Schweizer EU-Gegner und die Bilateralen Verträge

Umgekippt und ausgebuht

Die Schweizer stimmen über die Bilateralen Verträge mit der EU ab. Auns-Chef Christoph Blocher kann sich nicht entscheiden und wird von den EU-Gegnern angegriffen.

Christoph Blocher hat schon bessere Zeiten erlebt. Am letzten Samstag stand der starke Mann der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) alleine da wie selten. Nicht nur, dass die rund 1 200 anwesenden Mitglieder auf der Auns-Jahresversammlung in Bern gegen seinen Willen beschlossen, eine Nein-Empfehlung zu den Bilateralen Verträgen der Schweiz mit der EU abzugeben. Blocher wurde auch mehrfach ausgebuht. Solche Unmutsbekundungen sind bitter, denn die Auns gilt als das zweite Standbein von Blochers politischer Macht. Die Massenorganisation, die vor fast fünfzehn Jahren nach einem erfolgreichen Abstimmungskampf gegen den Schweizer Uno-Beitritt gegründet wurde, zählt heute rund 39 000 Mitglieder. Relativ schlagkräftig ist der Verein dank seines Vermögens von knapp vier Millionen Franken, die jederzeit in politischen Kampagnen eingesetzt werden können.

Grund für den Streit zwischen Blocher und seiner Auns ist die landesweite Volksabstimmung über die Bilateralen Verträge, die am kommenden Wochenende stattfinden wird. In sieben Teilverträgen sollen die Beziehungen des EU-Nichtmitgliedes Schweiz mit der EU geregelt werden. Zu den Bereichen gehören unter anderem Forschung, öffentliches Beschaffungswesen und technische Handelshemmnisse. Umstritten sind insbesondere die Verträge über den freien Personenverkehr und das Landverkehrsabkommen: Die Schweiz soll den ausländischen Durchgangsverkehr von 40-Tonnen-Lkws erlauben.

Volkstribun Blocher steckt in einem Dilemma. Als milliardenschwerer Großunternehmer, dessen Firmen rund neunzig Prozent der Produktion exportieren, ist er natürlich an den Bilateralen Verträgen interessiert, da sie einen merkbaren Abbau der Handelshemmnisse bringen. Will Blocher seine Glaubwürdigkeit im Schweizer Unternehmerlager wahren, kann er die Verträge nicht ablehnen. Andererseits beklagt Blocher als Führerfigur der Schweizer Nationalisten und Rechtsextremisten regelmäßig die Anlehnung der Schweiz an internationale Organisationen und die Lockerung der Einwanderungsbestimmungen, wozu nach dieser Rhetorik auch der freie Personenverkehr mit der EU zählt.

Blocher sah sich offensichtlich in der Zwickmühle: Einerseits kritisierte er seit Monaten die Verträge als »schlecht«, andererseits weigerte er sich, das Referendum gegen sie zu unterstützen. Der Auns-Vorstand, seinem Präsidenten treu ergeben, verzichtete daher darauf, sich auf eine Abstimmungsparole festzulegen. Stattdessen gab es Ausreden: Die Verträge hätten schließlich mit der Unabhängigkeit der Schweiz nichts zu tun. Mit dieser Entscheidung konnte der Vorstand auch einen internen Streit verhindern. Denn selbst in den Reihen der entschiedenen EU-Gegner wollte eine Minderheit den Bilateralen Verträgen aus taktischen Gründen zustimmen: Nach ihrer Einschätzung würde ein Ja zu den Verträgen den politischen Druck für einen EU-Beitritt verringern. Am Samstag ließ auch Blocher erkennen, dass er diese taktischen Überlegungen weitgehend teilt.

Anders sahen dies die anwesenden Auns-Mitglieder, vielfach Rentner, prominente Feinde alles Nicht-Schweizerischen, aber auch einige Skinheads. Sie konnten Blochers Ränkespiel nichts abgewinnen. Die Verträge seien »eine giftige Vorspeise zum EU-Beitritt«, schrie ein Rentner empört ins Mikrofon und erntete sogleich tosenden Applaus. Dies war einer der wenigen Diskussionsbeiträge, die zu den Verträgen zugelassen wurden. Versammlungsleiter Blocher versuchte, die inhaltliche Diskussion so kurz wie möglich zu halten, um dann über die Wahlempfehlung abstimmen zu lassen.

Tatsächlich war die Auns-Jahresversammlung am Samstag ein wichtiger Treffpunkt für die Gegner der Bilateralen Verträge. Zu der Zusammenkunft hatten all jene nationalistischen Parteien und Gruppierungen mobilisiert, die im Winter mit einer Unterschriftensammlung die Volksabstimmung in die Wege geleitet hatten und in den vergangenen Wochen eine heftige und laute Kampagne führten. Das Spektrum reicht von den fremdenfeindlichen Parteien, wie die Schweizer Demokraten (SD) und die Lega dei Ticinesi, über christlich-fundamentalistische Kleinparteien bis hin zu den Komitees rechter Bauern.

Abgelehnt werden die Bilateralen Verträge ebenfalls von einigen lokalen Öko-Gruppen. Sehr stark engagiert sind zudem ExponentInnen des Vereins zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM). Im Gegensatz zu ihren Mitstreitern kann die Psychosekte, die auch in Deutschland und Österreich aktiv ist, auf gebildete Köpfe zählen. Sie unterhält eine ausgebaute Infrastruktur, deren Kosten von den - meist einkommensstarken - Mitgliedern getragen werden. Ihr wöchentlich erscheinendes Sprachrohr, die Zeitung Zeit-Fragen, mit einer Auflage von angeblich 40 000 Exemplaren hetzt regelmäßig gegen die EU und die Sanktionen gegen Österreich. Das Blatt bekämpft eine Annäherung der Schweiz an die EU und beschimpft nebenbei in jeder Nummer linke Politiker.

Neben Buhrufen erntete Blocher am Samstag jedoch auch Applaus und Bravo-Rufe. Auf großen Beifall stieß er mit seinem Hinweis, dass der Schweiz schwere Auseinandersetzungen bevorstünden. Denn die Unabhängigkeit und die Neutralität des Landes seien einem »geballten, konzentrierten Angriff ausgesetzt - und zwar von innen und nicht von außen«. Bekämpfen will die Auns die Änderung des Militärgesetzes, welches die Entsendung von Schweizer Soldaten ins Ausland erlauben soll. Noch bevor die parlamentarischen Beratungen überhaupt begonnen haben, hat Blochers Massenorganisation bereits ein Referendum dagegen beschlossen. Nach der Verabschiedung im Parlament wird die Auns sofort mit der Unterschriftensammlung beginnen, um eine Volksabstimmung zu erreichen. Eine heftige Kampagne plant die Auns auch gegen einen Uno-Beitritt, den die Schweizer Regierung für die nächsten Jahre anstrebt.

Schließlich ist eine weitere heftige Diskussion bereits abzusehen: die um den Beitritt der Schweiz in die EU. Ein Studenten-Komitee hat kürzlich ein Referendum für einen EU-Beitritt initiiert.

Blocher kann also bald wieder zur Tagesordnung übergehen. Er hat am Samstag zwar eine Niederlage eingesteckt, doch seine Auns-Führungsrolle ist nicht in Frage gestellt. Der Ärger der Auns-Mitglieder über Blochers doppeltes Spiel mag groß sein, doch gegen sein politisches und ökonomisches Potenzial kommen sie nicht an.