Schließung von Radio B2-92 in Belgrad

Opposition off Air

In Belgrad wiederholt sich der Winter von 1996/97: Die Regierung lässt Aktivisten der studentischen Opposition verhaften, übernimmt ihre Radio-Sender oder schaltet sie ab.

Es ist halb drei, Mittwochnacht letzter Woche. Zwanzig Polizisten mit automatischen Waffen stürmen den 17stöckigen modernistischen Beogradjanka Tower in der Belgrader Innenstadt. In dem Hochhaus haben die Redaktionen des Fernsehsenders Studio B, des Alternativ-Radios B2-92, des Studentensenders Radio Index und der auflagenstärksten Belgrader Boulevard-Zeitung Blic ihren Sitz. Einige Stunden später läuft auf Studio B eine aufgezeichnete Kurzmeldung: Der Sender ist von der serbischen Regierung übernommen worden. Der neue Chefredakteur heißt Ljuboslav Aleksic.

Studio B gehört der Belgrader Stadtverwaltung und wurde von der stärksten kommunalen Partei, der nationalistisch-monarchistischen Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Draskovic kontrolliert. Begründet wird die feindliche Übernahme damit, dass Studio B mehrfach zum gewaltsamen Umsturz aufgerufen habe. Den Nationalisierungsbeschluss unterzeichneten die stellvertretenden Ministerpräsidenten Serbiens, Milovan Bojic von der Vereinigten Jugolslawischen Linken (JUL) und Vojislav Seselj, Vorsitzender der Radikalen Partei Serbiens (SRS). Seit dem Erlass des autoritären Hochschulgesetzes vom Mai 1998 und des Mediengesetzes vom Oktober 1998 sind JUL und SRS die ausführenden Organe für Staatsrepression geworden.

Noch am Mittwochnachmittag rufen die Oppositionsparteien die serbische Bevölkerung geschlossen zu zivilem Ungehorsam auf, zu Streiks, Straßen-Blockaden und Umzügen. Am Abend findet eine erste Großdemo in Belgrad statt. Eröffnet wird sie mit Nachrichten von Studio B, B2-92 und Radio Index. Gleichzeitig schallen durch das Fußballstadion von Roter Stern Belgrad »Studio B! Studio B!»-Rufe, »Rette Serbien und bring dich um, Sloba!« Rote und weiße Fahnen der studentischen Widerstandsgruppe Otpor werden in dem Stadion geschwenkt. Viele Fans wurden während der Kriege in Bosnien und Kroatien Mitglieder der paramilitärischen Tiger-Einheiten von Zeljko »Arkan« Raznatovic.

Zehntausend von ihnen ziehen nach dem Spiel in die Innenstadt, um an der Demonstration teilzunehmen. Während sich die Oppositionspolitiker auf den Balkon und in die Halle des Rathauses zurückziehen, brennen zwei Nächte hintereinander an zwei, drei Kreuzungen Müllcontainer. Steine und Molotow-Cocktails fliegen. Aber jedesmal knüppeln Sondereinheiten der Polizei die Leute auseinander und jagen sie durch die Innenstadt. Dreißig bis vierzig werden verletzt, genauso viele festgenommen.

Allmählich beruhigt sich die Lage an der Oberfläche. Schon am Donnerstag können die Blic-RedakteurInnen wieder in ihre Büros. Freitag geht Radio Index auf Sendung, allerdings nur mit Musik und stündlichen Kurznachrichten. Radio B2-92, Ikone und Monopolist der Belgrader Kultur- und Alternativ-Szene, der seine besten Zeiten hinter sich hat, bleibt off air. Auf Studio B laufen Musikvideos. Damit sind die beiden großen symbolischen Stimmen der Belgrader Privatmedien auf der rechten und linken Seite des bürgerlich-liberalen Journalismus verstummt.

Trotzdem bleibt die Freitagsdemonstration friedlich. Kein Stein wird geworfen. Die Oppositionsparteien warnen vor weiteren Zusammenstößen mit der Polizei. Die nächste Großdemonstration wird für den 27. Mai angesetzt.

Seit Tagen aber gehen die Verhaftungen und Verhöre von Mitgliedern der studentischen AktivistInnengruppe Otpor (Widerstand) weiter. Seit Beginn dieses Monats sind etwa 200 Leute festgenommen worden. Am Freitag organisierte Otpor eine Aktion vor der Philosophischen Fakultät. Ende der vergangenen Woche berichtete die Otpor-Aktivistin Milja Jovanovic in einem Telefongespräch mit der Jungle World: »Wir sind noch in der Fakultät. Wir haben die Aktion abgebrochen. Es waren tausend Leute da, aber super viele Bullen. Sie haben alle Personalien kontrolliert. Wir hatten keine Lust auf den nächsten Clash. Wir haben die Profs zu einem Solidaritätsstreik aufgerufen.«

Nach ihrem Kongress im Februar hat sich die studentische Organisation Otpor, die 1998 aus den Kämpfen gegen das Hochschul- und Mediengesetz hervorgegangen ist, geöffnet. Die Gruppe ist für Marathon-Plakatieren und -Sprayen bekannt. In der Kultur- und Polit-Szene wurde sie am Anfang wegen ihrer militanten Symbolik wie der geballten Faust als semiologische Guerilla auf dem Feld des sozialistischen Zeichensystems gefeiert. Doch schon im September letzten Jahres war sie verantwortlich für ein Soft-Programm nationaler Restrukturierung: Milosevic absetzen, Neuwahlen, Westintegration, ökonomische Liberalisierung.

