Neuer Präsident in der Dominikanischen Republik

Das letzte Poem des Despoten

Das Comeback des greisen Caudillos Balaguer ist gescheitert. Dominikanischer Präsident wird der Sozialdemokrat Mejía.

Knapp 29 Stunden nach Schließung der Wahllokale in der Dominikanischen Republik und rund 17 Stunden nach der offiziell vorgesehenen Verkündung des amtlichen Endergebnisses ordnete der Wahlleiter an, die Stimmenzählung auszusetzen. »Die Mitglieder der zentralen Wahlbehörde sind übermüdet«, verkündete der Sprecher der Junta Central Electoral, Wilfredo Alemany, treuherzig. »Es gibt keinen Grund zu Beunruhigung.« Den gab es sehr wohl. Denn nur in 18 der 11 422 Bezirke waren bis dahin die Stimmzettel noch nicht ausgezählt.

Nach Stunden des Schweigens und begleitet von Spekulationen über gescheiterte Manipulationen des Wahlergebnisses bescheinigte die zentrale Wahlbehörde im letzten publizierten Bulletin dem sozialdemokratischen Kandidaten Hip-lito Mejía einen Stimmenanteil von 49,85 Prozent - 50 Prozent und eine Stimme hätte er gebraucht, um eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mejía sich schon längst zum unangefochtenen Sieger und zum neuen Präsidenten der Antillen-Republik erklärt. Auf den Straßen der Hauptstadt Santo Domingo tanzten die Menschen bereits den Siegesmerengue in einem Meer von weißen Fahnen, der Farbe des Partido Revolutionario Dominicano.

Mejías Haupt-Konkurrenten waren abgeschlagen: Daniel Medina vom regierenden Partido de la Liberaci-n Dominicana (Dominikanische Befreiungspartei, PLD) mit 24,93, der über neunzig Jahre alte Joaqu'n Balaguer vom Partido Reformista Social Cristiano mit 24,65 Prozent.

Das politische Comeback einer der skurrilsten Gestalten der lateinamerikanischen Autokraten ist gescheitert - das von Don Joaqu'n Vidella Balaguer y Ricardo, der erst 1996 als Staatsoberhaupt abgewählt worden war und im Jahr 2000 der »Präsident der zwei Jahrhunderte« werden wollte. Aber zur Ruhe setzen wird er sich nicht.

Schließlich zeigte er schon Stunden, nachdem die Wahlkommission die Stimmenauszählung suspendiert hatte, welchen Einfluss er nach wie vor auf die politische Klasse des Landes mit 8,2 Millionen Einwohnern hat. Zunächst empfing er den strahlenden Sozialdemokraten und bescheinigte ihm, dass er die »Mehrheit des Volkes hinter sich« habe. Dann sorgte er dafür, dass der Kandidat der regierenden ex-marxistischen Befreiungspartei, Medina, »freiwillig« auf einen zweiten Wahlgang verzichtete. Damit ist Mejía ohne zweiten Wahlgang Präsident, da auch Balaguer zurückzog.

Zwar bewegt sich der senile Gerontokrat schon seit Jahrzehnten mit der Geschwindigkeit einer Schildkröte vorwärts und ist inzwischen vollständig erblindet. An politischem Durchblick und Fingerspitzengefühl hat es ihm dennoch nie gefehlt. Denn stets hat es der 92jährige verstanden, seine politischen Gegner auszutricksen. Politisch totgesagt wurde er in den letzten Jahrzehnten oft. Und trotzdem gelang es ihm jedesmal wieder, die Zügel im karibischen Ballermann-Paradies der Deutschen wieder in die Hand zu nehmen.

Auf den ersten Blick ist Don Joaqu'n eine Mitleid erregende Gestalt: 160 Zentimeter gebeugtes Alter. Das graue Jackett ist zu groß, die Ärmel zu lang. Zur Stimmabgabe fuhr er in seiner Limousine, um sich die Wahlurne ans Fahrzeug bringen zu lassen. Doch Mitleid ist fehl am Platz. Sieben Mal und insgesamt 24 Jahre hatte Don Joaqu'n seit 1961 das höchste Staatsamt bekleidet. Nur einer hat die Geschicke des karibischen Ferienparadieses länger bestimmt: sein großer Mentor Raphael Trujillo. Ihm diente der an der Sorbonne promovierte Jurist Balaguer als Berater, Redenschreiber, Botschafter, Staatssekretär, Minister und als Vizepräsident. Als der blutrünstige Diktator, der Gegner schon mal eigenhändig den Haifischen zum Fraß vorwarf, im Mai 1961 einem Attentat zum Opfer fiel, beerbte ihn Literatur-Liebhaber Balaguer.

