Konflikt zwischen China und Taiwan

Links und rechts der Taiwan-Straße

Seit der Präsidentenwahl in Taiwan steigen die Spannungen zwischen der Insel und der VR China.

Eine Nichtanerkennung des »Ein-China»-Prinzips durch Taiwan hätte Krieg zur Folge, legte die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua Ende April einem hohen, für Taiwan zuständigen chinesischen Beamten in den Mund gelegt. Die Emotionen auf beiden Seiten kochten so hoch, dass sich Xinhua beeilte, das »Zitat« zu entschärfen. Von »Desaster«, nicht von »Krieg« sei in der Verlautbarung die Rede gewesen.

Mitte März hatte der Kandidat der Demokratischen Fortschrittspartei, Chen Shui-bian, ein erklärter Befürworter der Unabhängigkeit Taiwans, die Präsidentenwahl gewonnen - trotz feindlicher Rhetorik Pekings. Dennoch kam es weder zu einer Invasion chinesischer Truppen in Taiwan noch zu einer Unabhängigkeitserklärung der Insel. Dafür kündigte Chen kurz nach seinem Wahlsieg die Aufhebung der noch aus der Zeit Chiang Q'ing-guos stammenden Politik der »Drei Neins« - keine direkten Kontakte, keine Kompromisse, keine Verhandlungen - an. Eine deeskalierende Geste, die allerdings ihre Wirkung verfehlte.

So hielten die Verstimmungen zwischen den Konfliktparteien weiter an. Zunächst lehnte Chinas Staatspräsident Jiang Zemin das Angebot Chens zu einem Gipfeltreffen mit dem Hinweis ab, Taiwan müsste sich erst eindeutig zur »Ein-China»-Politik bekennen. Dann reagierte die volksrepublikanische Presse auf die Ernennung der als äußerst Peking-kritisch bekannten Annette Lu zur stellvertretenden Ministerpräsidentin Taiwans mit Hasstiraden.

Der Taiwan-Konflikt ist die Fortsetzung der Konfrontation zwischen der Guomindang (GMD) und der KPCh im chinesischen Bürgerkrieg in veränderter Form. 1949 floh die Truppe der GMD unter der Führung Chiang Kai-sheks vor den Truppen Mao Zedongs nach Taiwan. Vorangegangen war eine über 20jährige, erbittert geführte Auseinandersetzung zwischen der GMD und der KPCh - unterbrochen von kurzen, von Misstrauen und Verrat geprägten Phasen der Zusammenarbeit.

In der Folge sahen sowohl das Festland als auch die taiwanesische Seite die De-facto-Teilung Chinas nur als Zwischenlösung. Taiwan verfügte nie über die militärischen Mittel, die angestrebte baldige Eroberung des Festlandes in die Realität umzusetzen. Die festlandchinesischen Kräfte hingegen wurden schon bald im Korea-Krieg gebunden, was eine militärische Eroberung Taiwans unmöglich machte.

Seitdem besteht der immer noch geltende Status quo: »Beide Seiten der Taiwan-Straße« - so die gemeinsame offizielle Sprachregelung - bestehen auf den Alleinvertretungsanspruch für China und schließen eine Anwendung von Waffengewalt zur Wiedererlangung der nationalen Einheit nicht aus.

Eine militärische Konfrontation der Konfliktparteien blieb jedoch weitgehend aus. Beide Seiten führten gelegentlich Flottenmanöver durch, und zwischen der dicht vor der chinesischen Provinz Fujian gelegenen taiwanesischen Insel Quemoy und dem Festland kam es bis Ende der siebziger Jahre zu rituellen Schusswechseln, die nach einer Abmachung nur an Tagen mit ungeradem Datum stattfanden.

Seit Aufnahme der VR China in die Uno 1971 und dem gleichzeitigen Ausschluss Taiwans geriet die Insel zunehmend ins diplomatische Abseits. Heute unterhalten alle wichtigen Staaten der Erde diplomatische Beziehungen zur VR China und erkennen sie als einzige Vertreterin Chinas auf internationaler Ebene an.

Ende der achtziger Jahre sah es so aus, als könnten sich beide Seiten der Taiwan-Straße trotz anders lautender Erklärungen mit dem Status quo abfinden. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts in Taiwan im Jahr 1987 wurden Reiserestriktionen sowie die Auflagen für taiwanesische Firmen bei Investitionen auf dem Festland gelockert. Taiwanesische Firmen wurden zum Hauptmotor des chinesischen Wirtschaftswachstums. Seitdem stellt Taiwan den größten Anteil an den Auslandsinvestitionen auf dem Festland, umgekehrt gehen mittlerweile 25 Prozent aller taiwanesischen Warenlieferungen in die VR China - ein wichtiger Faktor für die exportabhängige Wirtschaft der Insel.

Mit der Renaissance des chinesischen Nationalismus, geschickt forciert durch die KPCh, um die nach dem Tiananmen-Massaker von 1989 verlorene Reputation in der Bevölkerung wiederzugewinnen, häuften sich jedoch die Anzeichen für eine härtere Gangart Pekings. Vorläufiger Höhepunkt des nationalistischen Säbelrasselns waren die chinesischen Flottenmanöver im Vorfeld der taiwanesischen Präsidentenwahl 1996.

Wenige Tage vor der diesjährigen Wahl in Taiwan zeigte der chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji anlässlich der Sitzung des nationalen Volkskongresses demonstrative Drohgebärden. Zhu gab den Part des besorgten Patrioten und warnte die Bevölkerung Taiwans eindringlich vor einer falschen Entscheidung bei der anstehenden Präsidentenwahl.