Schon damals suchte Otpor Unterstützung für ihr Programm bis weit in die nationale Rechte hinein und traf sich zum Beispiel mit Ex-General Momcilo Perisic. Neben ihren radikalen und spontaneistischen Praktiken, die von relativ selbstständigen lokalen Gruppen organisiert werden, arbeiten einige Otpor-Leute seit jeher mit dem gefährlichen Phantasma eines gesunden Patriotismus, der Serbien gegen Milosevic vereinen solle. Nach der Öffnung der Gruppe sind Tausende Otpor beigetreten, darunter Dobrica Cosic, der Old-school-Star des serbischen Nationalismus, Partisan, ZK-Mitglied, Schriftsteller, »Vater der Nation«, der 1968 wegen Nationalismus aus der Partei flog und später als Autor des Satzes, die Serben seien »Sieger im Krieg und Verlierer im Frieden«, bekannt wurde. Milosevic paraphrasierte des Öfteren sein literarisches Werk »Wurzeln«. 1992 wurde Cosic für kurze Zeit jugoslawischer Präsident.

Damit wiederholt sich das Szenario des Winters 1996/97. Otpor schenkt der Opposition eine Militanz, die sie nicht hat. Deshalb stellen sich Zoran Djindjic und Vuk Draskovic rhetorisch schützend vor Otpor-AktivistInnen, laden sich mit deren Image jugendlicher Rebellion auf und nennen sie »ihre Kinder«. Es ist so, als ob Otpor bereit sei, alles zu vergessen, was passiert ist: dass Djindjic auf Seiten der nationalistischen bosnischen Serben stand, dass Draskovic reaktionärer Monarchist ist, dass er aus der selben faschistoiden Sammlungsbewegung Sava Bund kommt wie Vojislav Seselj und Mirko Jovic.

Noch vor zwei Wochen feierte Draskovic seine politische Herkunft, als

er mit 15 000 nationalistisch erregten Tschetniks jenen 13. Mai 1941 beging, an dem die monarchistischen Partisanen von Nazi-Kollaborateur Draza Mihailovic auf der Ravna Gora ihre Hauptquartier bezogen. Und anscheinend haben die Otpor-AktivistInnen auch vergessen, dass StudentInnen 1996/97 drei Wintermonate lang auf die Straße gingen, um dann mitanzusehen, wie die oppositionelle Zajedno-Koalition auseinanderfiel, der ganze Aktivismus verpuffte und Draskovic später sogar in die serbische Regierung eintrat. Als Belohnung erhielt er damals die Kontrolle über Studio B.

Dass Otpor noch einmal die Funktion übernimmt, der verbrauchten Opposition neuen Glanz zu verleihen, ist der Grund, warum die Regierung so scharf gegen die Gruppe vorgeht. Sie versucht, ihr den Mord an Bosko Perosevic, dem Regierungschef der Provinz Vojvodina, anzuhängen. Perosevic war am 13. Mai bei der Eröffnung der Landwirtschaftsmesse in Novi Sad von seinem Leibwächter Milivoje Gutovic erschossen worden. Bei einer Hausdurchsuchung wurde angeblich Material von Otpor und der SPO gefunden, obwohl klar ist, dass Gutovic keiner der beiden Organisationen angehörte, was letzte Woche sogar vom Vater des Opfers bestätigt wurde.

Zur Unterstützung von Otpor sind jetzt auch Momcilo Trajkovic, Vertreter der Kosovo-Serben, Milan Protic und der prominente Theaterautor Dusan Kovacevic der Gruppe beigetreten. Doch Otpors Faust wird mehr und mehr zum leeren Zeichen einer konzeptlosen Opposition. Selbst Blic, dem bisher nicht gerade Sympathien für die Gruppe nachzusagen waren, hatte jüngst das Symbol auf ihrem Titel abdrucken wollen. Doch das Druckhaus der Borba, wo das Boulevard-Blatt hergestellt wird, hat die Verträge mit Blic gekündigt. Gleichzeitig kündigte die JUL letzte Woche ein Anti-Terrorismus-Gesetz an, mit dem die Repression gegen Medien und AktivistInnen weiter verschärft werden könnte.

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