Nach den ersten demokratischen Wahlen, die er 1962 verlor, ging »el doctor« ins Exil, um nach einem Militärputsch und mit Hilfe von US-Marines wieder zurückzukehren und sich als Präsident wählen zu lassen. Von 1966 bis 1978 und von 1986 bis 1996 regierte Balaguer unangefochten: Mal mit taktischer Finesse, mal mit eiserner Hand, mit Todesschwadronen und der Hilfe des Militärs unterdrückte er jede Opposition. Der Journalist Narciso G-nzalez, der 1994 im Vorwahlkampf Balaguer in einem Artikel als »Mörder« bezeichnete, ist seit dem damaligen Wahlabend verschwunden. Zuletzt wurde er lebend in einem Fahrzeug des Geheimdienstes gesehen: gefesselt.

Aber 1994 hatte der despotische Poet bei den Präsidentschaftswahlen den Bogen überspannt: Mit manipulierten Stimmzetteln, ungültig erklärten Wahlausweisen von offensichtlichen Gegnern seiner Politik, verschwundenen Wahlurnen nach Ende der Stimmabgabe und der Chuzpe, sich mit hauchdünnem Vorsprung vor dem sozialdemokratischen Bewerber Francisco Pe-a G-mez ins Amt zu mogeln. Mit diplomatischen Druck handelte die Clinton-Regierung dem Caudillo eine verkürzte Amtszeit, Neuwahlen im Jahre 1996 und den Rückzug aus der Politik ab. Zugleich wurde die Präsidentschaft einer Person auf vier Jahre in Folge begrenzt.

Die Wahl des inzwischen verstorbenen farbigen Sozialdemokraten Goméz konnte Balaguer trotzdem verhindern, indem er den aussichtslosen Kandidaten seiner christlich-sozialen Reformpartei nicht unterstützte. Und die Polit-Strategen der Befreiungspartei schlossen mit Balaguer einen Pakt: Im zweiten Wahlgang verbündeten sich die einstigen Todfeinde. Der jugendliche Kandidat Leonel Fernandez, auch ein Jurist, erreichte - mit Balaguers Gnade - die absolute Mehrheit.

Er und seine Partei können aus Sicht des IWF eine durchaus positive Bilanz vorlegen. Die Inflationsrate ist gesunken. Der Bausektor boomt, die Touristenindustrie meldet Zuwachsraten. Die Zahl der Nobelkarossen hat sich sichtbar vervielfacht, und die Mehrzahl der intellektuellen Linken hat ihre aus Entwicklungshilfe schlecht bezahlten Jobs inzwischen mit lukrativen Stellen im Regierungsapparat vertauscht. Es gibt wieder eine einkommensstarke Mittelschicht. Doch die neoliberalen »Comesolos«, die »Alleinfresser«, wie sie in der Bevölkerung genannt werden, sind bei den ärmeren Schichten im Lande nicht beliebt. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 400 Mark im Monat - ohne subventionierte Grundnahrungsmittel würden noch mehr Landsleute am Hungertuch nagen.

Aber - Ironie des Schicksals -, diesmal durfte Präsident Fernandez wegen der Wahlordnung nicht erneut kandidieren. Und der blasse PLD-Kandidat Medina konnte nie größere Bevölkerungskreise mobilisieren. Deshalb suchten die neoliberalen Ex-Marxisten erneut das Bündnis mit Balaguer. Er sollte bei der diesjährigen Wahl als Zählkandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Sozialdemokraten verhindern und dann den Wahlsieg Medinas in der zweiten Runde sichern. Eine Rechnung, die wegen des Stimmverhaltens, aber auch wegen des Taktierens von Balaguer nicht aufging. Nach wie vor aber gilt: Der greise Caudillo hält die Fäden in der Hand.