Zivile Konfliktforschung

Kultur der Prävention

Links von FAZ und CDU sind sich alle einig: Bewaffneten Konflikten sollte zivil vorgebeugt werden. Warum die Theorie Fortschritte macht, die Praxis aber hinterherhinkt.

Ein Jahr ist schnell vorbei. Während der vergangenen Wochen wurde allerorten überprüft, welche Lehren aus dem Krieg der Nato gegen Serbien zu ziehen seien, und dazu hatte selbstverständlich auch der Verteidigungsminister etwas zu sagen: »Präventive Politik«, schrieb Rudolf Scharping in einem längeren Aufsatz für die FAZ, »muss frühzeitig ansetzen, muss Konflikte und ihre Ursachen rechtzeitig abbauen, deren gefährliche Eigendynamik fesseln und deshalb selbst umfassend angelegt sein.« Ähnlich hatte Außenminister Joseph Fischer Ende letzten Jahres in einer Grundsatzrede argumentiert: »Die Schaffung einer 'Kultur der Prävention' zählt zu den wichtigsten Aufgaben der UN wie auch der OSZE. Deutschland muss sich für dieses Ziel mit ganzer Kraft einsetzen.«

Das Schöne an der Konfliktprävention ist, dass sie von allen gewollt wird. Die Friedensforscher sind dafür, die Kirchen sind dafür, die Gewerkschaften, die Regierung und auch die Opposition. Vor einigen Wochen begrüßte für die PDS-Fraktion im Bundestag der Abgeordnete Heinrich Fink, »dass jetzt wieder Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung vom Bund bereit gestellt werden«, und resümierte, man stimme dem betreffenden Antrag »der Regierungsfraktionen gerne zu«. Gegen Konflikt-Prävention sind eigentlich nur die Unionsparteien und die Redaktion der FAZ. Dort hält man das Ganze für einen späten 68er-Unfug, der gegen die Naturgewalt des Krieges oder völkischer Gemetzel ausgerechnet die Mittel der Sozialpädagogik ins Feld führen will.

Eine solche Kritik ist kurzsichtig und passt nicht zur neuen Staatsräson. Zwar gilt, dass die Konflikt-Prävention sozialpädagogisch inspiriert ist, weil sie potenzielle Konflikt-Kandidaten durch Überredung und durch Belohnung mit materiellen Vorteilen davon abhalten will, aufeinander loszugehen. Aber bereits bevor konkrete Maßnahmen und Aktionen überhaupt verhandelt werden, erfüllt die gesamte Präventionsdebatte schon ihren von Staats wegen wichtigsten Zweck: Angefeuert von der Regierung denken plötzlich alle darüber nach, wo und wie sich Deutschland nützlich machen kann. Wer will, und viele, vor allem Friedensforscher, wollen es, kann dabei auch an dem Wahn festhalten, Gedanken über Konflikt-Prävention seien praktische Kritik an den üblen Verhältnissen in der internationalen Politik.

In der Tat scheinen diese Verhältnisse ein unerschöpfliches Reservoir an Einsatzmöglichkeiten für Konflikt-Verhinderer bereitzuhalten. Ein Papier aus dem Entwicklungshilfeministerium (BMZ) nennt u.a.: »Stärkung von Friedenspotentialen; vertrauensstiftende Maßnahmen zwischen Angehörigen von Konfliktparteien; Aufbau von Informations- und Bildungsstrukturen und -programmen zur Bekanntmachung und Erklärung der Friedensaktivitäten und zum Abbau von Vorurteilen und Feindbildern; Vermittlung bei Konflikten zwischen Angehörigen von Interessengruppen, Ethnien, Religionen; Mitwirkung bei der Beobachtung und Förderung der Menschenrechts- und Demokratiesituation; Beiträge zur Versöhnung und dem Wiederaufbau.«

