EU-Sanktionen gegen Österreich

100 Tage Nichts

So hat sich die EU die Auswirkungen ihrer Sanktionen gegen die schwarz-blaue österreichische Regierung nicht vorgestellt. Was sie spalten wollte, hat sie geeint. Und was sie vereinen wollte, ist plötzlich gespalten. Was ist also passiert? Eigentlich nichts. Aber genau das ist das Problem.

Auf dem EU-Ministerratstreffen auf den Azoren vorletzte Woche hatte die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner einen Stufenplan zur Beendigung der EU-Sanktionen vorgestellt. Da die Ablehnung des Plans ausblieb, wird in Österreich seither frenetisch ein Abbröckeln der »EU-14 Front«, ein »Azorenhoch« und eine »Normalisierung« herbeianalysiert. Wie EU-Kommissar Franz Fischler süffisant anmerkte, war aber nichts weiter geschehen, als dass sich einige Minister mit Ferrero-Waldner fotografieren ließen und geruhten, ihrem Vorschlag zuzuhören. Also: so gut wie nichts. Das aber hat große Auswirkungen.

Schwarz-Blau nutzt den EU-Boykott, um eine Woge nationalpopulistischer Zustimmung zur Regierung zu erzeugen. Wer sich nicht gegen die Sanktionen ausspricht, wird als Vaterlandsverräter beschimpft. Nach 100 Tagen der neuen Regierung ist der patriotische Realitätsverlust so weit gediehen, dass Ferrero-Waldner als Inkarnation eines gedemütigten Österreichs bejubelt wird.

Nach ihrem Azorenauftritt wollen sich auch die Führer der Oppositionsparteien einer »Koalition der Vernünftigen« zur Beendigung der Maßnahmen nicht mehr verweigern. Seltsam daran ist, dass die umstrittenen Sanktionen ebenfalls aus fast nichts bestanden, nämlich nur aus der diplomatischen Diskriminierung der Regierung. Dies wird in Österreich als nationale Kränkung interpretiert.

Auch SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer fühlt sich davon diffus beleidigt und schlägt einen »nationalen Aktionsplan« zur Abhilfe vor. Warum er meint, dass die Sanktionen überhaupt aufgehoben werden sollen, bleibt rätselhaft. Der »nationale Schulterschluss«, mit dem die österreichische Bevölkerung »wie ein Mann« die Regierung stützen soll, rückt näher.

In der EU hingegen führt die causa prima zu Uneinigkeit. Auch wenn eine Aufhebung der Sanktionen nicht in Sicht ist, gibt es schon Streit. Finnland und Schweden mussten ausdrücklich widerrufen, dass sie ein Ende der Sanktionen befürworten. Unnachgiebig zeigen sich nur Belgien und Frankreich.

Dabei sollten die Sanktionen als Katalysator einer auch politischen Einigung dienen, als Präzedenzfall europäischer Innenpolitik. Dieser wurde mit vage antifaschistischen Gefühlen begründet. Das konsequente Bekenntnis vieler Österreicher zu ihrer Nazivergangenheit wurde jedoch nicht als politische Haltung begriffen, sondern als schlechtes Benehmen. Daraus folgte, dass auch die Sanktionen nicht politischer Natur waren, sondern sich auf diplomatische Unfeinheiten beschränkten. Die politische Konfrontation wurde auf eine Frage der Etikette reduziert - also wiederum auf fast nichts.

Dieses politische Vakuum liegt in der Struktur der Sanktionen selbst. Ihr interner Widerspruch besteht darin, dass sie als antirassistische Präventivmaßnahme gegen Schwarz-Blau ausgegeben wurden. Am strukturellen Rassismus zu rütteln, hieße allerdings, nicht nur die Struktur Österreichs, sondern die der gesamten EU in Frage zu stellen.

Da aber ist man sich einig: Am Prinzip rassistischer Exklusion darf nichts verändert werden. Die gemeinsame europäische Innenpolitik, die durch die Sanktionen geschaffen werden sollte, besteht schon längst: in Form europaweiter rassistischer Ausgrenzung.

Einem Mitgliedsland dieses Vergnügen verbieten zu wollen, läuft nur auf eine Frage der Etikette hinaus. Man nennt es daher in Österreich jetzt lieber Patriotismus - und zwar auf allen Seiten. Ferrero-Waldner übt schon am neuen Tonfall. Schulkindern befiehlt sie nun: Eines müsst ihr über alles stellen - die Liebe zu Österreich.