraten und Liberalen, auch wenn Clement dabei nicht von »Geheimtreffen« sprechen will. Diese Bezeichnung wäre auch tatsächlich unpassend: Politiker von SPD und FDP treffen im Gegenteil immer offensichtlicher aufeinander, zuletzt im Schaufenster des Bonner Restaurants »Robichon«, wo - für alle Passanten deutlich sichtbar - der NRW-Finanzminister Peer Steinbrück und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle gemeinsam dinierten. »Über Sport und Kultur« habe man sich unterhalten, ließ Steinbrück anschließend über seinen Sprecher verbreiten. Ob Clement und der Chef der NRW-FDP, Jürgen Möllemann, sich wohl über Ähnliches austauschten, als sie sich jüngst im Anschluss an die ARD-Talkshow »Christiansen« noch unter vier Augen zusammenhockten?

Einen offenen Eklat mit dem derzeitigen Koalitionspartner freilich scheut Clement so knapp vor der Wahl. Noch darf nicht allzu laut über die rot-gelben Koalitionspläne gesprochen werden. Um einen offenen Affront gegen den grünen Koalitionspartner zu vermeiden, ließ der Ministerpräsident wissen, er werde zunächst Kontakt mit den Grünen aufnehmen, sollte es nach dem 14. Mai die Notwendigkeit von Koalitionsverhandlungen geben. Guido Westerwelle dagegen muss keine Rücksichten nehmen. Er trommelt schon einmal kräftig für Rot-Gelb in NRW: Westerwelle stellte klar, dass seine Partei in Nordrhein-Westfalen auf eine FDP/SPD-Koalition setze - jedenfalls bei einem entsprechenden Wahlausgang. Im Übrigen gebe es »natürlich regelmäßige Konsultationen zwischen SPD- und FDP-Politikern«, so der FDP-Generalsekretär. Die Hauptfrage am Wahlabend besteht für Westerwelle ohnehin nicht in »Prozentschwankungen bei CDU oder SPD. Entscheidend für NRW ist, dass die FDP vor den Grünen landet. Wenn der FDP das gelingt, gibt es die Chance einer politischen Kurskorrektur in Nordrhein-Westfalen.«

NRW könnte damit einmal mehr zum Testfeld für das werden, was ein paar Jahre später auf Bundesebene praktiziert wird: 1966 fand hier die Generalprobe für die spätere sozialliberale Koalition in Bonn statt. Dreißig Jahre später gab es in Düsseldorf den »Probelauf des Projekts der Neuen Mitte«, wie einer der letzten verbliebenen grünen Linken, der Landtagsabgeordnete Daniel Kreutz, heute resignierend feststellen muss. An Rhein und Ruhr sei die letzten Jahre vorexerziert worden, wie man eine ehemals öko-soziale Linkspartei auf neoliberalen Kurs bringt, so Kreutz. Und es sei nicht umsonst ein Schwergewicht aus NRW gewesen, das Tony Blairs Dritten Weg für Deutschland adaptiert habe - der inzwischen auf den Balkan strafversetzte Bodo Hombach mit seinem Buch »Aufbruch in die Neue Mitte«.

Und nun schaut es ganz danach aus, als solle NRW nach dem 14. Mai zum Modellprojekt für eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition auf Bundesebene werden. Das sieht auch der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, so. Er warnte die FDP vergangene Woche jedenfalls eindringlich vor einer Koalition mit der SPD. Denn in diesem Fall gehe für künftige Bündnisse zwischen CDU und Liberalen »das notwendige Vertrauen verloren«, so Merz gegenüber der Welt. Sollte die FDP nicht schleunigst dementieren, dass sie mit der SPD koalieren wolle, sehe sich die CDU im laufenden NRW-Wahlkampf gezwungen, »voll auf das Wählerpotenzial der FDP« zu zielen. Indes: Bislang war kein Dementi von Seiten der Liberalen zu hören. Ganz im Gegenteil: Am Wochenende hat sich auch Parteichef Wolfgang Gerhardt offen für eine SPD/FDP-Koalition ausgesprochen. Gegenüber dem Fernsehsender n-tv sagte er: »Wenn wir Verantwortung übernehmen können, werden wir das auch tun.«

Eine sozialliberale Allianz erscheint ohnehin als folgerichtig, wenn man die Entwicklung der SPD nicht nur in NRW, sondern auch auf Bundesebene betrachtet. Vormalige sozialdemokratische Mindeststandards, wie eine gewisse Steuergerechtigkeit und eine Umverteilungspolitik von oben nach unten sind längst geschliffen. Angesichts der neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik von Hans Eichel und Werner Müller wirken die Steuervorschläge der CDU inzwischen geradezu progressiv - etwa Friedrich Merz' Vorschlag zur generellen Besteuerung von Aktiengewinnen. »Bei vielen Liberalen greift die Erkenntnis Raum, dass man inzwischen mit dem Sozialdemokraten Hans Eichel besser über die Steuer- und Finanzpolitik reden kann als mit der CDU«, konstatiert die Welt. Und auch Reinhold Robbe vom rechten Seeheimer Kreis der SPD wird nicht müde, die »Berührungspunkte zwischen SPD und FDP« zu betonen. Schließlich könnte Gerhard Schröder mit seinem Projekt Neue Mitte in einer sozialliberalen Koalition erst so richtig loslegen.

Zumal die FDP inzwischen auch bemüht ist, die Reste ihres Bürgerrechtsflügels endgültig abzuschütteln und sich in der Asyl- und Ausländerpolitik als Schily-kompatible Hardliner-Partei zu profilieren. So forderte Generalsekretär Westerwelle vergangene Woche die »konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber«. Schließlich gebe es ein Missverhältnis zwischen der hohen Zahl an abgelehnten Asylanträgen und der niedrigen Zahl an Abschiebungen. Das sei der Bevölkerung nicht vermittelbar.

Die Grünen ihrerseits scheinen sich umsonst so reingehängt zu haben in ihrem Drang zur Neuen Mitte. Alle bewiesenen Umfaller-Qualitäten haben nichts genützt, die SPD will in Zukunft lieber wieder auf das Umfaller-Original setzen.