Islamistische Randale in Ägypten

Glauben, nicht lesen

So viel Empörung war selten: Als der ägyptische Kulturminister Faruq Hosni vergangene Woche einer Neuauflage des Buches »Festessen aus Algen« des syrischen Schriftstellers Haidar Haidar zustimmte, gingen umgehend mehr als 5 000 Studenten der theologischen Azhar-Universität in Kairo auf die Straße und machten Rabatz.

Seit dem Ende des Zweiten Golfkriegs hat Ägypten solche Szenen nicht mehr erlebt: Bei Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sondereinheiten der Polizei vor dem Campus der Azhar wurden mindestens 55 Hochschüler und sechs Polizisten verletzt. In Sprechchören forderten die Fundi-Studenten das sofortige Verbot des Romans und die Todesstrafe für den syrischen Schriftsteller sowie für dessen Verleger aus dem Kulturministerium. Dabei hatte, wie aus einer Umfrage der Cairo Times hervorging, keiner der religiösen Demonstranten das Buch gelesen.

Auslöser der Krawalle war eine Kampagne der islamistischen Oppositionszeitung Al-Sha'ab und einiger Professoren der Azhar-Universität: Diese hatten den syrischen Autor als neuen Salman Rushdie und Ketzer bezeichnet. Al-Sha'ab hatte berichtet, Haidar habe den Koran beleidigt und den Propheten als Schürzenjäger dargestellt.

Haidar warf im Gegenzug seinen Kritikern vor, in Glaubenssachen das alleinige Monopol zu beanspruchen. Die in der Zeitung abgedruckten Passagen seien aus dem Zusammenhang gerissen und die Botschaft seines Buches sei falsch interpretiert worden. Der Roman, der 1983 zum ersten Mal in Beirut veröffentlicht wurde, handelt von zwei linken irakischen Intellektuellen, die vor dem repressiven politischen System Saddam Husseins in den siebziger Jahren ins Ausland fliehen.

Das Kulturministerium hatte sich anfangs dem Druck der Islamisten gebeugt. Allein tausend Exemplare seien verkauft und der Rest aus den Buchläden entfernt worden, beteuerte Kulturminister Hosni. Ihm warf Haidar vor, mit dem vorläufigen Verkaufsstopp engstirnige Islamisten in ihrer Meinung bestärkt und damit dem Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ägypten ernsthaft geschadet zu haben.

Inzwischen hatte die Regierung ein Expertenkomitee eingesetzt, das prüfen sollte, ob der umstrittene Roman im Einklang mit dem Glauben stehe. Das Komitee kam rasch und wider Erwarten zu dem Schluss, dass das Buch unbedenklich sei. Obwohl die Zulassung und Zensur von Publikationen allein Sache der Regierung ist, folgen Staat und Gerichte oft den Sprüchen und Weisungen islamistischer Hardliner aus dem Umfeld der Azhar-Universität.

Dass Autoren - wie der Syrer Haidar - wegen ihrer Anschauungen stigmatisiert werden, ist nicht neu. Das weiß auch Hafez Abu Sa'ada, der Vorsitzende der Ägyptischen Organisation für Menschenrechte (EOHR): »Seit den sechziger Jahren versucht die Azhar, so etwas wie Zensur auszuüben. Man denke da nur an Naguib Mahfuz' Roman 'Kinder unseres Viertels'«. Auch gegen dieses Buch laufen die Islamisten seit Jahren Sturm. »Diese Einflussnahme auf die Regierung hat seitdem weiter zugenommen und heute eine neue Dimension erreicht«, sagt Sa'ada.

Die Kritik der »Front islamischer Gelehrter« - die sich an der Azhar-Universität zusammengefunden hat - an vermeintlich anti-islamischen Schriften galt religiösen Fanatikern oft genug als Freibrief, um Jagd auf Autoren und Intellektuelle zu machen: 1992 wurde der Laizist Farag Foda ermordet, zwei Jahre später überlebte der Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfuz nur knapp ein Attentat.

Auch kritische islamische Denker wie Nasr Hamid Abu Zeid, Hassan Hanafi und Sayyid al-Qimni gerieten lange Zeit ins Kreuzfeuer der fanatischen Gläubigen. Der Fall Haidar zeigt einmal mehr, dass sich die Regierung nach wie vor schwer tut, Autoren publizieren zu lassen. Stattdessen leistet sie der Islamisierungstendenz in der ägyptischen Gesellschaft weiter Vorschub.