Ebenso unverdrossen blumig klingt es in einem Antrag im Bundestag vom Oktober 1999, der nur deshalb nicht beschlossen wurde, weil er von Gregor Gysi für die PDS vorgetragen wurde: »Um die politischen, ökonomischen, sozialen, ethnischen und kulturellen Ursachen der Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens zu beseitigen, werden komplexe Anstrengungen unternommen und die erforderlichen Mittel und Ressourcen bereitgestellt.« Um zu wissen, welche Ressourcen bereitgestellt werden müssen, will Fink (PDS) zuerst einmal »die Quelle von Konflikten« orten: »Dies verlangt eine Forschung, die wirklich interdiszplinär angelegt ist. Zu den genannten Fragestellungen müssen Sozialwissenschaften, Psychologie, Pädagogik, Ökonomie und Jura ebenso Beiträge liefern wie die Naturwissenschaften«, schließlich hängt alles irgendwie zusammen. Das sieht auch Außenminister Fischer so: Neben einer »Verrechtlichung der internationalen Beziehungen«, der Abrüstung und der »Beschränkung des Rüstungsexports« seien auch »die EU-Erweiterung, die Heranführung der Türkei an die EU und der Stabilitätspakt Südosteuropa Beispiele präventiver Friedenspolitik«. Bereits diese beschränkte Anzahl von Beispielen zeigt: Konfliktprävention ist ein Marktplatz für kreative Ideen.

Zumindest in der Theorie. Bezogen auf die Praxis, bleibt Konflikt-Prävention ein zartes Pflänzlein. Es gibt wenig Geld. Für ihre treuen Kritiker aus der Wissenschaft richtet die rot-grüne Regierung die Deutsche Stiftung Friedensforschung ein, die in diesem Jahr 20 Millionen und in den beiden folgenden Jahren jeweils 15 Millionen Mark erhalten soll. Für die unmittelbare Arbeit in den Zielgebieten hat die Konflikt-Prävention die Figur der »Friedensfachkraft« erfunden. Nachdem die NRW-Regierung seit 1997 Modell-Vorhaben zur »Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung« finanziert hatte, macht seit dem vergangenen Jahr auch der Bund mit. Für die Ausbildung und die anschließende Projektarbeit der Friedensfachkräfte gab es 1999 ca. fünf Millionen Mark, für dieses Jahr ist das Dreifache vorgesehen.

Organisiert wird die Ausbildung und der Einsatz von etablierten pazifistischen oder kirchlichen Nichtregierungsorganisationen, die u.a. im Forum Ziviler Friedensdienst und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden zusammengeschlossen sind. Von staatlicher Seite wurde das im Regierungsapparat mittlerweile völlig marginalisierte Entwicklungshilfe-Ministerium mit dem Kommando über den Zivilen Friedensdienst (ZFD) betraut.

Ausgebildet werden die Friedensfachkräfte laut Curriculum, um »auf der Basisebene oder auf mittlerer gesellschaftlicher Ebene zur Bewältigung von Ursachen gewalttätiger Konflikte beizutragen«. Dazu gehört der »Erwerb von Kompetenz in den Bereichen der Wahrnehmung und der Analyse von Konflikten und die praktische Einübung gewaltfreien Handelns ...« usw. Trotz der rettungslos verquasten Sprache lässt sich den Lehrplänen (und auch den Biografien der beteiligten Organisationen) ablesen, dass die Friedensfachkräfte einen Konflikt wie beispielsweise den aktuellen um die Farmbesetzungen in Zimbabwe gerne durch den »Abbau von Feindbildern« bewältigen würden. Eine Landreform mit Enteignung der weißen Kolonial-Siedler wäre vielleicht geeigneter, läge aber jenseits der sozialpädagogischen Konflikt-Entschärfung und damit außerhalb des für die Friedensfachkräfte erlaubten Horizonts.

Obwohl also von der rot-grünen Bundesregierung die gewerbsmäßige Konflikt-Prävention mittlerweile halbwegs subventioniert wird, ist aus der Branche immer wieder Unmut zu hören: Angesichts der milliardenschweren Aufrüstungsprogramme und der Etablierung einer schlagkräftigen EU-Interventionstruppe fühlt man sich auf den Arm genommen. Heinrich Fink hat es im Bundestag exemplarisch so gesagt: »Wer die Priorität wirklich auf zivile Krisenvorbeugung und friedliche Konfliktbearbeitung setzen will, muss diese Prioritätensetzung unmittelbar und nachhaltig verändern, sonst bleibt die Friedensforschung nur ein schönes Feigenblatt inmitten einer Welt, die von Gewalt und großen Rüstungsapparaten, das heißt von militärisch gestützter Machtpolitik geprägt ist.« Und wenn es so wäre? An jeden Hof gehört ein Hofnarr. Mindestens.