Nicht wenige Beobachter werteten die Rede Zhus als großartige schauspielerische Leistung, um innerparteiliche Kritiker zu besänftigen. Denn anlässlich der Beitrittsverhandlungen zur WTO war ihm Verrat an chinesischen Interessen vorgeworfen worden.

Offen gezeigte Schwäche gegenüber Taiwan könnte einen Anlass zur Absetzung Zhus geben, zumal die Hardliner sich in diesem Punkt der Unterstützung der chinesischen Bevölkerung sicher sein könnten. So hieß es in dem 1996 erschienenen ultranationalistischen Bestseller »China kann nein sagen« im Hinblick auf die Taiwan-Frage: »Es ist besser, früher zuzuschlagen als später. Ein großer Schlag ist besser als ein kleiner. (...) Ein Konflikt um Taiwan könnte uns einen Fünfjahresplan kosten, vielleicht auch mehr. Es wird uns aber weniger kosten als zuzusehen, wie ein Teil unseres Territoriums widerrechtlich abgetrennt wird.«

Auf der anderen Seite hatte der taiwanesische Alleinvertretungsanspruch für China zumindest in der GMD und unter den Festlandsflüchtlingen starken Rückhalt. Mit dem nun scheidenden Präsidenten Lee Teng-hui übernahm 1988 zum ersten Mal ein in Taiwan geborener Politiker die Amtsgeschäfte, der eine langsame Abnabelung Taiwans vom Festland verfolgte. Ende 1999 kulminierte diese Politik in der Ankündigung, die VR China und Taiwan sollten ihre Gespräche zukünftig auf der gleichberechtigten Ebene zweier souveräner Staaten führen.

Zudem sahen viele Taiwanesen, die bereits vor der Ankunft der Truppen Chiang Kai-sheks auf der Insel wohnten, die GMD eher als Besatzungsmacht an und betrachteten den Konflikt mit dem Festland nicht als den ihren. Gerade in diesen Kreisen werden die Rufe nach der Unabhängigkeit Taiwans lauter. Daraus - und aus dem Versprechen, gegen Vetternwirtschaft und den Machtmissbrauch der GMD vorzugehen - erklärt sich weitgehend der Wahlerfolg Chen Shui-bians.

Die Reaktionen in Taiwan auf den Wahlausgang reichten von »eine Chance für eine friedliche Wiedervereinigung« bis zu düsteren Kriegsszenarien, die in der Annahme eines Eingreifens der USA im Falle eines chinesischen Angriffes auf Taiwan einen drohenden Dritten Weltkrieg heraufbeschworen.

Denn es gibt noch einen dritten Beteiligten an dem Konflikt: die USA. Die hatten Taiwan von Beginn an unterstützt. Nun wird Taiwan auch zum Thema des US-amerikanischen Präsidentenwahlkampfes. Die Republikaner sehen in der Taiwan-Frage und deren Zuspitzung einen willkommenen Anlass, um die in ihren Augen zu lasche China-Politik Bill Clintons in Frage zu stellen. Schon mehren sich Stimmen, die eine stärkere militärische Unterstützung Taiwans durch die USA fordern.

Zwar beeilte sich die Clinton-Administration, nach dem Wahlsieg Chens noch einmal das Festhalten an der »Ein-China»-Politik zu betonen; in der VR China argwöhnt man jedoch, die USA könnten hinter den sezessionistischen Tendenzen in Taiwan stecken. Die chinesische Regierung betont daher regelmäßig, die Taiwan-Frage sei eine innerchinesische Angelegenheit und verbittet sich jede Einmischung von außen.

Tatsächlich scheint es so, als sei es im wirtschaftlichen und politischen Interesse beider chinesischer Staaten, ihren Konflikt friedlich zu lösen. Zu viel steht für beide auf dem Spiel: Neben der militärischen Unmöglichkeit einer Invasion Taiwans sieht sich die VR China einer drohenden politischen Isolation auf internationaler Ebene gegenüber. Zudem würde eine Eskalation den bevorstehenden Beitritt zur WTO gefährden und einen Schlag für die ohnehin schwächelnde Wirtschaft bedeuten.

Im Falle einer Unabhängigkeitserklärung würde sich hingegen Taiwan - auch ohne ein militärisches Eingreifen der VR China - mit einer Reihe von Gegenmaßnahmen konfrontiert sehen, die die Insel nur schwer verkraften könnte. Neben der Möglichkeit einer Seeblockade durch die Marine der VR China hätte Taiwan dann auch mit dem Verlust seines wichtigsten Marktes zu kämpfen. So spricht einiges dafür, dass es in den nächsten Monaten zu einer vorsichtigen Annäherung auf politischer Ebene kommen könnte.

Konfliktpotenzial jedoch birgt vor allem die innenpolitische Situation beider chinesischer Staaten. Eine weitere Aufweichung der Zentralgewalt der festlandchinesischen Regierung könnte diese durchaus in ein außenpolitisches Abenteuer treiben, in dem Taiwan das Faustpfand für eine innenpolitische Konsolidierung sein könnte. Zusammen mit der ungewissen Haltung der USA und den Unabhängigkeitsbestrebungen in der Wählerschaft Chen Shui-bians eine Garantie, dass die Taiwan-Straße vorerst nicht zur Ruhe kommt.